Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

Cyberland - Gundolf S. Freyermuth


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sieht durch mich hindurch, als läge hinter mir eine andere Galaxis. »Ich bin Jahrgang 1952.«

      Der bisherige Lebensweg meines Cyber-Zerberus folgte strikt den Windungen des Zeitgeistes, und so begehrte er, ein Hippie zu werden, kaum dass er in seiner damaligen Inkarnation als Ken Goffman pubertierte:

      »Das Angenehme daran war, dass diese Veränderung meines Lebens keiner besonderen Anstrengung bedurfte.«

      R. U. Sirius lächelt das leicht buddhistische und enervierende Lächeln, das sein Markenzeichen ist, und erzählt weiter, wie er im Sommer 1968, bereits vom Hippie zum Marxisten bekehrt, in einem Buchladen jobbte und eine Kopie von Abbi Hoffmanns »Revolution for the Hell of It« stahl.

      »Das wurde der größte Einfluss meines Lebens. Da fand ich die psychedelische Dada-Energie, das Potential für Aggression und Spannung, das Verlangen, alles auf den Kopf zu stellen. Die Cyberkultur ist nur mein jüngster Schritt in diese Richtung.«

      Der Marxist wandelte sich damals zum anarchistischen Yippie und, im Gegensatz zur Mehrheit seiner alternativen Wegbegleiter, zum radikalen Anhänger des technischen Fortschritts.

      »Technophil wurde ich aus der Überlegung heraus, dass in der befreiten Gesellschaft den Menschen alle Arbeit von Maschinen abgenommen würde. Im Grunde ist das ein Gedanke von Herbert Marcuse, der hier in der Bay Area sehr populär war.« R. U. Sirius holt Luft: »Trotzdem hat mir meine Technikliebe lange Zeit viel Ärger eingetragen. Die Alternativ-Szene verkannte ja die ungeheuren Möglichkeiten. Die Leute des ‘New Age’ zum Beispiel wollen alles verlangsamen, während wir an der ‘New Edge’ alles beschleunigen wollen. Aber ich wusste, die Gegenkultur würde irgendwann aus der pessimistischen Ablehnung des technischen Fortschritts herausfinden müssen. Die Revolution wird aus Optimismus gemacht. Aus Begehren und nicht aus Versagung, aus Verschwendung und nicht aus Askese; nicht aus Verboten, sondern aus Wünschen.«

      Anfang der achtziger Jahre, kurz nach seiner Ankunft an der Westküste, beschloss R. U. Sirius, zum Verkünder der technischen Heilslehre zu werden.

      »Ich fühlte, dass ich etwas mitzuteilen hatte. Erst wollte ich eine Band gründen. Aber wir konnten keinen Schlagzeuger finden. Und dann versuchte ich es eben mit einer Zeitschrift.«

      1984 traf er auf der Äquinoktium-Party eines lokalen Magiers die Anthropologin Queen Mu alias Alison Kennedy. Die Ex-Freundin von Aldous Huxley ist Expertin für Kröten, Spinnen und Stachelrochen, über deren halluzigene Körpersäfte sie wissenschaftliche Abhandlungen veröffentlicht hat. Mit ihrem bescheidenen Erbe gründeten Queen Mu und R. U. Sirius das Billig-Zine »High Frontiers«.

      »Ich fühlte, dass digitale Technologie und auch abstrakte Erkenntnisse und Entdeckungen wie die Chaostheorie und die Quantenphysik ein neues Totem für das psychedelische Bewusstsein werden würden. Wir wollten diese Technik und das neue Wissen propagieren. Wir wollten Leute sein, die herausragen und sich nicht fürchten.« R. U. Sirius grinst stolz: »Als erstes haben wir damals die Hacker-Gemeinschaft an den Ohren aus ihren abgedunkelten Zimmern ans Tageslicht gezerrt. Sie haben geschrien und gezetert. Aber es hat ihnen nichts geholfen. Die gesamte Computerindustrie im Silicon Valley war ja durchsetzt von Leuten, die eine Hippie-Ästhetik hatten, linke oder libertäre Politik, all diese wirren Zauberer, und das wusste keiner.«

      Ende der achtziger Jahre und getragen von der Cyberpunk-Welle mutierte das bescheidene »High Frontiers« (Auflage fünfzehnhundert Stück) erst zu »Reality Hackers« (Start 1987, Auflage zwanzigtausend Exemplare) und schließlich zum hochglänzenden »Mondo 2000«.

      »Diese Namensänderung und das äußere upgrading waren nötig, um wenigstens ein Stück weit ins Massenbewusstsein vorzustoßen«, sagt R. U. Sirius über sein »Mutazin«: »Ich betrachte es nicht wirklich als Journalismus, mehr als Performance Art. Wobei ich den Gedanken liebte, ein Magazin zu veröffentlichen, das in seinem Titel ein Verfallsdatum trägt: das Millennium. Mit jeder Nummer von ‘Mondo 2000’ betreiben wir den Countdown zur Apokalypse.«

      Das kunst- und technikverliebte Kult-Blatt, zwischen 1989 und Ende 1995 mit nur vierzehn Ausgaben zu je rund siebzigtausend Exemplaren erschienen, wirkte auf dem amerikanischen Zeitschriftenmarkt äußerst stilbildend. Der Gesamtkunstwerk-Ansatz schert sich selbst um ökonomische Nachteile nicht: Werbekunden müssen ihre Seiten zur Genehmigung vorlegen, als handele es sich um redaktionelle Illustrationen. Entsprechen die Anzeigen - für Hightech-Konsumgüter und Wilhelm Reichsche Orgondecken, für Ufo-Detektoren und Computermessen - nicht den ästhetischen Standards, werden sie abgelehnt.

