Mein Leben - Meine Musik. John Fogerty

Mein Leben - Meine Musik - John Fogerty


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da dieser coole Typ an der Gitarre hinter Ricky. Als ich in der sechsten Klasse Schülerlotse war, fragte mich ein Mädchen, ob ich Musik möge. Ich antwortete: „Mir gefällt der Gitarrist, der Ricky Nelson begleitet. Der ist echt cool!“ Ich wusste noch nicht einmal, wie er hieß! Damals spielte ich auch noch nicht selbst Gitarre.

      Im Gegensatz zu anderen Teenie-Idolen dieser Zeit wie Frankie Avalon, Fabian oder sogar Elvis damals spielte Ricky Nelson Rockabilly. Mir wurde Jahrzehnte später – im Jahr 1987 – die große Ehre zuteil, Rick Nelson posthum in die Rock and Roll Hall of Fame aufzunehmen. Genau vor mir saß Sam Phillips im Publikum. Ich sah ihn an und sagte: „Sam, er hielt dich ja ganz schön auf Trab!“ Ricky Nelson stand für Rockabilly – zwingendes, gefährliches Material. Selbst wenn er „Lonesome Town“ performte, war das eine Wucht. Zwar handelte es sich dabei um eine langsame Ballade, doch war sie weder schmalzig noch dumm: Das waren dann einfach ein paar Rock ’n’ Roller, die eine Ballade interpretierten. Ich erinnere mich auch daran, dass ich seine Version von „My Babe“ immer und immer wieder anhörte. Die Gitarre war einfach nur Oh, yeah!, falls ihr versteht.

      In mancherlei Hinsicht war seine Version sogar besser als das Original von Little Walter. Der Song war ganz und gar von James erfüllt. James Burton. Er war phänomenal, und Ricky muss dies bewusst gewesen sein, schließlich gab es immer diese Momente auf seinen Singles, in denen James glänzen durfte. Hört euch nur mal „Believe What You Say“ an. Da gibt es das beste Gitarrensolo, das ihr je gehört habt. Als ob die Welt stehen bliebe. Ricky ließ alle wissen, dass dieses wilde Genie in der Stadt war. In diesen Tage definierten Leute wie Scotty Moore, James Burton und noch ein paar auserlesene andere die Rock ’n’ Roll-Gitarre. Und dabei war James gerade erst 18 Jahre alt! Ricky wirkte auf mich wie ein ganz normaler Teenager. Ein richtig netter Typ. Mich sprach das sehr an, während ich mir um Elvis, der mit Geld wild um sich warf, um protzige Ringe und Cadillacs zu kaufen, Sorgen machte. Ich fand das echt extravagant. Ricky war jedoch einfach ein Junge, der noch zu Hause wohnte. Er schien ein gutes Vorbild zu sein. Nie war von Wutanfällen oder irgendwelchen Skandalen die Rede. Auf mich wirkte er sanftmütig und bescheiden – auf keinen Fall durchgeknallt oder so. Das mag sich langweilig anhören, aber für mich waren das bewundernswerte Eigenschaften.

      Obwohl mir viele Leute widersprechen werden, werde ich bis zu meinem letzten Atemzug darauf bestehen, dass man kein Irrer oder Geisteskranker sein muss, um guten Rock ’n’ Roll zu spielen. Immerhin kenne ich ja auch genug Typen, die einerseits richtig gute Musik spielen und andererseits solide Familienväter sind, zum Beispiel Bruce Springsteen und Dave Grohl. Rick bat mich sogar einmal, ihm als Produzent unter die Arme zu greifen. Das war während meiner langen düsteren Phase, vielleicht 1978 oder 1979. Leider war ich nicht in der Verfassung, seinem Wunsch nachzukommen. Ich konnte ja nicht einmal mich selbst produzieren – geschweige denn einen meiner Helden. Wenigstens durfte ich ihn kennenlernen. Das letzte Mal begegneten wir uns in Memphis, als wir in den Achtzigern eine Hommage an Sun Records aufnahmen. Er sang auf einem meiner Songs, „Big Train (from Memphis)“.

      Mit dem Solo von „Believe What you Say“ ist ein interessantes Stück Musikgeschichte verbunden – zumindest bin ich dieser Ansicht: Einer meiner absoluten Lieblingssongs aller Zeiten heißt „Party Doll“ von Buddy Knox and the Rhythm Orchids aus dem Jahr 1957. Dieser Song machte mich zu einem Riesenfan von Buddy und seinem Sound. Die Drums auf diesem Track sollten sich als sehr einflussreich herausstellen, da es vielleicht der erste Rock ’n’ Roll-Song mit einem „Two-one“-Backbeat war. In den späten Achtzigerjahren hatte ich das Privileg, Buddy Knox persönlich kennenzulernen. Ich erwähnte ihm gegenüber das mit dem Drum-Beat. Er war sich des Meilensteins, den er damit gesetzt hatte, durchaus bewusst und antwortete stolz: „Ja, aber er ist verkehrt herum.“ Das entspricht auch der Wahrheit.

