Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung. Klaus Stieglitz
gemacht.
Der erste Schritt erfordert keinen großen Aufwand: Klaus Stieglitz ist mit dem Mitarbeiter eines Wasserlabors in der Nähe des Bodensee befreundet. Von seinem Freund lässt er sich zeigen, wie Wasserproben zu nehmen, Schnelltests durchzuführen und die Proben für eine Laboruntersuchung zu präparieren sind. In einem anderen Labor am Bodensee sollen auch die notwendigen weiteren Analysen durchgeführt werden. Probenbehälter werden zur Verfügung gestellt, Formulare für die anstehenden Probennahmen entworfen.
→ Exkurs: Der Süden lernt,
seine Interessen wahrzunehmen
Anders als der chaotische Gesamteindruck des zerrissenen Landes mit all seinen widerstreitenden Kräften und Interessen vermuten lässt, gibt es auch im Sudan klar definierte Leitsätze für den Umgang mit den Ölvorkommen und ihrer sozial- und umweltverträglichen Nutzung. Von mangelnder Kenntnis des Gefährdungspotenzials kann keine Rede sein.
Die streitenden Parteien des Bürgerkriegs hatten im Verlauf der Friedensverhandlungen bereits im Januar 2004 bei ihrem Treffen in Kenia festgelegt, dass bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Nachhaltigkeitsstandards zu beachten seien. Das am 7. Januar 2004 im kenianischen Navaisha unterzeichnete Grundsatzprotokoll wurde als Kapitel III Bestandteil des Umfassenden Friedensabkommens von 2005.6 Konkret formulierten die Parteien unter Punkt III. 1.10 des Protokolls über die Teilung des Wohlstands als Leitprinzip für den verantwortungsvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen, »… dass die am besten bekannten Methoden bei der nachhaltigen Nutzung und der Kontrolle der natürlichen Ressourcen befolgt werden sollen«.7 Das heißt nichts anderes, als dass bei der Ausbeute der natürlichen Ressourcen des Landes internationale Standards eingehalten werden sollen.
Die Grundsätze für die Nutzung der Ölvorkommen werden in Unterpunkt 3 dieses Protokolls gesondert ausgeführt. In Bezug auf die Umwelt- und soziale Verträglichkeit der Ölförderung werden klare Vorgaben gemacht. Vertreter von Regierung und Rebellen waren sich demnach zu diesem Zeitpunkt voll bewusst, dass die Ölförderung mit besonderen Eingriffen in Natur, Umwelt und Lebensraum von Mensch und Tier verbunden ist, die es zu gewärtigen gilt. Nationales Interesse und öffentliches Wohl werden zwar als erstes der zu beachtenden Interessen bei der Erschließung und Förderung von Öl benannt,8 gleichrangig danebengestellt werden aber die Interessen der betroffenen Regionen9 und die Interessen der lokalen Bevölkerung.10 Abschließend enthält die Aufzählung der für alle weiteren Entscheidungen maßgeblichen Voraussetzungen die Einhaltung der nationalen Umweltvorschriften, der Richtlinien für die Erhaltung der Biodiversität und der Prinzipien für den Schutz des kulturellen Erbes.11 Zugleich wird eine paritätisch besetzte National Petroleum Commission (NPC) ins Leben gerufen, die unter anderem beauftragt ist, ein an den oben genannten Punkten ausgerichtetes Regelwerk für die Ölindustrie zu erschaffen.12 Ausschließlich diese NPC soll in Zukunft Verträge mit Ölförderern aushandeln.
Zumindest auf dem Papier endet damit die Zeit, in der die Bewohner des Südsudan Verfügungsmasse des Nordens waren, die nach Bedarf benutzt, vertrieben oder ausgemerzt wurde. Noch bis ins Jahr 2003 hinein kam es trotz diverser Waffenstillstandsabkommen immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen sowie massiven Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Grund war zum einen die Absicht, die Kontrolle über die Ölquellen zu behalten beziehungsweise zu erlangen, maßgeblich auf Regierungsseite war jedoch, ihren vor Ort aktiven Vertragspartnern ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Bereits seit 1999 berichteten Menschenrechtsorganisationen immer wieder von Angriffen auf die Zivilbevölkerung, um sie aus dem Einzugsbereich der Ölquellen zu vertreiben.13 Mit Unterbrechungen gelang es den Ölsuchern mit dieser Art von Unterstützung, trotz des Bürgerkriegs ihre Probebohrungen fortzusetzen und Ölquellen zu erschließen.
