Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung. Klaus Stieglitz

Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung - Klaus Stieglitz


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in einer Montagnacht in der ersten Januarwoche verlassen. In dieser Nacht sei das Dorf angegriffen worden. »Sie kamen in den späten Abendstunden zu Fuß und in Autos. Sie töteten die meisten Bewohner des Dorfs mit ihren Gewehren und steckten das Dorf in Brand. Wir waren alle auf uns allein gestellt. Ich nahm meine Kinder und lief weg. Die Angreifer schossen auch auf mich.« Als wir fragen, ob sie die Angreifer näher beschreiben könne, erzählt sie, dass sie eine schwarze Hautfarbe gehabt hätten, grüne Uniformen mit Rangabzeichen und dunkelblaue Mützen getragen hätten. Abgesehen hätten sie es besonders auf Angehörige der schwarzafrikanischen Ethnie der Zaghawa. Bei dem Überfall seien ihr 30 Stück Vieh und sämtliche Getreidevorräte geraubt worden.

      Kurz nach dem Interview mit der Mutter können wir auch mit ihrer etwa achtjährigen Tochter sprechen. Das Kind erinnert sich, dass es nachts an der Hand seiner Mutter weggelaufen sei und Schüsse gefallen seien.

      Einige Tage später, am 18. Januar 2008, sei das Dorf Malaaka in der Nähe von Rudom überfallen worden, erfahren wir von einer anderen jungen Mutter, die mit ihren drei Kindern ins Lager floh. In den frühen Morgenstunden hätten Dschandschawid das Dorf überfallen und in Brand gesetzt: »Sie kamen um drei Uhr morgens. Ich hörte sie schießen. Da nahm ich eines meiner Kinder auf den Rücken, das zweite vor die Brust, das dritte nahm ich an die Hand und rannte davon.« Später erfuhr die 22-Jährige, dass ihr Bruder bei dem Überfall durch einen Schuss in den Oberkörper verletzt wurde.

      In unserem Bericht für den Human Rights Council der Vereinten Nationen über andauernde Menschenrechtsverletzungen durch die Milizen und das reguläre Militär werden die Augenzeugenberichte wichtige Beweismittel sein.

      *

      Was macht das Salz im Trinkwasser? Erste Spurensuche im Ölfeld Thar Jath: Am 12. Februar 2008 fliegen wir von Raga aus nach Leer, wo wir unser neues Basislager einrichten. Von hier aus beginnen wir unsere Recherche über die Wasserverschmutzung. Noch am Ankunftstag fahren wir von Leer aus in den Nilhafen Adok, der die Erdölfelder verkehrstechnisch an den Wasserweg nach Norden anbindet. Von Adok aus gibt es eine wetterfeste Schotterstraße in ausgezeichnetem Zustand mindestens bis nach Bentiu, der Hauptstadt des Teilstaats Unity. Für den Bau dieser Straße, die die Ölfelder zugänglich macht, mussten die früheren Bewohner der Gegend einen hohen Preis zahlen. Im Jahr 2000 hatte die mit Probebohrungen beschäftigte schwedische Firma Lundin Oil sich bei der Regierung in Khartum darüber beschwert, dass es wegen der schlechten Straßenverhältnisse in ihrem Konzessionsgebiet zu Arbeitsverzögerungen komme. Die nächsten militärischen Aktionen der Regierungstruppen in der Trockenzeit richteten sich gegen die Bevölkerung vor Ort, deren Ansiedlungen einen Straßenbau behinderten. Ganz gezielt wurde für den Straßenbau die Gegend »gesäubert«. Zehntausende Menschen wurden getötet oder zur Flucht gezwungen, ihre Dörfer zerstört20 Bereits im Jahr 2003 legte Human Rights Watch einen fast 600-seitigen Report über diese Zusammenhänge und Hintergründe des Bürgerkriegs im Sudan vor.21 Es hat einen seltsamen Beigeschmack, dass wir es nun auf dieser Straße nach all den holprigen Pisten geradezu genießen, gut und schnell voranzukommen.

      Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg in das Ölfeld von Thar Jath, in dessen Umgebung die Umweltverschmutzungen vorkommen sollen. Wir fahren auf der breiten Straße nach Norden und lassen uns vom Anblick der absolut unberührt wirkenden Natur überwältigen. Das Gebiet, an dessen Rand wir nun unterwegs sind, ist eines der größten zusammenhängenden tropischen Feuchtgebiete der Erde. Der Nil verzweigt sich hier in kaum wahrnehmbarer Fließgeschwindigkeit in ein riesiges Delta. Je nach Niederschlagsmengen und Zufluss durch die Quellseen des Flusses nimmt der Sudd eine Fläche von bis zu 5,7 Millionen Hektar ein, was der Größe Belgiens entspricht. Während der Trockenzeiten weiden Hirten ihre großen Rinder- und Ziegenherden auf dem fruchtbaren Grasland, das hier entsteht. Meterhoch steht dann das Gras. Der natürliche Tierreichtum des riesigen Sumpf- und Überschwemmungsgebiets hat Experten zu einem Vergleich mit der Serengeti veranlasst.22 Vögel in buntesten Farben begleiten uns, ein Weißkopf-Seeadler sitzt direkt an der Straße.

      Uns unbekannte Vogelarten – eine farbenprächtiger als die andere – vermitteln einen ebenso interessanten Einblick in die Artenvielfalt wie eine etwa einen Meter lange Echse, die gelangweilt in der gleißenden Sonne liegt.

