Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung. Klaus Stieglitz

Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung - Klaus Stieglitz


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von ihrer Lebensader getrennt worden. Schon 2006 wurde die Erschließung der Ölvorkommen als Bedrohung dieses einzigartigen Ökosystems benannt. Im selben Jahr wurde erstmals Öl industriell gefördert. Hat sich die Gefahr so schnell verwirklicht? Wir werden dem auf den Grund gehen.

      Zunächst tauchen am Straßenrand verrostete Hinweisschilder auf die Ölfelder auf, dann völlig unvermittelt Hochspannungsleitungen. Immer öfter passieren wir mit Stacheldraht umzäunte Ölpumpen. Wir sind mitten in den Ölfeldern von Thar Jath. Und ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, erheben sich vor uns sechs rot-weiß geringelte Schlote in den Himmel.

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      Sie gehören zu der Raffinerie, die vor ein paar Monaten errichtet wurde und erst vor wenigen Wochen in Betrieb ging. Aus zweien der Schlote steigen dunkle Abgaswolken auf. Blanke Metallflächen an Rohren, Tanks und Gebäuden spiegeln das gleißende Sonnenlicht. Die Anlage ist umzäunt, die Wachtürme an den Ecken wirken einschüchternd.

      Wir fahren an der Anlage vorbei sechseinhalb Kilometer weiter nach Rier. Dort protokollieren wir die mit vielen Bewohnern geführten Gespräche. Dieses Rier ist das neue Rier. Dort, wo das alte lag, befindet sich nun eine Rohölförderanlage. Die 3500 Einwohner wurden 2005 von der nordsudanesischen Regierung gezwungen, von einem Tag auf den anderen ihr Dorf zu verlassen. Nach Angaben der Dorfbewohner kontrollierte der Nordsudan die Gegend bis Anfang des Jahres. Es gab weder Entschädigungen noch Hilfen beim Aufbau des neuen Dorfs.

      Der neue Wohnort mutet eher wie ein Flüchtlingslager an, kaum wie eine gewachsene Heimat. Es wurden hier nicht – wie sonst in dieser Gegend üblich – zuerst die Tukul-Lehmhütten gebaut und dann die Verbindungswege zwischen den verstreuten Behausungen. Hier wurden mit Lineal und rechtem Winkel erst die Straßen gezogen und dann die Verschläge für Menschen entlang dieser Pisten gebaut. Die Vertreibung dieser Menschen ist eine weitere eklatante Missachtung grundlegender Menschenrechte.

      Besonderen Grund zur Klage gibt es wegen der Trinkwasserqualität. Eine Handpumpe soll frisches Grundwasser aus dem Boden fördern. Doch nutzen die Einwohner von Rier dieses Wasser nicht mehr. Sie vermuten, dass das Wasser von den Ölfirmen mit Chemikalien verunreinigt ist. Ein junges Mädchen berichtet: »Das Wasser schmeckt bitter. Wir waschen damit nicht einmal mehr unsere Kleidung, weil es die Farben angreift und die Stoffe zerstört.« Sie bestätigt damit die zahlreichen Aussagen, die unseren Kontaktmann derart beunruhigt haben, dass er sich an uns wandte.

      Am 13. Februar nehmen wir in Rier an dieser Handwasserpumpe unsere erste Wasserprobe. Anschließend fahren wir weiter in das 23 Kilometer von der Raffinerie entfernte Koch. Das Thema Umweltverschmutzung scheint allgegenwärtig. Viele unserer Gesprächspartner, die von Viehsterben und schlechtem Wasser berichten, wollen aus Angst vor Repressalien ihre Namen nicht nennen. »Uns sind alle möglichen Versprechen gemacht worden, Schulen, Straßen, Versorgung. Aber was haben wir davon? Sehen Sie hier irgendwo Schulen? Was wir brauchen, ist gesundes Land und sauberes Wasser, damit wir unsere Herden grasen lassen können«, sagt ein junger Mann.

      Später treffen wir auf den amtierenden Commissioner des Landkreises Koch, Oberst Peter Bol Ruot, der in einem schön ausgebauten Tukul seltsam altmodisch Hof hält. Es ist sehr sauber, aufgeräumt. In der Mitte des Hofes steht ein schattenspendender Akazienbaum. In von der Sonne ausgebleichten Plastikstühlen dürfen wir Platz nehmen. Hinter einem kleinen Tisch steht der Stuhl des Hausherrn. Auf dem Tischchen liegt sein Satellitentelefon – das Statussymbol schlechthin in diesem abgelegen Landstrich. Es ist fast, als erhielten wir eine Audienz.

      Freundlich beantwortet der Commissioner unsere Fragen. Was wir erfahren ist alarmierend. Im Jahr 2006, so erzählt er, seien 27 Erwachsene und drei Kinder gestorben, weil sie mit Chemikalien verseuchtes Wasser getrunken hätten. Derzeit seien bis zu 1000 Menschen krank davon. Zahlreiches Vieh sei verendet, nachdem es verseuchtes Wasser getrunken hätte. Er habe die Klagen aus der Bevölkerung zusammengetragen und sich an das Ölkonsortium gewandt, das Lizenznehmer in diesem Block 5A genannten Fördergebiet sei. In drei Fällen seien Entschädigungen geleistet worden, »ohne Anerkennung eines Verschuldens seitens des Betreibers«, wie ein anderer Behördenvertreter »AFP« gegenüber später anmerkt. Weiter sei nichts geschehen, trotz der vielen Fälle.