      Egal, Buddy hatte noch einen anderen großen Hit in diesem Jahr, und zwar mit seinem Song „Hula Love“. Auch diese Platte besaß ich als Junge. Danach schien er von der Bildfläche verschwunden zu sein. Für einen Jungen waren ein paar Wochen schließlich so etwas wie eine kleine Ewigkeit. Doch auch diese Zeit verstrich, und Buddy war wieder da – mit einem Song namens „I Think I’m Gonna Kill Myself“. Ich liebte diese Nummer, aber sie war nirgendwo auf Vinyl erhältlich. Also musste ich sie erneut in meinem kleinen Plattenladen bestellen und mehrere Wochen darauf warten. Offenbar wurde die Thematik des Songs mancherorts als zu heikel eingestuft.

      Aber damit ich nun auf den Punkt komme: Das Solo von „I Think I’m Gonna Kill Myself“ klang meiner Meinung nach exakt gleich wie jenes von „Believe What You Say“, und ich war mir dessen auch jahrelang sicher. Nachdem ich es aber unlängst wieder gehört habe, finde ich, dass sie sich doch ein wenig voneinander unterscheiden. Allerdings sind sie beide in derselben Tonart und im sehr hohen Bereich angesiedelt. Damals in den Fünfzigerjahren konnte man diese Töne praktisch nur auf einer Telecaster erreichen.

      Jahrelang grübelte ich viele Male über das Mysterium dieser beiden Soli nach. Daher fragte ich Buddy Knox, als ich ihn schließlich traf, auch danach. Seine Antwort lautete: „Ich weiß nicht, ob sie gleich sind, aber Cliff Gallup hat schon stark Gitarre gespielt.“ Mann, wie war ich angesichts dieser Antwort doch aus dem Häuschen! Ich nehme an, dass nur wir Gitarren-Freaks es wissen, aber Cliff war der Typ, der auf „Be-Bop-a-Lula“ spielte. Und auch er verschwand (freiwillig) von der Bildfläche.

      1957 war für die Rhythm Orchids ein ziemlich erfolgreiches Jahr. Sie begleiteten Buddy Knox bei „Party Doll“ und „Hula Love“, Songs, die sich millionenfach verkauften. Außerdem hatten sie mit Jimmy Bowen, dem Bassgitarristen der Gruppe, noch einen weiteren Millionen-Seller, „I’m Stickin’ with You“, und veröffentlichten zusätzlich noch Jimmys „Warm Up to Me, Baby“. Ich kaufte alle vier.

      Im Sommer ’57 arbeitete ich am Russian River im kalifornischen Heraldsburg. Überall lief im Radio „That’ll Be the Day“. An meinem Arbeitsplatz wurden wir per Lautsprecheranlage im Freien damit beschallt. Ich verlor fast den Verstand. Diese rockende Gitarre, dieses rockende Schlagzeug, dieser Harmoniegesang und dann noch die Stimme des Leadsängers – ich kannte sie bis dahin nur als die Crickets. Und dann dieser Riff! Es klang alles einfach so verdammt richtig.

      Zwar hatte jeder Interpret seine Band, doch der Fokus lag in der Regel auf dem Sänger, so wie bei Elvis und Ricky. Die Crickets waren jedoch eine Band. Sie waren die Band. Das war ein neuer Ansatz, und auf dem Cover ihres Debütalbums – The „Chirping“ Crickets – waren vier Typen in Anzügen abgebildet. Zu viert hielten sie zwei Gitarren und blickten direkt in die Sonne. Buddy Holly versucht zu lächeln, aber die Sonne scheint ihnen in die Augen, weshalb sie alle blinzeln. Dies waren offensichtlich keine reichen Jungs. Sie hatten auf das Dach eines hohen Gebäudes in New York City klettern müssen, um für dieses Foto zu posieren. Es ist kein schmeichelhaftes Bild, doch es erzählt eine Geschichte – eine Geschichte, die die Beatles nur noch veredeln würden. Die Weisheit, ein kompaktes Image zu transportieren ‒ und keinen zusammengewürfelten Haufen wie etwa die Grateful Dead darzustellen. Es war einfach ein bisschen mehr showbiz.

      Ich war zu dem Schluss gelangt, dass Buddy Holly zu jenen Leuten gehörte, denen ich durch ihre ganze Karriere hindurch treu bleiben würde. Ich war bereit, jede seiner Platten zu kaufen. Zuerst waren das neben dem ersten Crickets-Album noch ein paar Singles.

      In der achten Klasse trug ich nach wie vor Zeitungen aus, und eines Tages, als ich meinen Stoß entgegennahm, sprang mich eine Schlagzeile an: Buddy Holly war zusammen mit dem Big Bopper und Ritchie Valens bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Als Don McLean nun Jahre später in seinem Song „American Pie“ darüber sang, Zeitungen mit den News vom „day the music died“ auszutragen, dachte ich mir: Wow, genau das habe ich tatsächlich erlebt. Das war wirklich ein trauriger Tag für den Rock ’n’ Roll.

      So um 1965 fiel mir ein Buddy-Album mit unveröffentlichten Versionen von Songs wie „That’ll Be the Day“, das in einer anderen Tonart gespielt war, in die Hände. Diese Version klang ganz anders als jene, die ein Hit gewesen war, und ich bin mir sicher, dass Buddy, wüsste er von dieser Veröffentlichung, sich im Grab umdrehen würde. Vielleicht haben ja Sammler ihre Freude an so etwas, doch als Musiker ist es mir peinlich. Interpreten müssen mit ihren Songs eine Art Evolutionsprozess durchlaufen, bevor ihnen eine Aufnahme gelingt, die sie der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Der Rest


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