      Am Weltumwelttag 2006 wurde der Sudd in Khartum in einer feierlichen Zeremonie als zweite sudanesische Landschaft im Rahmen der internationalen Ramsar Convention23 in die Liste der Feuchtgebiete von weltweiter Bedeutung aufgenommen.24 Damit wurde die außerordentliche Bedeutung dieses viertgrößten Sumpfgebietes der Erde manifestiert. Der Sudd erfüllt alle Kriterien, die für eine Klassifizierung nach der Ramsar Convention vorgesehen sind.25 Einen Schutzgebietsstatus im engeren Sinn bedeutet die Aufnahme jedoch nicht. Für den Schutz ist der Sudan zuständig, der nun gehalten ist, entsprechende Regelwerke und Kontrollmechanismen zu schaffen.26

      Ökologisch besteht das riesige Feuchtgebiet aus zahlreichen verschiedenen Ökosystemen, von offenem Wasser mit Unterwasservegetation, schwimmender Randvegetation, klassischen Sumpfgebieten bis hin zu saisonal überfluteten Wäldern, von Regen- und Flusswasser genährten Grasniederungen, Auen und Buschland. Hier überwintern Vögel, die nicht nur für den regionalen, sondern auch den internationalen Naturschutz von Bedeutung sind, darunter der Rosapelikan, der eine Flügelspannweite von 3,60 Meter erreichen kann, Weißstörche, Kronenkraniche und Seeschwalben. Hinzu kommen nur hier vorkommende Fischarten, Vögel, Säuger und Pflanzenarten, die gefährdete Mongalla-Gazelle, Elen-Antilopen, Afrikanische Elefanten und Schuhschnabel-Störche. Riesige durchziehende Säugetierherden sind vom Grasangebot der Feuchtgebiete während der Trockenzeit abhängig.27

      Um eine Vorstellung von dem Artenreichtum in diesem Gebiet entwickeln zu können, kann man aktuelle wissenschaftliche Befunde heranziehen. Als 2007 in New York die südsudanesische Teilregierung und die amerikanische Umweltorganisation Wildlife Conservation Society gemeinsam das Ergebnis der ersten Bestandsaufnahme der südsudanesischen Tierwelt seit 25 Jahren veröffentlichten, erzählte einer der beteiligten US-Forscher, er habe beim Anblick des Tierreichtums seinen Augen nicht getraut.28 »Ich dachte, ich halluziniere«, erzählte er der »New York Times«.29 Bei der Zählung sei man auf hochgerechnet fast anderthalb Millionen Gazellen und Antilopen gekommen, darunter gesunde Populationen der nur hier und in Uganda vorkommenden Weißohr-Moorantilopen. Die Forscher beobachteten aus der Luft Tierherden, die dicht an dicht eine Kolonne von etwa 80 Kilometern Länge und 50 Kilometern Breite bildeten.30 Sogar die hier schon als ausgerottet geltenden Oryx-Antilopen wurden gesichtet, dazu Elefantenherden, Giraffen, Löwen, Leoparden.31 In Lagunen und Seen tummeln sich Krokodile und Flusspferde.32

      Nach den Erfahrungen aus den Bürgerkriegen in Mozambique und Angola, wo Wilderer die Tierpopulationen so gut wie vernichtet hatten, war man mit schlimmsten Ahnungen in den Südsudan gereist.33 Auch im Nordwesten des Südsudan wurde die Tierwelt durch Wilderer extrem in Mitleidenschaft gezogen, ebenso wie im südöstlichen Boma-Nationalpark. Einstmals hier vorkommende riesige Büffel- und Zebraherden wurden ausgelöscht.34 Immer wieder werden auch Berichte bekannt von Dschandschawid, die bis in die Nachbarländer eindringen und dort wegen des Elfenbeins ganze Elefantenherden abschlachten.35 Die Undurchdringlichkeit des Sudd verhinderte offenbar das weitere Vordringen der Wilderer. So wurde der Sumpf zum Schutzschild der Fauna des Südsudans.36

      Die Straßen, die zu den Ölquellen gebaut wurden, durchschneiden die traditionellen Wanderwege der Tiere, geben die Naturschützer 2007 zu bedenken. Was vor den Zerstörungen durch den Krieg wie durch ein Wunder gerettet wurde, droht nun doch noch Opfer zu werden. Dabei hat der Sudd noch eine ganz andere Funktion, die ihn so unersetzlich macht: Hydrologisch ist der Sudd ein riesiger Filter, der die Wasserqualität kontrolliert und normalisiert und wie ein riesiger Schwamm die Strömung des Wassers stabilisiert. Er ist die Hauptwasserquelle für Menschen und Tiere und zudem ein reicher Fischgrund. Die Bewohner des Sudd oder seines Einzugsgebiets gehören vorwiegend zu den Ethnien Dinka, Nuer und Shilluk. Ihre sozioökonomischen und kulturellen Aktivitäten sind völlig abhängig vom typischen Wechsel der Trocken- und Regenzeit im Sudd, durch den die Wiesen für ihre Rinderherden regeneriert werden. Sie kommen zu Beginn der Trockenzeit aus ihren festen Wohnsitzen im Hochland in die Niederungen, um ihr Vieh dort zu weiden und kehren mit Beginn der Regenzeit im Mai oder Juni in ihre Dörfer zurück.37 Einer der Gründe für den erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen Norden und Süden war auch die Absicht,


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