Zinnobertod. Reinhard Lehmann

Zinnobertod - Reinhard Lehmann


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was Brauchbares. Eine makellose Überraschung, versprochen, in drei bis fünf Tagen.«

      »Tun Sie das. Mich interessieren keine Ausreden. Wie gesagt, Sie haben freie Hand. Ein Hinweis, Lorenz. Es schadet nicht, wenn Sie die Vermisstenanzeige zu einem Wanderführer in die Ermittlungen einfließen lassen. Schaffen Sie Klarheit.«

      Das Erwachen brachte höllischen Schmerz mit sich. Nichts passierte. Friedhofsstille, tiefe Dunkelheit und Leere im Hirn begleiteten Lorenz.

      »Zeit, die Augen zu öffnen«, blieb ein scheuer Gedanke. Alle Mühe war umsonst! Die Wimpern am Rand des Ober- und Unterlids ließen sich keinen Millimeter bewegen. Verkrustetes Blut bedeckte die zarten Härchen und verschmolz sie miteinander. Der kräftezehrende Kampf, das zu ändern, war zum Scheitern verurteilt. Licht zu erheischen, um das Eingesperrtsein zu ergründen, fiel aus. Das war beileibe nicht alles. Den Kopf hatte sein Attentäter mit Gewebeband fixiert. Den Rest des Körpers mit meisterlicher Gründlichkeit ebenfalls. Das Blut in den zusammengepressten Adern stockte. Verharren in der Bewegungsunfähigkeit brachte Gefühllosigkeit und Schmerz. Das einzig Positive daran: es verordnete Konzentration und verhalf, den ersten klaren Gedanken zu fassen.

       »Wo, verdammt, ist der Feind ... mein Peiniger? Wie bin ich in seine Fänge geraten? Welcher Tag ist heute?«

      Eine Antwort blieb aus. Die Grabkammer demonstrierte, wofür sie der Täter geschaffen hatte: Angst zu verbreiten. Demut zu schaffen. Ja, was denn, war sein Leben bedroht? Und warum? Fragen, denen sich komplexe Erinnerungen entzogen.

      Dabei war es nicht lange her, da überschlugen sich die Wogen in Erwartung auf ein Date. Wartete nicht Evelyn Feist am Ende des Wegs? Der Gedanke war dicht dran. Die aktuelle Lage zeigte sich von ihrer schlimmsten Seite. Mit übermenschlicher Anstrengung gab das Gehirn Parallelen zum Vorgang auf dem Hexenplateau nahe der Stadt Thale frei. Die Gedanken auf Kurs zu bringen halfen sie nicht. Zu penetrant waberte das eigene Unvermögen mit der fatalen Selbstüberschätzung seiner Kräfte. Indes endete das im bitteren Sarkasmus mit einem Ergebnis. Dem perfiden Verfall in einen Gedankenblitz. Das Wort Vertrauen verbarg sich darin. Fehlanzeige!

      »Mist«, verbreitete sich die stille Reflexion rasant im Hinterstübchen aus. Ein übler Beigeschmack bedrängte ihn. Dominante Übelkeit setzte ein. Sie verstärkte seinen Wunsch, den quälenden Durst zu löschen. Hinzu kam dieser unsägliche Harndrang. Unverzagt quollen die Gedanken über. Sie reiften zu Worten, die hervorsprudelten, um sich am verschlossenen Mund wie eine Welle in der Meeresbrandung anzustauen. Hier einzig dem Zweck verbunden, Verständigung zu erlangen. Der Verschluss erfüllte das Qualitätsversprechen des Gewebebandherstellers. Lorenz hing festgezurrt wie an einem Marterpfahl.

      »He, zeigt euch, ich muss pinkeln. Gebt mir was zu trinken. Wasser!«

      Beides verlor sich erneut in seiner Gedankenwelt. Zu den Unbekannten drangen sie nicht vor. Lorenz meinte, deren Verhaltenskodex zu erkennen. Pure Angst des Versagens, was sonst.

      Da gab es diese unsägliche Betäubung. Die traf ihn aus heiterem Himmel. Nichtsahnend! Blitzschnell! Hochwirksam! Das, obwohl der Schütze den von komprimierter Luft getriebenen Pfeil nicht zielgenau verschoss. War er abgelenkt? Hatte er Angst? Kam da Verzweiflung zum Ausdruck? Agierte er daher mit brutalen Schlägen und Tritten?

      Lorenz erinnerte sich ebenfalls daran, dass die Wirkung des Narkotikums die Schmerzempfindlichkeit ausschaltete. Leider bis zu diesem Moment, wo sich der Speichel mit Blut vermischt im Mund sammelte. Er schluckte ihn runter, stieß dabei vor Schmerzen ruckartig die Luft aus. Ein Fehler, denn das Nasenbein schien gebrochen. Vorsicht war angesagt. Nicht aufregen! Nicht husten! Den Erstickungsanfall wegdenken. Dem blutigen Auswurf erlauben, aus der Nase zu fließen.

      Die Methode, Angst wegzudenken, funktionierte leidlich. Sie brachte ihm Entspannung und Platz für neue Wahrnehmungen. In Wirklichkeit hatte sich was verändert. Er bemerkte einen sanften Luftzug. Da gab es demzufolge ein offenes Fenster, eine Tür?