      Die Ansprüche ans Lesepublikum sind ebenfalls hoch. »Mondo 2000« adressiert die Verrücktesten und Neugierigsten unter den Klugen und präsentiert technologische Innovationen, arkanes Wissen und die neuen Computer-Wirklichkeiten nicht nur erotischer als der »Playboy« seine nicht minder künstliche Wetware, sondern auch komplizierter als manch wissenschaftliches Fachbuch.

      »Wir verlangen von unseren Lesern, dass sie sich anstrengen«, sagt R. U. Sirius.

      Er firmiert im Impressum als »Icon-at-Large«, was in Anspielung auf den »Reporter-at-Large«, der gründliche Artikel schreiben darf, wie auf den Kriminellen, der »at large«, also auf der Flucht ist, soviel bedeutet wie »flüchtige Ikone mit sehr viel Freiheiten«. Weggefährtin Queen Mu übt die Funktion einer »dominineditrix« aus. Zusammen sorgen sie für intelligente hedonistische Artikel, die vom Einfluss ihrer Idole William S. Burroughs und Timothy Leary, Abbi Hoffmann und Robert Anton Wilson zeugen, aber ebenso für seltsame Berichte über seltsame Dinge.

      »Mondo 2000«-Leser erfahren zum Beispiel einiges über »Die Musik der Doppelhelix«, »Kybernetische Juwelen - tragbare Microcomputer« oder Extrem-BBS, die schwer zu beschaffende Infos enthalten, etwa wie man eine eigene Atombombe baut oder einen Mörderwal masturbiert. Ein Leichenteil-Memorabilien-Händler verteidigt sein Gewerbe - »Einzig der Tod ist noch demokratischer als der freie Markt, richtig? Also, hier haben wir einen Geschäftszweig, in dem beides zusammengeht« - und schwärmt dabei von dem idealen Package-Deal: »Das Tagebuch von Che Guevara zusammen mit der Hand, die es schrieb!« Blixa Bargeld von »Einstürzende Neubauten« offenbart: »Die RAF-Leute waren meine Helden.« Jeff Koons wird als »Liberace der Endzeit« porträtiert. Ein Essay des führenden L.A.-Historikers Mike Davis über die kalifornische »Ökologie der Angst« beschreibt die Planung virtueller Gefängnisse. Und in einem Interview spricht der »Ausserirdische-Elfen-brachten-uns-die-Drogen«-Pabst Terence McKenna von der Möglichkeit, das gesamte Wissen der Menschheit auf ein paar dunkle Kontaktlinsen herunterzuladen, um es so jederzeit vor Augen zu haben, und schließlich gesteht er: »Der menschliche Verstand ist unglaublich pervers. Ich weiß das, weil ich selbst einen habe.«

      Das zweite »Katzenjammer-Kid der Psychedelic-Szene« ist Terences Bruder Dennis. Zur Diskussion seiner Theorien merkt die »Mondo 2000«-Redaktion in Klammern kühl an: »Dennis McKennas Hyperkarbolations-Theorie verbindet Elektronenwirbelresonanzlehre, holographische DNA-Informationsgewinnung, Supraleiterforschung und psychedelische Chemie. Postdiplom-Abschlüsse auf irgendeinem dieser Wissensfelder wären hilfreich, um herauszufinden, ob das alles nicht nur eine Kiste voller Scheiße ist.«

      »Und wenn?« R. U. Sirius macht eine wegwerfende Handbewegung. »Die Wirklichkeit ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir Kreativen und Verrückten mehr Macht und Einfluss bekommen als die engstirnigen Sturköpfe, die normalerweise den Ton angeben.« Um seine eigene Machtbasis auszuweiten, forme er gerade eine Unternehmungsgruppe. »Natürlich mit dem Fernziel, die Welt zu übernehmen. Wenn man eine Sache anfängt, muss man sie auch voll durchziehen.«

      Wie Andy Warhol sich selbst zur Ikone des Pop inszenierte, arbeitet R. U. Sirius an seinem Aufstieg zur Ikone des Cyber. Warhol verfügte mit »Interview Magazine« über ein eigenes Sprachrohr, Sirius hat »Mondo 2000«, um seinen Ruhm zu mehren. Warhol brachte seine Pop-Philosophie in Buchform unter die Menschen, Sirius hat den »User’s Guide to the New Edge« publiziert. Nun hat er - wie Warhol mit »Velvet Underground« - eine eigene Band gegründet. Als Name für seine akustische Schöpfung, die »Hauskapelle des Simulacrums«, wählte er »Mondo Vanilli«:

      »Ich trete auf und wieder ab. Ich bin der Michael Jackson für Arme. Und Kluge. Ich erscheine und verschwinde. Das soll meine Rolle in der Band sein. Doch wir haben daneben eine


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