Das Comprehensive Peace Agreement (CPA) macht nun erstmals die Südsudanesen zu gleichberechtigten Partnern. Vertreter der Rebellenpartei erhalten volle Einsicht in die bestehenden Verträge mit Ölförderfirmen und werden mandatiert, zur Beurteilung der Auswirkungen dieser Verträge technische Experten zu beauftragen.14 Besonders hervorgehoben wird dabei die Evaluierung der bereits vorhandenen Auswirkungen. Die Vereinbarungen bleiben auch nicht Tinte auf geduldigem Papier: Im Jahr 2006 überträgt die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) norwegischen Experten die Erstellung eines Gutachtens über die bisherigen Auswirkungen der Ölförderung im Südsudan und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den zu erwartenden weiteren Ausbau der Ölindustrie.15
In den Jahren 2007 und 2008 bereist ein Team des Norwegian Directorate for Nature Management den Sudan. Nach Gesprächen mit Regierungsvertretern und Offiziellen in Khartum und Juba besuchen die Experten vorhandene Industrieanlagen und Entsorgungsanlagen, um sich vor Ort ein Bild von den Auswirkungen und Herausforderungen der Erschließung und Förderung von Öl im Südsudan zu machen. Maßstab für die Evaluation sind die geltenden internationalen Standards, die Erfahrung im Umgang mit den bekannten Risiken in anderen Ländern mit vergleichbarer On-shore-Ölförderung und die besonderen Bedingungen vor Ort. Probenentnahmen von Wasser, Boden oder lebenden Organismen aus dem Umfeld der Ölbohr- und Förderanlagen finden kaum statt. Das Verfahren ist üblich: Das Ergebnis der Evaluation zielt zunächst darauf ab, den Rahmen aufzuzeigen, aus dem dann die weiteren, konkreten Maßnahmen abzuleiten sind: ein Anfang, mitten in der schon fortgeschrittenen Erschließung des Öls im Südsudan.
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Am 6. Februar 2008 brechen zwei Mitarbeiter von Hoffnungszeichen zu einer 10-tägigen Reise in den Südsudan auf. Begleitet werden wir von zwei einflussreichen Journalisten. Einer ist Kenianer und arbeitet für die Nachrichtenagentur »AFP« (Agence France Presse). Er stößt in Nairobi zu unserer Reisegruppe. Das »AFP«-Büro in Nairobi ist gut besetzt und interessiert sich sehr für den Südsudan. Der »AFP«-Mitarbeiter wird nach dieser Reise eine Reihe von Berichten absetzen, die Themen laufen über die Ticker einer der weltgrößten Nachrichtenagenturen. Der Deutsche ist Redakteur der »Schwäbischen Zeitung«, einer Tageszeitung im Südwesten Deutschlands. Auch er wird nach der Reise seine Eindrücke veröffentlichen.
Nach Zwischenstopps in Nairobi und Juba erreichen wir am 8. Februar in einem kleinen gecharterten Flugzeug Raga. Der Flug hat fünf Stunden Verspätung, weil der schon in die Jahre gekommene Buschflieger nicht startklar war. Der Flughafen von Raga besteht aus einer langen sandigen Piste, das Flughafengebäude ist ein Container. Die Kleinstadt, mit etwa 20 000 Bewohnern eine der größeren Ansiedlungen im Südsudan, befindet sich nahe der noch virtuellen Grenze zum nördlichen Sudan in Western Bahr el Ghazal.16 Der Ort ist zugleich Sitz des Bezirk-Commissioners für das County Raga.
In Raga schlagen wir unser Basislager auf. Es ist ein kleiner Zeltplatz, der innerhalb eines umfriedeten Areals ganz in der Nähe traditioneller Tukuls aufgebaut wird. Geschlafen wird auf Isomatten am Boden, gekocht mit Camping-Kartuschen. Besonders abends kann es vorkommen, dass sich irgendwelches Getier aus der Umgebung zu uns verirrt. Eine handtellergroße Spinne muss im aufgekrempelten Hosenbein mitgereist sein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie nachts plötzlich im Zelt deutlich vernehmbar die Innenwand erklimmt. Ein instinktiv über sie gestülpter Kaffeebecher reicht gerade, um das Riesenvieh nach draußen zu befördern. Von nun an werden Hosenaufschläge verstärkt kontrolliert. Manchmal hören wir aufgeregtes Geschrei der Anwohner und wissen dann, dass eine giftige Schlange gesichtet wurde. Keinerlei Reaktionen ruft ein Waran hervor, eine 1,5 Meter lange Echse, die gemächlich durch die kleine Ansiedlung schleicht. Der Waran bedeutet keine Gefahr. Ganz nah und ohne Anzeichen von Angst geht er an uns vorbei und streift uns mit keinem Blick.
Seit 2007 liegt eines der Hilfsprojekte von Hoffnungszeichen in Raga. Ein Pater von den Comboni-Missionaren leitet hier ein Schulprojekt. 2001 mussten die Brüder vor dem Krieg fliehen. Nach Ende der Kampfhandlungen kehrten sie an ihren alten Wirkungsort zurück und bauten die stark beschädigten Lernorte wieder auf. 1200 Kinder werden an zwei nach Geschlechtern getrennten Grundschulen und einer weiterführenden Schule unterrichtet. Die meisten Kinder stammen aus großen und sehr armen Bauernfamilien. Mit jährlich 20 000 Euro werden Nahrungsmittel für die tägliche Schulspeisung und Lehrmittel der Kinder finanziert, in diesem Jahr auch kleinere Reparaturen. Neben den Schulen unterhalten die Combonis in Raga County auch zahlreiche Kindergärten.
Am nächsten Tag fahren wir nach Boro Medina, 100 Kilometer westlich von Raga. Die Fahrt dauert fünf Stunden. Im Flüchtlingslager