Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung. Klaus Stieglitz

Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung - Klaus Stieglitz


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aber auch Überschwemmungsopfer. Beim ersten Besuch übergaben wir 200 Hilfspakete. Bis heute sind insgesamt 1500 Hilfssäcke und rund 75 Tonnen Hilfsgüter verteilt worden. Diesmal haben wir 125 Hilfssäcke dabei, jeder 50 Kilo schwer. Neben nahrhaften Grundnahrungsmitteln erhalten die Familien Decken, Plastikplanen, Kochgeschirr, Moskitonetze, Seife und Hacken. Seit dem vergangenen Jahr haben sich die Lebensbedingungen im Lager nicht verbessert. Die Zahl der Schutzsuchenden ist von damals 1000 auf 2100 gestiegen.

      Eine 40-jährige Frau der Volksgruppe der Borge weiter im Norden floh im April letzten Jahres vor den Kampfhandlungen in ihrer Heimatregion hierher. Fünfzehn Tage lang war sie zu Fuß unterwegs. »Angst hatte ich, Angst«, erzählt sie. »Aus der Luft bombardierte uns ein Flugzeug, und am Boden begannen sie zu schießen.«

      Unterstützung erhalten die Menschen hier kaum. Es gibt keine sanitären Anlagen und keine wetterfesten Behausungen, von medizinischer Grundversorgung ganz zu schweigen. Das größte Problem aber sind Hunger und Durst. Viele unserer Gesprächspartner klagen, dass sie nichts oder zu wenig zu essen haben. In der Nähe des Lagers gibt es zudem kein Wasser, insbesondere kein sauberes Trinkwasser. Deshalb holen die meisten Frauen Wasser aus dem Fluss Boro, der 40 Laufminuten entfernt liegt. Inzwischen haben sich erst kürzlich vertriebene Familien in den Dörfern Minamba und Deim Jalab niedergelassen. Wir verteilen deshalb 45 Hilfssäcke dort, die anderen im Lager von Boro Medina. Für diese Lieferung stellte Hoffnungszeichen 20 000 Euro zur Verfügung. Ein weiterer Hilfstransport im Wert von 40 000 Euro ist in Planung.

      Am 11. Februar 2008 fahren wir zurück nach Raga und treffen uns mit vor Ort stationierten Militärs und paramilitärischen Kämpfern. In dieser Gegend kam es während der Bürgerkriege immer wieder zu Kampfhandlungen und massiven Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere auch durch die für den Nordsudan kämpfenden Milizen. Das CPA von 2005 sieht die Entwaffnung aller Milizen vor. Neben der Khartumer Armee und den Rebellen der SPLA gab es eine Vielzahl von paramilitärischen Milizen, die entweder Khartum oder der SPLA nahestanden. Einige der Milizkommandeure, die man guten Gewissens auch als Warlords bezeichnen kann, wechselten jedoch regelmäßig die Seiten. Dadurch wurde die Sicherheitslage in den betroffenen Landstrichen praktisch undurchschaubar, ein legitimes staatliches Gewaltmonopol gab es nicht. De facto herrschte das Recht des Stärkeren: Wer eine Waffe besitzt, kann seine Interessen durchsetzen. So ist es eines der wichtigsten Ziele des CPA, diese sogenannten OAGs (Other Armed Groups) aufzulösen oder formal in die SPLA oder die Regierungsarmee zu integrieren. Um dies durchzusetzen, gibt es ein Beobachtungsteam, das unter Führung von US-Militärs den Schutz von Zivilisten sicherstellen soll. Als NGO können wir unsere Beobachtungen diesem Team melden. Tatsächlich erhalten wir von unseren Kontaktpersonen vor Ort immer wieder Hinweise auf das Vorhandensein weiterhin bewaffneter Banden und auch auf bewaffnete Zwischenfälle in Süd-Darfur und weit in südsudanesisches Gebiet hinein.

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      Bei unserer Erkundungsreise 2007 erbrachten wir den Nachweis, dass in Raga trotz der Sicherheitsabsprachen des CPA zwei Jahre nach Ratifizierung des Abkommens unrechtmäßig weiterhin zwei Milizen stationiert waren. Mit den beiden Kommandeuren konnten wir damals sprechen. Die Quot-al-Salam-Miliz unter Major Hassan Mohammed Abo war mit 3750 Kämpfern im Ort stationiert, die Fursan-Miliz unter Major Hamdan Ahmed al-Momin mit insgesamt 1320 Kämpfern.

      Von Kontaktpersonen erfuhren wir 2008 vor Antritt der neuen Erkundungsreise, dass die Quot-al-Salam-Miliz in Umsetzung des CPA abgezogen sei. Die Fursan-Miliz soll sich, inzwischen drei Jahre nach Inkrafttreten des CPA, immer noch voll bewaffnet im Ort aufhalten. Nur der ursprüngliche Anführer sei nicht mehr da. Diesen Angaben wollen wir jetzt auf den Grund gehen.