      »Mein Gott, was ist das?«, verlor sich in der Aufnahme muffig riechende, lauwarme Luft, die über nicht vom Klebeband bedeckten Hautpartien im Gesicht strich. Der Geruch von Schweinestall hatte sich darin verfangen. Dem auszuweichen, schien unmöglich. Sich dem Peiniger gegenüber zu artikulieren nicht. Lorenz fluchte innerlich.

      »Ich gebe nicht auf«, verlor sich in dem von Schmerz durchfluteten unsichtbaren Blick in der künstlich geschaffenen, bedrohlichen Dunkelheit. In dieser Szenerie wuchs eine tödliche Gefahr heran. Die hatte ihren Ursprung im Speichel, der sich in der Halbmaske staute. Mittlerweile führte der zu einem würgenden Schlucken, welches den ausgeprägten Adamsapfel in der Mitte des Halses krampfen ließ. Nichts geschah, um es zu verhindern.

      Ein oder zwei Sekunden lang trieb ihn der pure Instinkt einer taffen, selbst auferlegten Disziplin zu folgen. Das verhinderte, elendig zu krepieren. Die Akzeptanz, die undurchdringliche Dunkelheit wie ein Geschenk zu handhaben, zeigte ihre Stärke. Im Handumdrehen stellte sich die Frage nach dem Wie. Die Antwort hieß: durch absolute Konzentration! Durch Täuschung des Gegners! Bewusstlosigkeit vorzutäuschen wäre eine Option. Das Ziel, die Aufmerksamkeit der Schergen abzulenken. Was immerfort notwendig ist. Er hatte kaum genug Zeit, sich diesem Gedanken zu widmen. Das Martyrium zu beenden hieß, der Notlage mit List zu begegnen. Auf sich gestellt, bedurfte das einer blitzgescheiten Lösung. Sehen, hören, atmen war einzig in der Form machbar, wie man es ihm gestattete. Der ganze Körper, außer der ramponierten Nase, war mit Klebeband umwickelt. Hilflosigkeit schaffen gehörte zu einer ausgeklügelten Strategie. Es setzte mit der wachsenden Handlungsunfähigkeit Ängste frei. Die konzentrierten sich auf Schmerz, Betäubung der Seele und Muskulatur.

      Dem Hohn zum Trotz hatte man ihm eine Atemhalbmaske aufgesetzt. Ein geschickter Schachzug, der ein Teil des psychologischen Kalküls der Namenlosigkeit war. Ungeachtet dessen bedeutete das bei ausbleibender Hilfe den Tod. Der zeigte ungeniertes Interesse. Sein betäubter Geist versuchte grade, dem zu entgehen. Er drängte ihn, aus dem Dämmerzustand zu erwachen. Wie sich herausstellte, gestaltete sich das zu einem eher schwierigen Unterfangen. Die Maske saß nicht. Keiner richtete den Sitz, sodass der mit Blut angereicherte Speichel sich darin ansammelte. Die Behinderung erwies sich der Sache dienlich.

      Für Lorenz und seine Peiniger öffnete sich dadurch eine Tür ins Heute, mit dem einzigen Ziel: die Anonymität aufzubrechen. Nein, sterben lassen war nicht drin. Dieses Risiko einzugehen, bedurfte der Billigung eines Auftraggebers, nicht der seiner Vasallen. Gebetsmühlenartig wiederholte er den Gedanken.

       »Abwarten, Lorenz! Füge dich! Erfülle ihnen der Form halber ihren Wunsch. Deine Stärke ist die Anpassung! Locke sie! Lass sie protzen! Stelle fest, ob ihnen das gasförmige Narkotikum Sevofluran ein Begriff ist. Gefesselt, hilflos dazustehen, ist die eine Wahrheit. Die andere, das dem Gegner nicht zu zeigen. Wie? Das liegt an dir. Sie sind scheinbar Meister der Manipulation. Mit deinem Körper und Geist über willfährige Werkzeuge zu verfügen, ist ihre Passion.«

      Es blieben mahnende, unausgesprochene Worte, die mit dem salzigen Geschmack von den Lippen auf das Hirn übergingen. Der Versuch, den Kopf in die Schultern einzuziehen, misslang. Ebenso die verklebten Augen zu öffnen. Der Mund weigerte sich, vernehmbare Laute zu artikulieren. Schweiß strömte über das Gesicht. Die beißende Körperflüssigkeit bedeckte mittlerweile den ganzen Körper. Das Gefühl des Ekels verwob sich mit der stickigen Luft. Angst, an einem Krampf zu verrecken, breitete sich wieder aus. In der schrecklichen Bewegungslosigkeit wie eine Presswurst zu verharren, gab dem einen Rang.

      Mit einem Ruck änderte sich die Wirrnis. Fahles Licht verdrängte durch die geöffnete Tür einen Teil der Dunkelheit.

      »Hey, lass den Schalter auf Off«, schwappte ihm entgegen. Zwei Stimmen in unmittelbarer Nähe drängten sich wie durch eine Nebelwand in sein Ohr.

      »Er ist wach, verliert sich grade in einer Art Dämmerzustand.«

      »Du Esel, der massive Schock sitzt dem Kerl im Körper. Bist Du blind? Hättest ihn um ein Haar erschlagen. Gefangennahme ja, das war dein


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