Hör nie auf zu träumen. Olivia Newton-John

Hör nie auf zu träumen - Olivia Newton-John


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und daher meine Muskeln streikten. Doch es fiel mir schon schwer, überhaupt nur zu stehen, und ich schwankte, wenn ich mich zwang, aufrecht zu stehen. Daraufhin sollte ich monatelang unter qualvollen Schmerzen leiden, die mich sogar um den Schlaf brachten.

      Abend für Abend schleppte ich mich zu der Zeit dennoch in Las Vegas auf die Bühne, wo ich im berühmten Flamingo Hotel auftrat. Die lähmenden Rückenschmerzen machten sich in den unpassendsten Augenblicken bemerkbar, nahmen mitunter aber auch wieder ab. Zum Glück! Während einer Phase, in der es gerade wieder besser ging, rief mich meine Freundin Joanne, eine tolle Tennisspielerin, an und sprach die magischen Worte.

      „Komm doch vorbei, Liv. Lass uns ein paar lockere Bälle schlagen.“

      Bereits nach ungefähr einer halben Stunde sah ich plötzlich vor lauter Ischiasschmerzen Sterne. Trotz meines Leidens weigerte ich mich jedoch, auch nur einen Auftritt abzusagen. Das lag an meiner lebenslangen Disziplin, die mir bereits im zarten Alter von gerade einmal fünfzehn Jahren eingetrichtert worden war.

      Komme, was wolle – die Show muss weitergehen!

      Aber wäre ich überhaupt in der Lage dazu? An manchen Abenden, nachdem der letzte Vorhang gefallen war, humpelte ich hinter die Bühne und legte mich vorsichtig auf den Boden meiner Garderobe, wo ich dann weinte vor Schmerzen. Es fühlte sich so an, als würde ich mit heißen Schürhaken, die man mir in die Seite stieß, gefoltert. Ein sengender Schmerz schoss mein Bein hinunter und hinauf.

      Wie ich da so in meiner Garderobe auf dem Bauch lag und meine Tränen mir das Make-up verschmierten, wusste ich nicht, wie ich jemals wieder würde aufstehen können. Aber … die Show muss weitergehen, und sie ist noch nicht vorüber. Ich sollte nämlich noch meine Fans treffen. Die Einnahmen aus diesem Meet & Greet sollten meinem Olivia Newton-John Cancer Wellness & Research Centre zugutekommen. Daher gönnte ich mir gerade einmal fünf Minuten Ruhe, bevor mir mein Mann wieder auf die Beine half.

      Meine Checkliste sah folgendermaßen aus:

      1) Tränen wegwischen

      2) Mein Gesicht in Ordnung bringen

      3) Wieder rausgehen und sich im Backstage-Bereich mit den Fans treffen.

      Manche dieser lieben Menschen hatten ein ganzes Jahr darauf gewartet, mich auf die Schnelle kennenlernen zu dürfen, und ich würde sie nun nicht im Stich lassen. Ich riss mich also irgendwie zusammen, lächelte und posierte für ein paar Fotos. Es war das Mindeste, was ich ihnen für ihre Treue schuldete.

      Meine letzte Show vor meiner Diagnose 2017 war ein Konzert für Militärangehörige, die mit der Tapferkeitsmedaille Purple Heart ausgezeichnet worden waren. An meiner Seite standen meine Unterstützerinnen bei Liv On und lieben Freundinnen Amy Sky und Beth Nielsen Chapman. Wir ehrten unter anderem meinen Schwiegervater Tom, der Träger eines Purple Heart ist.

      Es hätte ein schöner Abend werden sollen, den ich niemals vergessen würde. Unvergesslich war der Abend dann auf jeden Fall. Der Schmerz war grausam, unnachgiebig und qualvoll. Ich konnte nicht mehr laufen. Es ging nicht mehr darum, mich einfach aufzuraffen: Ich musste der Tatsache ins Auge sehen, dass ich es nicht länger schaffen würde.

      Am nächsten Tag führte Johns Nichte Corinne, eine Wirbelsäulenspezialistin, in ihrer Klinik ein Ganzkörper-Infrarot-Screening durch. Es zeigte mehrere Stellen mit erhöhter Temperatur im Bereich meines Kreuzbeins. Sie schlug eine Magnetresonanztomografie im Sitzen vor. Die wiederum ergab, dass etwas Verdächtiges Druck auf die Nerven in meinem Kreuzbein ausübte. Wegen der Empfindlichkeit dieses Bereichs empfahl niemand eine Biopsie. Doch tief drinnen wusste ich Bescheid.

      Da stimmte etwas nicht.

      Ich halte es für äußerst wichtig, immer auf seinen Körper und seine Instinkte zu achten. Ich kann es nicht oft genug sagen: Niemand kennt euren Körper besser als ihr selbst.

