Zinnobertod. Reinhard Lehmann

Zinnobertod - Reinhard Lehmann


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hohe Stimme klang zunehmend fuchsiger. »Haben wir nicht genug andere Probleme? Mistkerl, elender.«

      »Bleib cool, Chef. Der Kerl kam mir schnurstracks entgegen. Ich habe reagiert, ihm eine übergebraten. Na ja, zur Sicherheit opferte ich ein paar Meter extra Klebeband. Ist dir das ebenfalls nicht recht?«

      »Das ist Vergangenheit. Augen, Nase, Ohren befreist du von dem Firlefanz«, bellte die Stimme der scheinbar übergeordneten Person. Sie traf den Begleiter auf Anhieb. Zugleich klärte sie unmissverständlich, wer hier das Sagen hatte.

      »Warte!«, bohrte sich der zischend scharfe Ton in den Raum. Mit der Hand auf das Panzerband verweisend, senkte er den Befehlston ab. »Trotz alledem, tüchtige Arbeit! Arme und Beine bleiben fest mit dem Körper verbunden. Binde ihn da hinten an den Pfosten. Vierundzwanzig Stunden im Stehen, das ist meine Therapie der Ernüchterung. Den Glaubensbrüdern von Wilhelm zu schaden, hat just seinen Preis. Hör zu. Zweimal am Tag schiebst du dem Kerl fünf Kekse in den Hals. Hinterher ein Glas Wasser mit einem Narkotikum. Ruhigstellen nennt sich das. Begriffen?«, traf der eisig mutierte Ton fragend die zweite Gestalt. Deutlich erkennbar ein Vertrauter, der ihn Chef nannte.

      »Ja, keine Frage. Der Bulle erlebt glasklar, welch ein Mist das Leben produziert, wenn man dagegen anläuft.«

      »Hast du treffend erkannt. Na hoffentlich irre ich nicht. Wir sind in den nächsten Tagen aufeinander angewiesen.«

      »Weil? Was verbirgt sich dahinter, Bestatter?«

      »Wisch dir den Rotz vom Kinn. Glotz nicht. Wir schlagen ein neues Kapitel auf. Unser eigenes Spiel kommt in Gang.«

      »Das heißt? Eine Erleuchtung? Behandle mich nicht wie einen Aussätzigen. Ich bin dein Partner.«

      »Du nervst. Sperr die Hinweise auf unsere Identität weg. Verdammt, hier nicht. Was gibt es da zum jetzigen Zeitpunkt zu erzählen. Wart`s ab«, grinste er breit.

      »Mir ist egal, was der über uns weiß. Er ist eine Bedrohung. Eine lebende Gefahr, der wir gegebenenfalls ein paar Monate des Darbens schenken. Ergo, treuer Helfer, du brauchst ihn nicht direkt umlegen. Körperlicher Zerfall sorgt dafür, dass er dahinvegetiert.«

      »Ahnte ich`s. Chef, du bist unter die Giftmischer gegangen. Der langsame Tod. Qualvoll! Anstelle die Garotte singen zu lassen. Warum machst du dem Kerl kein Geschenk? Einen kurzen, schmerzlosen Tod.«

      »Nein, halte das Maul. Ich setze auf ein Nervengift.«

      »Oha, wie im Krieg?«

      »Denkbar, du Knallkopf, einzig hier an diesem Ort. Denke an Quecksilber. Die allerkleinsten Mengen schädigen den Menschen. Füttre den Bullen mit den Keksen, mehr ist nicht erforderlich.«

      »Hoi, die hab ich ebenfalls gegessen. Du ebenso. Verkauft das Gedöns diese Evelyn Feist?«

      »Mensch, drück dich klarer aus. Wer sonst? Die Enkelin der Wahrsagerin.«

      »Ja, die sogenannte Älteste der Sekte. Das ist keine gebrechliche Oma. Die hat mehr auf dem Kasten als du Miesepeter.«

      »Von mir aus. Ich weiß, diese Evelyn produziert die rote Keramik mit blauen Farbeinträgen.«

      »Stimmt! Das Geheimnis liegt in der Keksmischung. Das honigsüße Gelumpe ist ein Verkaufsschlager im Harz. Niemand anderes außer ihr Gott ist im Bilde, wo die tödliche Gefahr des schleichenden Giftes lauert.«

      »Korrekt! Hinzu kommt, die Zeichen stehen auf Sturm. Wilhelm steht in den Startlöchern. Er spricht davon, des Herrn Fürsprecher zu sein. Da tobt ein Machtkampf. Zu unserem Vorteil helfen wir dem Stärkeren. Die Evelyn ist ein Bastard, gezeugt von einem Selbstmörder, der gegen den Ehrenkodex verstieß.«

      »Für mich zeigt sich da eine lebende Lüge, die ich in deinem Auftrag heimlich beobachtet habe.«

      »Klar, du hast das Richtige auf die Reihe gebracht. Wenn das hier mit dem Kripomann vorbei ist, wirst du ihr Schatten bleiben. Wie klingt das für dich? Du schaust in ihre Seele, durch die Haut hindurch. Vergiss es, denn berühren, nein, das funktioniert nicht. Bist du dem gewachsen?« Er lachte mit Niedertracht im Blick auf. »Ha, ha, da werde ich direkt eifersüchtig. Sie braucht einen potenten Kerl.«

      »Dich?«, prustete der Helfer fragend los.

