Zinnobertod. Reinhard Lehmann

Zinnobertod - Reinhard Lehmann


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die Kameraden rechtzeitig ein. Unterm Strich haben wir alle einen untadeligen Ruf zu verlieren.«

      »Sie haben es drauf, Spannung zu erzeugen«, gab Lorenz Minuten später beim Gang ins Rathaus eine Erklärung ab. »Überraschen Sie mich.«

      Das trat mit der Präzision eines Uhrwerks ein. Das Räderwerk schaltete zugleich den höchsten Repräsentanten zu.

      »Schlau eingefädelt, mein Gott«, schüttelte Lorenz den Kopf. Er grinste und behielt für sich, was er nicht auszusprechen gedachte: »Für mich nicht ausgekocht genug! Dieser Wilhelm ist mir unsympathisch. Schleim trieft aus ihm heraus. Ich werde ihn in die Enge treiben.«

      Er hatte das Gefühl, dass Feist Teil dieses von ihm kreierten Netzwerkes war. Der beste Weg, ihn zu überführen, würde sich öffnen, wenn er sich dem Kult anschloss, um ihn von innen heraus zu sprengen. Verlockung pur, von der eine enorme Anziehungskraft ausging. Sie brachte die Entscheidung, Feist wie einen Rammbock zu benutzen. Eine unsagbare Erregung verbreitete sich mit diesem Gedanken. Sie beinhaltete die Lösung des Rätsels innerhalb eines Geheimnisses. Ein Privatkrieg, eine Verschwörung lag im Reich des Möglichen. Zu weiteren Überlegungen reichte die Zeit nicht, denn der Bürgermeister begrüßte ihn mit hartem Handschlag.

      »Willkommen Herr Kriminaloberkommissar!«, sagte ein flott daherkommender, geringfügig fülliger Mittvierziger. Gutherzige, dunkelbraune Augen schauten in sein Gesicht. »Ergreifen Sie meine Hand. Ich bin zuversichtlich, mit Ihrer Hilfe dem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Bitte, setzen Sie sich. Sie haben die Raben aufgesucht. Das lässt sich nicht verheimlichen. Um Sie bei der Informationsbeschaffung zu unterstützen, dafür sind wir angetreten.« Er erhob sich, zeigte mit einem Lächeln auf zwei Personen in der Tischrunde. »Das hier ist der Chef der Bergwacht, dort mein Pressesprecher, Herr Steiner. Ansonsten sind wir bestens mit der hiesigen Feuerwehr vernetzt. Schön, dass ich Sie als Vertreter der Polizeidirektion begrüßen darf. Ich hörte, es war ihr Wunsch, zunächst mit den Stadtvertretern zu sprechen. Das ist eine gute Idee. Sie können jede Menge Unterstützer gebrauchen, um dem Geheimnis im Bodetal auf die Spur zu kommen.«

      Gesichter voller Erwartung sahen ihn an. Die Hand auf den Griff der P6 im Holster erhob er sich. Aufmerksame Augen verfolgten die Geste. Lorenz ließ keine Zeit verstreichen. Betont trocken sagte er: »Ich verstehe! Der Job verlangt von mir, eine Identität zu klären. Die Frage bedarf der Klärung, ob im Zusammenhang mit dem Fund ein Verbrechen vorliegt. Wäre ein Unfall vorstellbar? Ist es möglich, dass ein Wanderführer in der unwegsamen Bergwelt vom Weg abkommt. Ein krankheitsbedingter Sturz ist ebenso nicht ausgeschlossen.«

      »Unwahrscheinlich, Herr Lorenz.«

      »Bitte, was spricht dagegen? Bedenken Sie. Das reißende Wasser, Geröll und Tierfraß haben den Körper arg geschädigt. Zum Glück fanden unsere Spezialisten auswertbare Spuren, die Schlüsse zur Person zulassen. Eine Reihe von Fragen bleiben auf jeden Fall offen.«

      »Welche, Oberkommissar?«, meldete sich der Pressesprecher. »Was erwarten Sie vom Team an diesem Tisch?«

      »Eine berechtigte Frage, meine ich. Die Antwort darauf klingt eine Kleinigkeit theoretisch. Habe ich dennoch Ihre Aufmerksamkeit?«

      »Legen Sie los. Die Kripo beehrt unser Haus nicht jeden Tag.«

      »Okay, Ihr Wunsch. Die Aussage hört sich nüchtern an. Seien Sie nicht geknickt. Es stimmt. Das Landeskriminalamt in Magdeburg beauftragte mich mit der Aufklärung des Falls. Ich bin der Tatortgruppe zugeordnet. Mein Job besteht in der Unterstützung der Kollegen von der hiesigen Polizeidirektion. Es ist Sommer, Urlaubszeit. Ich leiste bei der Zuordnung erkennungsdienstlicher Aufgaben Hilfestellung.«

      »Entschuldigung, Sie sind ein Ausputzer? Ich war der Auffassung, wir brauchen hier Spezialisten. Von dem Toten in der Bode existiert ja weiter nichts als ein paar Knochen. Der Kopf fehlt. Was gibt es denn da zu ermitteln?«, presste Steiner giftig raus.

      Automatisch füllte sich die Raumluft mit Spannung. Winzige, elektrisch geladene Teilchen ließen die angewärmte Luft knistern.