      Corinne und John bestanden darauf, dass ich mich sofort darum kümmerte. Also verschob ich den Rest der Tour. Das fiel mir aufgrund meiner schon erwähnten Arbeitsmoral sehr schwer. Aber ich hatte nun keine Wahl mehr. Ich fuhr für zwei Wochen in die Klinik in Georgia zur Untersuchung und zu einer natürlichen Infusionstherapie. Innerhalb von nur einer Woche sank mein Schmerzniveau von zehn auf eins, was mich sehr ermutigte.

      Und dann platzte die Bombe.

      Die Ergebnisse meines ONCOblot-Tests lagen vor. Brustkrebs – schon wieder.

      Dieses Mal hatten sich Metastasen in meinem Kreuzbein gebildet.

      Es wurde eine Wucherung festgestellt.

      Ich gab daraufhin eine Pressemitteilung heraus, da ich wollte, dass meine Fans von mir und nicht durch Gerüchte davon erfuhren.

      Zur sofortigen Freigabe:

      Olivia Newton-John verschiebt ihre für Juni angesetzten Konzerte

      30. Mai 2017, Las Vegas, Nevada. Nur ungern verschiebt Olivia Newton-John ihre für Juni angesetzten Konzerte in den USA und Kanada. Die Rückenschmerzen, die sie ursprünglich dazu veranlassten, die erste Hälfte ihrer Tour zu verschieben, haben sich als Brustkrebs herausgestellt, der Metastasen im Kreuzbein gebildet hat.

      An jenem Tag, als dies der Welt mitgeteilt wurde, saß ich auf meiner Steinbank und sah, wie die Sonne hinter den Bergen versank. Die Anteilnahme, die mich in den darauffolgenden Stunden erreichte, rührte mein Herz auf eine Weise, die ich niemals vergessen werde. Ich erhielt Anrufe, E-Mails, Briefe und sogar Blumen, mit denen mir baldige Genesung gewünscht wurde.

      Als ich so dasaß, wusste ich, dass mir eine weitere herausfordernde Reise bevorstand. Doch würde ich niemals aufhören, daran zu glauben, dass ich wieder gesund werden würde.

      Ich saß da und stellte mir mich selbst, viele Jahre in der Zukunft, glücklich und gesund vor. Dann fing ich an, über mein unglaubliches Leben nachzudenken.

      If a ship of dreams bid me come,

      would I board it?

      Ich bin ein junges Mädchen und laufe über den Rasen meiner Schule, des Ormond College im australischen Melbourne, nach Hause. Meinen Lauf begleitet die Musik der Natur. Die Vögel bringen mir ein Ständchen – Kookaburras, Papageien, Krähen und die Elstern mit ihren großen Flügeln und unheimlichen Schnäbeln, die sich in den Bäumen verbergen. Ach, diese Elstern! Manchmal musste ich meinen kleinen blonden Kopf mit meinen Schulbüchern bedecken, wenn diese großen schwarz-weißen Vögel auf mich herabstießen. Ich habe immer noch den Klang des kräftigen Windes zwischen ihren Federn in den Ohren, den ich hörte, wenn ich so nahe an ihnen unter den Gummibäumen hindurchging, in denen sich ihre Nester befanden. Im Frühling verhalten sich Elstern besonders fürsorglich und bewachen sorgsam ihre Nester und ihre Familien.

      Musik spielte auch bei meiner Familie zu Hause eine wichtige Rolle. Laut meiner Mutter konnte ich bereits mit zwei Jahren einen Ton halten. Bald schon kannte ich Liedtexte und sang Harmonien zu jedem Song im Radio. Ich glaube, ich habe diese Gabe von meinem Vater Brinley „Brin“ Newton-John geerbt. Er stammte aus Wales und verfügte über eine wunderschöne Bass-Bariton-Gesangsstimme. Er hätte Opernsänger werden können, zog es jedoch vor, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, weil er so selbstkritisch war. Er hielt sich einfach nicht für gut genug. Vater besaß eine Aufnahme von sich auf einer alten schwarzen Acetat-Platte, die er aber vernichtete, weil sich darauf eine einzige schief gesungene Note befand. (Ich frage mich nur, von wem ich wohl meinen Perfektionismus habe?)

      Meine Mum, Irene Helene Born, war die Tochter des deutschen Physikers und Nobelpreisträgers Max Born, der zu den Begründern der Quantenmechanik zählte. Albert Einstein gehörte zu seinen engen Freunden, und als meine Mum ein kleines Mädchen war, verbrachte Einstein viele Abende im Hause Born und spielte Geige, während mein Großvater ihn auf dem Klavier begleitete. Meine Mutter sollte später einmal die gesammelte Korrespondenz der beiden unter dem Titel The Born-Einstein Letters übersetzen. Mein deutscher Großvater war der erste Mensch, der einen Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen unterzeichnete, weil er ein solcher Kriegsgegner war. Außerdem


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