      »Du Esel, ich trete dir in den Arsch. Such dir gefälligst andere Weiber. Die Evastochter zähme ich langsam. Der impfe ich Gefügigkeit ein, treibe die Gottesfürchtigkeit aus. Zugleich besteige ich die Stute wie ein geiler Hengst.« Er gurrte wohlgefällig. Mit zwei Schritten stand er neben Lorenz. »Hmm, mein Riesenbaby hat dich bestens fixiert. Wir wünschen, dass du den Aufenthalt hier genießt. Ach ja, verstehst mich nicht.« Er schlug sich schallend auf einen Schenkel und sagte: »Bist angepisst, was? Bin gleich weg. Du kriegst sofort Marscherleichterung, der Höflichkeit wegen. Keine Fragen! Klar?«

      »War’s das, Chef? Der ist hin. Ich füttere ihn später.«

      »Ja! Komm!« Ungeachtet dessen, wurmte ihn was. Kurzerhand drehte er den Kopf, reagierte mit Häme im Tonfall. »He Kriminaler, wie schmeckt die neue Erfahrung? Egal, lass dir sagen, es bereitet mir Freude, dich hier zu sehen. Verehrtester, genieße jeden Augenblick. Er ist eine Art Geschenk. Eine Bitte hätte ich. Stirb nicht! Das wäre fatal, weil es mir den Spaß an deinen Qualen vergällt.«

      Die Stimme entfernte sich von Benno Lorenz. Mit einem dröhnenden Knall flog die Tür ins Schloss. Urplötzlich herrschte Ruhe. Zeit, um alles neu zu ordnen. Vergebens! Der Komplize des Redners hatte ihm über die Atemmaske eine Droge beigemischt. Die Dröhnung brachte tiefe Dunkelheit. Für den Moment vertrieb sie ebenfalls den Schmerz.

      Schlaksig, wie man das von Lorenz kannte, trat er vor zwei Tagen durch die Tür zum Dezernat 25 der Abteilung 2. Und wie es aussah, war er nicht mehr in der Lage, dem auszuweichen. Die Vorsehung hieß Jobhopping. Personallücken im Kriminaldauerdienst zu füllen, funktionierte stetig gleich. Seine Begeisterung war dünn. Die Disziplin fordernd. Zu diesem Zeitpunkt war nicht erkennbar, dass er sich durch die Aktivität fanatischer Täter in höchste Gefahr begab. Im Gegenteil. Die Euphorie durch private Glücksempfindungen trieb ihn in den Tag hinaus. Jede Sekunde davon auszukosten, war ein internes Versprechen. Genauso, Kollegen aus der Patsche zu helfen. Diesen heiligen Schwur brach er niemals. Polizist zu sein, bedeutete ihm, für Ehre, Treue und Kameradschaft einzustehen. Im Augenblick gewann eine andere Wahrnehmung die Oberhand. Mit dem frühen Sonnenaufgang erwachte die Lust. Es gab keinen Zweifel. Neben ihm lag Simone, die Spezialistin aus dem Cybercrime Competence Center des LKA. Nackt wie ein Fleck lichterfüllter Farbe schürte sie sein Begehren. Die ersten Sonnenstrahlen reflektierten auf dem zarten Braun ihrer Haut. Sie bemerkte den Blick. Lächelnd ergriff die fünfundzwanzigjährige Polizeikommissarin mit beiden Händen seinen Kopf. Sie näherte sich ihm, um genüsslich ihre Zunge zwischen seine Lippen zu schieben. Euphorisch flüsterte sie: »Komm, küss mich!«

      Sie blieb an der durchtrainierten, muskulären Gestalt hängen, die eine erstaunliche Kraft entwickelte. Eine Gegenwehr schied vorbehaltlos aus. Aufstehen, kultiviert den Job anzutreten, war dahin.

      »Okay, gib nach, genieße«, redete der erstarkende Geist im Hirn drauflos. »Schlaf mit ihr. Vergiss den Verdruss. Das Beste, was dir je passierte! Nimm es an!«

      Darüber nachzudenken entfiel. Der Testosteronspiegel stieg sprunghaft an. Das Geschlechtshormon schaffte eine sichere Reaktion auf den Clinch, den ihre kraftvollen Schenkel um seine Lenden bewirkten. Willig ließ ihn die betörende Venus gewähren. Scheinbar in Höchstform, befeuerte sie den Liebesakt mit ungemeinem Ehrgeiz. Die langen, kohlrabenschwarzen Haare hingen ihr wirr vorm Gesicht. Sie verhinderten, ihre Ekstase augenfällig wahrzunehmen. In einer Art Wettkampf krümmte und bog sie sich. Das lebendige Wesen zu beherrschen, funktionierte nicht mehr. Ihre Oberschenkel fixierten ihn wie ein gigantischer Greifarm. Zum Andenken an die Explosion in ihr verblieb ein winziger Kratzer auf seinem Hals. Ein Obolus an den errungenen Sieg, in der Entrückung mit ihren Zähnen erzeugt.

      Erstaunlich,


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