Hör nie auf zu träumen. Olivia Newton-John
zusammenzuarbeiten, das zerstörerisch und gefährlich für Menschen gewesen wäre. 1933 flüchtete mein Großvater mit seiner Frau Hedwig vor Hitlers Regime, denn er war Jude. Er war nicht nur ein brillanter Geist, sondern auch ein Humanist, der Juden bei der Flucht aus Deutschland unterstützte. Ich bin jedenfalls ganz besonders stolz auf meinen friedliebenden Großvater.
Mein Onkel Gustav, der leider kürzlich im Alter von 96 Jahren verstorben ist, hielt sich an seinen Vater, der ihm geraten hatte, Arzt zu werden. Schließlich müsse er da „keine Leute umbringen“ und es sei „nicht sehr wahrscheinlich“, selbst getötet zu werden.
Als ob meine Familiengeschichte damit nicht schon schillernd genug wäre, fand ich mit großer Freude heraus, dass sich auf der mütterlichen Seite meiner Familie, ganz weit oben im Stammbaum, auch Martin Luther, der große Reformator, befindet. (Kein Wunder, dass mich seit jeher Religionen und unterschiedliche Glaubenssysteme faszinieren.) Und dann gibt es da irgendwo auch noch einen spanischen König.
Ganz schön viel, dem man da gerecht werden sollte!
Zu den wenigen Dingen in meinem Leben, die ich aufrichtig bereue, zählt, dass ich meinen Großvater nie getroffen habe. Selbst als ich als Teenager von Australien nach Großbritannien zog, um meine Gesangskarriere zu beginnen, hatte ich keine Zeit. Zumindest dachte ich das. Meine Mutter mahnte mich stets, ihn zu besuchen, aber ich war immer zu beschäftigt. Das lehrte mich eine wichtige Lektion.
Die Zeit nimmt man sich einfach.
Mein Vater Brin stammte aus viel einfacheren Verhältnissen. Er wurde in Wales in eine Familie aus der Mittelschicht geboren; sein Vater Oliver John arbeitete als Zimmermann. Seine Mutter Daisy war eine sehr strenge Quäkerin, die seinen Mund jedes Mal mit Seife auswusch, wenn er geflucht oder etwas gesagt hatte, das als blasphemisch ausgelegt werden konnte. Dads angeborene Intelligenz brachte ihm ein Stipendium für die Universität Cambridge ein. Er war ein brillanter Mann, der sowohl Deutsch als auch Französisch fließend sprach. Tatsächlich beherrschte er Deutsch so perfekt, dass er, als er in der Royal Air Force zunächst als Wing Commander und später als Geheimdienstoffizier diente, deutsche Kriegsgefangene auf Deutsch befragen konnte. (Kein Wunder, dass ich nie etwas vor ihm geheim halten konnte!) Er arbeitete sogar am Enigma-Projekt in Bletchley Park mit, wo im Zweiten Weltkrieg geheime Codes geknackt wurden. Später war er daran beteiligt, den Stellvertreter des „Führers“, Rudolf Heß, dingfest zu machen.
Dad umgarnte berüchtigte Gefangene, in der Regel hohe Würdenträger des Dritten Reiches, um so Informationen aus ihnen herauszubekommen. Eines Tages nahm er Rudolf Heß mit in ein gehobenes Londoner Hotel, um dort mit ihm eine nachmittägliche Tasse Tee zu trinken. Schon bald unterhielten sie sich über Waffen. Dad entschuldigte sich bei Heß dafür, dass er nur eine einfache Pistole trug.
„Nehmen Sie doch meine“, antwortete Heß stolz und reichte ihm seine Luger, die er in seiner Kleidung versteckt hielt! Natürlich hatten damals keine Metalldetektoren Alarm geschlagen.
Das waren noch andere Zeiten.
Meine Eltern hätten sich vermutlich gar nicht an der Universität Cambridge kennengelernt, wenn meine Mutter nicht so ein gutes Gehör für wunderschöne Musik gehabt hätte – nämlich für solche, die ein Herz zum Schmelzen bringen konnte. Eines Tages hörte sie einen Mann mit einer herrlichen Baritonstimme singen und blieb wie angewurzelt stehen. Schließlich folgte sie der Stimme. Mum betonte stets, dass sie sich zuerst in Dads Stimme verliebt habe, noch bevor sie ihn überhaupt zu Gesicht bekam. Die beiden waren gleich alt, siebzehn, und voller Träume. Mum war eine brünette klassische Schönheit und von großer Anmut. Dad maß einen Meter neunzig und hatte blonde Haare. Er sah so gut aus wie ein Filmstar und besaß diese aristokratisch schöne Stimme. Muss ich noch mehr sagen? Was für ein strahlendes Paar.
Man könnte von Liebe auf den ersten Ton und dann den ersten Blick sprechen. Schon kurze Zeit später heirateten sie. Gleichsam im Handumdrehen kam mein Bruder Hugh, der später Arzt werden sollte, zur Welt, gefolgt von meiner Schwester Rona, die Mannequin, Schauspielerin und Sängerin wurde. Von uns dreien war ich das Nesthäkchen. Ich wurde acht Jahre nach Rona geboren und war offenbar das Baby, mit dem die Ehe gekittet werden sollte. Aber dazu in Kürze mehr.
