Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

Cyberland - Gundolf S. Freyermuth


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der Mayas erhalten, ich könnte mich mit jeder Sorte von Konspirationstheorie und mit UFO-Sichtungen, mit Bodyart oder alternativen Energieformen beschäftigen. Doch ich bin diesmal lediglich an Informationen zu drei Stichworten interessiert, die mich auf die Begegnung mit R. U. Sirius vorbereiten sollen.

      Die Ausbeute der Recherche, die schließlich über den Schirm des Powerbook läuft, ist mehr als ergiebig. Hacker, Cyberpunk und Cyberspace - das sind Zauberlehrlingsstichworte, die eine gewaltige Bit-Tsunami auslösen.

      Hacker. »Hack« hieß einst - abgeleitet vom wilden Herumhacken auf der Tastatur - ein Lohnschreiberling, der auf seiner Schreibmaschine Textzeile auf Textzeile herunterhämmerte. Der Begriff Hacker wurde dann in den sechziger Jahren im Umkreis der Spitzenforschungseinrichtungen MIT und Stanford geprägt und bezeichnete besonders genial programmierende Elektronikbastler. Ihr »Hack« war dementsprechend die möglichst elegante Lösung eines schwierigen Problems. Diese frühen Hacker der Hippiegeneration waren berühmt für ihre bedingungslose Liebe zur Technik und berüchtigt für ihre verkehrte Lebensweise, deren hervorstechendste Merkmale der Mangel an Hygiene und Schlaf waren. Letzteres rührte vor allem daher, dass Rechenzeit an den wenigen Mainframe-Computern äußerst limitiert und meist nur nachts zu haben war - jedenfalls für avantgardistische Experimente ohne unmittelbare Nutzanwendung.

      Die Erfahrung vom Computer als einer teuren Mangelware, gepaart mit dem Leiden an den vielfältigen Einschränkungen und bürokratischen Restriktionen, die sich daraus ergaben, dass ein einzelner Hacker, so er nicht Millionär war, keinen eigenen (Mainframe-)Computer besitzen konnte, veranlasste die bastelnde Suche nach billigeren Alternativen.

      Hacker bauten in den siebziger Jahren folglich die ersten erschwinglichen Personal Computer. Die wiederum ließen eine neue Sorte von Teenage-Hackern aufkommen, nach dem gleichnamigen Film von 1983 allgemein die »Wargames«-Generation genannt.

      Diesem Nachwuchs im Computer-Underground ging es weniger um technisches Wissen und innovative Problemlösungen als um eine radikale Appropriation von Hard- und Software. Ihnen hieß ein Hack alles, was ein Stück Technik dazu bewegte, anderes zu machen, als wofür es entworfen wurde. Gleichgültig gegenüber technischer Kunstfertigkeit und statt dessen auf tollkühne Kunststücke versessen, bedienten diese jüngeren Hacker sich der nunmehr vorhandenen Billig-Gerätschaften, um sich trickreich illegalen Zugang zu geschützten Mainframe-Systemen zu verschaffen.

      Insofern sie dabei Daten änderten oder zerstörten, wurden sie von den Hippie-Hackern, gegen deren subkulturellen Ehrenkodex sie verstießen, als Cracker beschimpft. Solcher Datenvandalismus blieb allerdings eine Seltenheit. Die Mehrzahl der Computerkids betrieb das Hacken des schieren Kitzels wegen, als l’art pour l’art, und legte gesteigerten Wert darauf, die Systeme so elegant zu knacken, dass keinerlei Spur zurückblieb.

      Dies änderte sich mit der dritten Generation von Hackern, die seit den späten achtziger Jahren wie andere Halbwüchsige an der Straßenecke in den Bulletinboards (BBS) und MUDs herumlungern (von Multi-User Dungeons, elektronischen Spiel-Kerkern für mehrere Personen), dabei Informationen austauschend und Pläne schmiedend, die Welt aufzuwirbeln. Wie ihre Vorgänger stammen auch diese Hacker überwiegend aus dem weißen Mittelstand. Anders als ihre Vorgänger treibt sie jedoch der Drang, die Informationsgesellschaft von innen auseinanderzunehmen, eine anarchisch-aggressive Datenbankplünderungslust. Sie verstehen sich als »Informationsbefreier«. Ihr Schlachtruf »Alle Information will frei sein« lässt sie gegen Zensur oder Geheimhaltung anhacken. Alles und jedes wollen sie jedermann zugänglich machen - die private Kreditwürdigkeit ebenso wie die Umsatzzahlen der Konzerne oder Regierungsgeheimnisse und vor allem all die vielen illegalen Tricks und Rezepte, vom kostenlosen Zugang zum Telefonnetz über den Gratis-Kabelanschluss bis zur Drogenanrühranleitung.

      »In ihren Träumen (obwohl höchst selten im wirklichen Leben) hören sie Madonnas Telefongespräche ab und sogar die des Secret Service«, schreibt Gary Cartwright. »Doch eigentlich sind die meisten Hacker so harmlos wie Entlein ... Zum größten Teil handelt es sich bei ihnen um junge Männer mit ernstzunehmenden anti-sozialen Tendenzen (wenige Frauen hacken), um junge Kerle, die wie wild den Wettstreit suchen und klüger sind, als es ihnen gut tut.«

      Sich selbst nennen diese Hacker der dritten Generation Cyberpunks.