      Kurz nach dem Gespräch mit dem Commissioner treffen wir einen Mann,39 der für eine der Ölfirmen arbeitet. Er erzählt freimütig, dass Männer mit Handschuhen und Atemschutzmasken in zuvor ausgehobene Gruben Chemikalienabfälle werfen. Jetzt sei Trockenzeit, aber in der Regenzeit würden diese Gruben geflutet. Wir nehmen sowohl Proben aus dem Brunnen von Koch als auch aus den Sümpfen entlang der Straße von Koch nach Thar Jath um die Raffinerie und weiter südlich aus dem Brunnen der Ortschaft Mirmir und dort aus dem Sumpf. Der geringste Abstand zur vermuteten Quelle der Verunreinigungen – der Raffinerie – sind 600 Meter, der größte 32,7 Kilometer.

      Mit den Proben im Gepäck reisen wir zurück nach Leer und sprechen mit dem dortigen Commissioner. Kurz danach begegnen wir zufällig dem schillernden40 Vizepräsidenten des seit 2005 autonomen Südsudans, Dr. Riek Machar Teny, und seiner Frau Angelina Teny, die seit 2005 in der gemeinsamen Übergangsregierung von Nord und Süd Energieministerin in Khartum ist. Ein merkwürdiges Zusammentreffen. Machar plaudert freundlich ein paar Worte mit uns, fragt auch nach unseren aktuellen Erkundungen. Trotzdem haben wir den Eindruck, gegen eine Wand zu reden. Was wir sagen, interessiert ihn nicht wirklich, hat es den Anschein. Vielleicht denken wir beim Anblick seiner ostentativ zur Schau gestellten Macht auch zu sehr an das Leid der Menschen im Südsudan.

      Seine Frau, die hoch angesehene südsudanesische Politikerin, lässt er nicht zu Wort kommen. 2006 sagte sie auf einer Konferenz in Juba, dass es Probleme mit dem Prozesswasser gebe, das bei der Ölförderung anfällt. Diese seien bei den älteren Bohrstellen im Norden besonders problematisch, die Firmen, die im Süden gerade beginnen, seien hingegen auf einem guten Kurs.41 Möglicherweise schweigt sie auch deshalb, als wir von unserem Verdacht erzählen.

      Am nächsten Tag fliegen wir zurück nach Nairobi. Am Tag darauf halten wir eine Pressekonferenz ab, in der wir den Medien die vorläufigen Ergebnisse unserer Erkundungsreise vorstellen. Dabei fordern wir nachdrücklich die Regierung Sudans zum Handeln auf. Schon allein die von uns gesammelten Zeugenaussagen belegen massive Gesundheitsbeeinträchtigungen und schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt.

      Zurück in Deutschland, übergeben wir am 18. Februar die Wasserproben zur wissenschaftlichen Analyse an ein renommiertes Labor. Das Ergebnis bestätigt die Vermutungen: Das Wasser aus dem Brunnen von Rier erweist sich als stark kontaminiert. Die Analyse ergab einen Gesamtsalzgehalt von 6600,50 Milligramm pro Liter Wasser (mg/l) und eine Belastung mit Strontium in Höhe von 6,7 mg/l. Zudem weist das Wasser dieser Probe einen Nitratgehalt in Höhe von 81,6 mg/l auf. Der von der US-Umweltbehörde EPA empfohlene Grenzwert42 für den Gesamtsalzgehalt von Trinkwasser liegt bei 500 mg/l. Dieser Wert wird bei der untersuchten Probe um das mehr als 13-Fache überschritten. Der Grenzwert für Nitrat liegt bei 10 mg/l und ist damit um das 8-Fache überschritten. Eine Nitratkonzentration in dieser Höhe kann bei Säuglingen schwere Erkrankungen hervorrufen, die bei Nichtbehandlung zum Tode führen können. Die Befunde aus den weiter entfernten Entnahmestellen sind unauffällig.

      Das Ergebnis ist erschütternd. Die kommerzielle Ölförderung in diesem Gebiet hat ja gerade erst begonnen und läuft noch gar nicht mit voller Kraft.43 Hier bahnt sich eine furchtbare Umweltkatastrophe an, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Befund der Wasserproben wird mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegeben. Zahlreiche Medien im In- und Ausland berichten.

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      → Exkurs: Woher kommen die

      Verunreinigungen?

      In der Bohrtechnologie ist Wasser als Grundstoff für Spüllösungen von elementarer Bedeutung.44 Die generelle Bedeutung von Bohrspülungen in der Bohrtechnik liegt in der Stabilisierung eines reibungslosen Ablaufs des Bohrprozesses. Bohrspülungen sind während des Bohrvorgangs im Bohrloch umlaufende Flüssigkeiten, die das sogenannte Bohrklein nach oben befördern, den Meißel und das Bohrgestänge kühlen sowie die Bohrlochwand gegen Einsturz absichern. In nicht verfestigten Sedimenten, wie sie in dem betroffenen Gebiet vorkommen,45 werden der Spülung Stoffe zugesetzt, die eine Filterkruste bilden


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