Vor meiner Geburt machte meine Mutter eine sehr schwere Zeit durch. Mein Vater diente im Zweiten Weltkrieg in Bletchley Park, wo er, wie gesagt, am Enigma-Projekt arbeitete, während sie sich um zwei kleine Kinder kümmern musste. Sie war eine schöne deutsche Frau, und die Dorfbewohner misstrauten ihr. Zwei liebe Quäkerinnen brachten ihr und ihren Kindern aber Eier und Gemüse an die Haustür. Sie waren ihre einzigen Freundinnen. Meine Mutter wiederum unterhielt sich freundlich mit den deutschen Kriegsgefangenen. Zu den vielen Dingen, die mir meine Mutter beigebracht hat, zählt auch, dass man mit Freundlichkeit – egal, was auch geschehen mochte – immer weiterkommt.
Doch nicht jeder verhielt sich freundlich, nett und korrekt. Später erzählte mir Rona, dass unser Vater während seiner Zeit bei der Air Force eine Affäre hatte. Eines Tages klopfte eine Frau an die Tür meiner Mutter, um sie einzuweihen. Meine Mutter war daraufhin verunsichert und misstrauisch. Außerdem brach es ihr das Herz. Immerhin hatte sie meinen Vater geliebt, seitdem sie siebzehn Jahre alt gewesen war.
Man muss ihr zugutehalten, dass sie die Ehe nicht aufgab und zum Wohle der ganzen Familie versuchte, sie wieder kitten. Sie lehrte mich – ihr Baby, das die Ehe retten sollte –, ebenfalls zu vergeben. Ich sollte jedoch ihr letztes Kind bleiben.
Mein Vater war charmant, charismatisch und teuflisch attraktiv. Er erwartete von sich und seiner Familie stets das Beste. Ein „Gut gemacht!“ war da schon das höchste Lob von ihm, für das man sich ganz schön ins Zeug legen musste. Dad glaubte an harte Arbeit, Disziplin und daran, Dinge aus eigener Kraft zu schaffen. So hätte er ohne Weiteres meinem Bruder einen Freifahrtschein an die Universität verschaffen können. Stattdessen bestand er darauf, dass Hugh ausgezeichnete Prüfungsergebnisse lieferte und sich seinen Studienplatz gefälligst selbst verdiente. Tatsächlich schloss mein Bruder sein Studium mit Auszeichnung ab. Er spezialisierte sich später auf ansteckende Krankheiten und erfand die erste transportable Eiserne Lunge.
Während ich diese Zeilen hier schreibe, denke ich mir, welch Glück ich habe, singen zu können. Danke, lieber Dad, für deine musikalischen Gene.
Als ich noch ein kleines Mädchen war, sang Dad in der Kirche immer lauthals mit. Das war mir aber peinlich, da ich nicht auffallen wollte. Er verfügte über einen wundervollen Sinn für Humor und nahm mich auf den Arm, indem er vorgab, ein richtig alter Mann zu sein. Er krümmte seine Finger und sprach mit brüchiger Stimme. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
Ich verehrte meinen Vater und denke heute mehr an ihn als je zuvor – vor allem, wenn ich klassische Musik höre, weil sie bei uns zu Hause immer sehr laut lief. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich meinen Vater, wie er jede Note dirigiert, lächelt und seinen abendlichen Sherry trinkt.
Nach der Scheidung meiner Eltern konnte ich viele Jahre lang keine klassische Musik hören. So wie meine Mutter auch. Sie brachte uns schlichtweg zum Weinen. Jahre später traf ich meine Mutter an, wie sie in einem Sessel saß. Im Radio lief schöne klassische Musik, und sie hatte Tränen in den Augen. Mir war klar, dass sie an meinen Vater dachte. Da befand sie sich bereits in ihren Achtzigern.
Nie werde ich ihren siebzigsten Geburtstag vergessen. Dad, der seither noch zweimal geheiratet hatte, schickte ihr sieben Veilchensträuße. Eines für jedes Lebensjahrzehnt.
Das waren ihre Lieblingsblumen.
Als ich ein kleines Kind war, lebten wir in England, wo Dad Direktor des King’s College in Cambridge war. Aus dieser Zeit habe ich nur sehr wenige Erinnerung, abgesehen davon, dass ich auf dem dicken blauen Teppich zwischen den Betten meiner Eltern in deren Schlafzimmer herumkrabbelte. Dieses Arrangement entsprach damals völlig der Norm. Sie waren wie eine englische Version von Lucy und Ricky [die Hauptfiguren aus der US-Sitcom I Love Lucy]!
Da ich als kleines Kind voller Energie steckte, gab es natürlich auch weniger schöne Augenblicke, etwa als ich versehentlich ein paar Schlaftabletten verschluckte. Mir musste daraufhin der Magen ausgepumpt werden. Diese Erfahrung war so traumatisch und unvergesslich, dass mich Drogen nie mehr interessieren