      Die Kaserne, in der im vergangenen Jahr die Quot-al-Salam-Miliz lag, ist verlassen. Außer leeren Patronenhülsen, die überall auf dem sandigen Boden des Kasernengeländes herumliegen, haben die Kämpfer keine sichtbaren Spuren auf dem Gelände hinterlassen. Auch bei Fahrten durch den Ort sehen wir keine Angehörigen dieser Miliz mehr. Die Fursan sind jedoch weiterhin präsent. Im selben Befehlsstand, in dem wir uns im vergangenen Jahr mit dem damaligen Kommandeur trafen, sprechen wir nun mit den nach eigenem Bekunden gegenwärtigen Anführern. Ihr Feldzeichen, ein Blechschild, befindet sich immer noch am Eingang des Gebäudes. Ihre Truppe besteht nach eigenen Angaben derzeit aus 1623 Mann, von denen sich 500 bis 600 Kämpfer hier vor Ort aufhalten und aktuell als Händler auf dem Markt oder auch als Hirten arbeiten. Alle sind noch voll bewaffnet, ausgerüstet nach eigenen Angaben mit G3-Gewehren und Kalaschnikows, die ihnen die Regierung in Khartum bezahlt habe, von der sie auch weiterhin bezahlt würden und der ihre Loyalität gelte. Deshalb würden sie die Waffen nur an Vertreter der Regierung in Khartum herausgeben, allerdings auch nur gegen Bezahlung. Zeigen wollen sie uns die Waffen nicht. Das hätten sie schon bei UNMIS (United Nations Mission in Sudan)getan, deren Vertreter zudem Fotos gemacht hätten.

      Von den beiden »Amir«, wie sich die Befehlshaber bezeichnen, erfahren wir, ihnen sei zu Ohren gekommen, dass eine größere SPLA-Einheit von Wau aus auf dem Weg nach Raga sei, um die Fursan zu entwaffnen. Das würden sie aber nicht akzeptieren. »Wir werden ihnen unsere Waffen nicht geben. Wenn sie reden wollen, sagen wir nichts. Wenn sie kämpfen wollen, werden wir kämpfen.« Es ist eine gefährliche Gemengelage. Sollte die SPLA sich tatsächlich in Kampfhandlungen mit der Miliz verwickeln lassen, würde wieder neues Leid über die Zivilbevölkerung gebracht.

      Neben der Fursan-Miliz gibt es in Raga noch weitere Soldaten. Zwei reguläre Bataillone sind hier stationiert, je 350 Mann der Streitkräfte der Khartumer Regierung Sudan Armed Forces (SAF) und der ehemaligen Rebellenarmee SPLA. Diese Joint Integrated Unit (JIU) scheint zu funktionieren. Wir treffen uns mit dem Kommandeur des SAF-Teils. Er erzählt uns, dass das Verhältnis zwischen den beiden Einheiten gut sei, auch wenn man bis zum 9. Januar 2005 verfeindet war. Manchmal würden die Kommandeure sogar gemeinsam essen. »Spannungen zwischen den Soldaten der JIU gibt es nicht«, sagt er, »allenfalls, wenn sie betrunken sind.« Eine aus Spielern beider Bataillone zusammengesetzte Fußballmannschaft trete gelegentlich gegen andere Mannschaften aus Raga-Stadt an, erzählt er uns weiter, als wolle er illustrieren, wie normal der Alltag nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg schon ist. Das Fursan-Problem beschäftigt auch ihn, ebenso der Umstand, dass ihre Anwesenheit und ihre Finanzierung durch Khartum gleichermaßen eklatante Verstöße gegen das Friedensabkommen sind. Allerdings haben die JIUs kein Mandat, Milizen zu entwaffnen.

      Die erfolgreiche Weigerung der Fursan-Miliz, sich entwaffnen zu lassen, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Staatsgewalt in diesem Teil des Sudan mit ihrem legitimen Gewaltmonopol nicht wirkt. Der friedliche Abzug der Miliz würde einen Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Dramatisch aber sind die immer noch aktiv kämpfenden Dschandschawid-Reitermilizen in Darfur. Die Regierung in Khartum hat die arabischen Nomadenstämme mit modernen Waffen ausgerüstet und ausgebildet und sie zu Mitkämpfern auch gegen die rebellischen schwarzafrikanischen Stämme, die – aus Sicht des Nordens – unbotmäßigerweise Teilhabe und eigene Rechte im und am Land einfordern. Die Dschandschawid kämpfen nicht nur gegen bewaffnete Rebellen, sondern gegen die gesamte Bevölkerung. Massenmord, Plünderung und Vergewaltigungen sind die Regel.17

      In Khartum werden bei unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die an missliebigen Volksgruppen begangen werden, beide Augen zugedrückt. Man kennt dort die traditionelle Verachtung der arabischen Nomadenstämme für die andersgläubigen und andersfarbigen Ackerbauern im Süden und nutzt sie rücksichtslos für die eigenen Interessen. Nun soll offenbar das traditionell sowohl von arabischen als auch schwarzafrikanischen, christlich-animistischen Volksgruppen bewohnte Darfur von den Missliebigen »gesäubert« werden. Die Rückendeckung durch den Staat setzte alte Konfliktlösungsmuster der verschiedenen Ethnien aus der vornationalstaatlichen18 Zeit außer Kraft. Im Norden konnte man ruhig die Hände in den Schoß legen, während im Süden nur dem Anschein nach unkontrollierbare Gewalt gegen die Zivilbevölkerung entfesselt wurde. Kurz gefasst: Die Regierung gab Menschen zum Abschuss frei.19

      Bei unseren Gesprächen im Flüchtlingslager in Boro treffen wir auf zahlreiche Augenzeugen von anhaltenden Übergriffen sowohl der regulären sudanesischen Armee als auch von deren paramilitärischen Verbündeten. Mehrere Frauen berichten, dass sie am 12. Mai 2007 in der Ortschaft Dafak aus der Luft von sudanesischer Luftwaffe bombardiert worden seien und deshalb flohen.

      Eine 25-Jährige ist mit ihren


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