      »Meine Herren, Anspannung ist fehl am Platze. Sind wir einer Meinung?«, griff Lorenz in den Disput ein. »Sie sind Pressesprecher, stimmt’s? Sehen Sie, das Fest kommt gerade erst ins Rollen. Wir tanzen gemeinsam in einem Kreis voller Unbekannter, fern jeglichen lautstarken Beifalls.«

      »Bei Gott, Herr Lorenz, ich versichere Ihnen ...«, nickte der bedeutsam. »Bei all dem, das ist wundersam«, rief er aus, in dem Bemühen, seine Stimme erschrocken klingen zu lassen. »Erklären Sie, was uns den Atem anhalten lässt. Das hier riecht nach Geheimnissen.«

      »Hmm, Sie springen ungeprüft in den Teich der Gerüchteküche. Dachte ich mir’s. Typisch Journalist!«

      Er hielt kurz inne, sah den Herrn an, um festzustellen, dass der sich durch sein Aussehen von den Teilnehmern der Runde abhob. Die angestaute Wut ließ sich nicht verheimlichen. Zumindest erklärte das dieses verdammte ständige Zusammenziehen der Pupillen, was die Iris vergrößerte. Dadurch erschienen die graublauen Augen leuchtender, was auf solcherart Emotionslage hinwies. Das verlieh ihm im Übrigen einen vorteilhaften Touch. Mit seinem gebräunten Teint und dem dunkelblonden Haar gehörte er ohnehin zu den gutaussehenden Menschen. Er sah jünger aus und setzte sich dadurch von den Teilnehmern der Tischrunde ab. Die saßen erstarrt auf den Stühlen. Wie angeschmiedet, unfähig zu reden. Diesem einschneidenden Erlebnis entzog sich niemand. Es war die verwegene Art, mit der er Probleme zu lösen anging. Nicht die des vertrauten Trottes, wie in Stadtratsversammlungen üblich.

      Lorenz grinste. »Ich bin kein Gespenst, vielmehr jemand aus Fleisch und Blut, einem Hirn, dem Gefühle entspringen. Sie entschuldigen mein Aufbäumen. Wachrütteln ist angebrachter. Bitte, Herr Steiner, für wie blöd halten Sie mich? Ich hoffe, Sie brechen keinen Streit vom Zaun. Am besten scheint mir, Sie aus der Höhle der Unvernunft zu befreien. Seien Sie nicht das Arschloch in Ihrer eigenen, wundersamen Welt. Wir sind quitt, was den Ausputzer betrifft.«

      Der Bürgermeister ließ die paradoxen Gedanken auslaufen. Ein paar Sekunden Verschnaufpause vergingen.

      »Hmm, das war erhellend. Ich hab Sie ausreden lassen, um den Frust in eine Richtung zu lenken. Sowas gab es in dieser Oase der Vernunft bisher nicht. Ihre Empfindungen wie ein Heilmittel einzusetzen, alle Achtung, cool! Herr Lorenz, das genügt. Belassen Sie es dabei. Der Polizeichef hat uns um Hilfe gebeten. Hier sitzt ein bevorrechtetes Gremium in Warteposition. Sie sind dran. Ich bitte Sie, Ihren Vortrag fortzusetzen. Unser Wohlwollen gehört Ihnen.«

      Das war der Zeitpunkt für Einsicht. Der Bürgermeister hatte dafür gesorgt, dass ihm niemand mehr was vormachen würde. Der erste Sieg. Diesen Augenblick zu nutzen, gebot die Vernunft. Er stieg darauf ein. Und Tatsache, die Augen und Münder der Gefolgsleute passten sich ihm jedes Wort verschlingend an. Lorenz sprach in den Raum hinein, bemüht, die Teilnehmer zu einer Aussage zu bewegen.

      »Ich bemühe mich, den Blick für den Job des Kriminalisten zu öffnen. In diesem Fall arbeite ich eng mit den Spezialisten vom Bundeskriminalamt zusammen. Hierbei dreht es sich vor allem um die sichere Identifizierung der Personen im Tathergang. Reicht das?«

      »Nein! Ist mir zu allgemein«, erklärte sich der Bergwachtchef.

      »War das ein Todessturz von den Felswänden im Bodetal? Ein Unfall? Der vermisste Erich ist es garantiert nicht. Der Wanderführer gehört zu den absoluten Kennern der Materie.«

      Mit eiskaltem Blick in den Augen mischte sich Wilhelm Feist ein.

      »Entschuldigung! Die Wahrheit besteht meiner Ansicht darin, dass bisher nichts passiert ist, was die Aufklärung erhellt. Na ja, abgesehen vom Auffinden der Skelettreste durch Wanderer.«

      »Und die Bergung durch örtliche Polizeikräfte?«, schloss sich der Pressesprecher fragend an. »Was meinen Sie, Oberkommissar, liegt hier ein Verbrechen vor? Handelt es sich bei dem Knochenfund um den Vermissten?«

      »Sie haben den wunden Punkt getroffen. Jede Menge Fragen, deren Antworten wir im Moment nicht kennen. Darum sitze ich hier. Geben Sie mir ausreichend Input. Sie heben den Herrgott in den Himmel, verfügen auf der anderen Seite über schmalbrüstiges Wissen. Ist ja komisch!«

      Sein


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