      Cyberpunk. Der Begriff verschmilzt Hightech-Kybernetik (engl. »cybernetics«) mit Low-life-Punk, also modernste Technik mit revoltierender Gegenkultur. Die Vorsilbe Kyber leitet sich dabei von dem griechischen Wort »kubernao« ab (ein Schiff steuern) und findet sich außer in Kybernetik - ursprünglich die Wissenschaft von Steuerungsprozessen, heute eher synonym mit Informatik verwendet - auch in modernen Worten wie Gouverneur oder dem englischen »government« (Regierung). Cyber konnotiert insofern im engeren Sinne souveräne Steuerung bei der schlingernden Fahrt über die elektronischen Wellen. Im erweiterten populären Gebrauch bezeichnet es dann schlicht alles, was mit diesem neuen elektronischen Reich in Verbindung steht.

      Geprägt hat die Wortverbindung Cyberpunk Hans Bethke in der 1983 veröffentlichten Science-Fiction-Erzählung gleichen Titels. Ein Jahr später kreierte William Gibson mit seinem Roman »Neuromancer« das neue Genre der Cyberpunk-Science-Fiction. Ein zweiter Autor, der erfolgreich am Mythos des Cyberpunk mitschrieb und wie Gibson heute als literarischer Prophet des digitalen Zeitalters gilt, ist Bruce Sterling (»Schismatrix«, »Islands in the Net«). Beide fanden zahlreiche Weggefährten und Nachahmer.

      Die Cyberpunk-Fiction, die sich so in den achtziger Jahren herausbildete, beschwört in einem rasant-ironischen Stil, der an die klassischen Pulp-Detektivromane der dreißiger und vierziger Jahre erinnert und mit existentialistischen Motiven und Elementen der Punk-Ästhetik gespickt ist, eine nicht sehr ferne dystopische Zukunft. In ihr prallen grelles Licht und finsterste Dunkelheit, Hightech und Aberglauben aufeinander, in ihr bewegt, schreibt »Wired«-Chefredakteur Kevin Kelly, »Voodoo genauso viel wie Supraleiter«.

      Bruce Sterling nennt zwei zentrale Motivkomplexe, zum einen »das Thema der Körperinvasion: künstliche Gliedmaßen, implantierte Elektronik, plastische Chirurgie, genetische Eingriffe«; zum zweiten »das noch stärkere Thema der Verstandesinvasion: Gehirn-Computer-Interfaces, künstliche Intelligenz, neurochemische Techniken, die die menschliche Natur, die Natur des Selbst radikal redefinieren.«

      Das Standard-Szenario der Cyberpunk-Erzählungen spielt irgendwann im einundzwanzigsten Jahrhundert. Gewaltige Konzerne haben die Welt in Geschäftszonen aufgeteilt. Die gleichzeitig wuchernden und zerfallenden Stadtlandschaften bevölkern Massen kleinbürgerlicher Datensklaven und eine gewalttätige Unterschicht drogenabhängiger Zombies. Ihre Slums aus Beton und nackten Stahlträgern kontrastieren mit den Palästen aus Marmor und Messing, in denen die Konzerne residieren. Das Individuum – heute schon in den Worten Jean Baudrillards »ein Terminal multipler Netzwerke« – ist in der Cyberpunk-Zukunft vollends zur Datendurchgangsstation geworden, zum Anhängsel der Maschinen. Wobei letzteres recht wörtlich zu verstehen ist: Die Helden dieser Romane, Datenguerilleros und Konsolen-Cowboys, gewiefte Einzelgänger und Einzelkämpfer, können sich dank Gehirnimplantat und Schädelstöpsel direkt in die Matrix einklinken.

      »Wie viele andere prophetische Avantgarden in der Vergangenheit«, schreibt Wark McKenzie über die Cyberpunk-Autoren der achtziger Jahre, »sahen sie die Zukunft zugleich klarer und verrückter als ihre Zeitgenossen. Wie die romantischen Dichter und die dekadenten Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, wie die Surrealisten und Futuristen und Konstruktivisten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts wollten sie das Leben verändern. Deshalb stellten sie sich vor, wie es anders sein könnte, anders nicht nur als die Gegenwart, sondern auch anders, als die Zukunft offiziell werden sollte.«

      Die Cyberpunk-Vision fand schnell eine breite Anhängerschaft, und das literarische Genre mauserte sich zu einem kunterbunten massenkulturellen Modekomplex, zu dem ältere Filme wie »Bladerunner« und neuere wie »Brazil« oder »Lawnmower Man« rechnen, TV-Shows wie »Max Headroom« oder Oliver Stones »Wild Palmes«, Musikstile wie Industrial, Rave, Acid House, Musiker und Künstler wie Brian Eno, Stelarc oder Mark Pauline und seine Survival Research Labs.

      Die Vielfältigkeit der Cyberszene macht eine klare Definition schwer. R. U. Sirius bezeichnet Cyberpunk als »eine Weltsicht, eine fundamentale Beschreibung der Richtung, in die die westliche Zivilisation marschiert, wild


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