Coltrane. Ben Ratliff

Coltrane - Ben Ratliff


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stammenden, populären Trompeter, Sänger und Bandleader, einem Vertreter des Jump-Blues-Stils.

      Im Jazz gab es damals gewisse Schnittstellen wie Kolax, die weniger aufgrund ihrer eigenen musikalischen Errungenschaften von Bedeutung waren als wegen der Musiker, die sie einstellten. In seinen Anfangsjahren spielte Coltrane in vielen solcher Bands. King Kolax, den meisten Berichten zufolge eine mitreißende und lustige Bühnenpersönlichkeit, hinterließ keine nennens-werte Hinterlassenschaft. Die wichtigsten Aufnahmen, an denen er überhaupt teilnahm, stammen aus dem Jahr 1946, als er in Billy Eckstines Band gemeinsam mit Miles Davis und Hobart Dotson in einer vierköpfigen Bläsersektion spielte. Kolax übernahm dort kein einziges Solo. Bird hatte 1939 als Teenager in der Gruppe von Kolax gespielt – damals hatte Kolax eine der heißesten Bands von ganz Chicago. Einige Zeit später, 1941, war Gene Ammons der Altsaxofonist in der Band von Kolax. Johnny Griffin sah die Gruppe bei der Abschlussfeier seiner High School im Parkway Ballroom in Chicago, was ihn so nachhaltig beeindruckte, dass er beschloss, selbst Saxofon zu spielen. Coltrane war in den ersten Monaten des Jahres 1947 der nächste Musiker mit großer Zukunft, der mit Kolax unterwegs war.

      Daneben trat Coltrane auch mit seinem Freund Jimmy Heath auf, der in Philadelphia seine eigene Band leitete, die gewissermaßen ein Abklatsch von dem war, was Gillespies Band neunzig Meilen weiter nördlich machte. Außerdem spielte er auch mit Eddie „Cleanhead“ Vinson, einem Bandleader, der Kolax in vielem ähnelte: Er trug scharfe Klamotten, sang, spielte Saxofon und sorgte für gute Unterhaltung.

      Als er sich Vinsons Band für eine lange Reihe von Einzelengagements im Winter 1948/1949 anschloss, wandte sich Coltrane ernsthaft dem Tenorsaxofon zu. Vinson suchte jemanden, der wie Bird über Rhythm & Blues-Melodien improvisieren konnte. Das konnte Coltrane, aber der Posten sollte mit einem Tenor- und nicht mit einem Altspieler besetzt werden. Er ergriff die Chance. Und nun, da er ein anderes Instrument in Händen hielt, begann der gelehrige Schüler Coltrane nach dem großen Tenorspieler Ausschau zu halten, der ihm neue Wege auf dem Tenorsaxofon aufzeigen könnte, so wie es Bird auf dem Altsaxofon getan hatte.

      Unter den üblichen Verdächtigen war damals Lester Young, der bei Count Basie mit seinen hübschen, leichten Melodielinien auf dem Tenorsaxofon bekannt geworden war. Außerdem gab es Ben Webster, der fette, weiche und runde Töne auf dem Tenor spielte und den Ton so weit zurücknehmen konnte, dass man nur noch ein flüchtiges Zischen hörte; wie kein anderer verstand er es, bei Balladen mit Timbre und Phrasierung umzugehen. Coltrane bewunderte auch Tab Smith, einen Meister des Tons, einen gefühlvollen Tenorspieler in der Tradition von Johnny Hodges.

      Und dann war da noch Coleman Hawkins. Coltrane mochte die Arpeggien, die Hawkins spielte, seine Artikulation einer gesamten Skala, wo sich andere Musiker mit nur ein paar Tönen zufrieden gegeben hätten. Seine Vision von Musik war übergreifender, kaleidoskopischer als die der meisten anderen großen Solisten des Jazz: Anstatt seine Melodien mit einem spitzen Bleistift zu ziehen, verwendete er einen dicken Kugelschreiber. Er hatte einen kräftigen Atem, mit dem er all diese Töne, all diese Bezugspunkte zur Akkordstruktur lebendig und natürlich klingen lassen konnte.

      Anfang der Sechzigerjahre fragte man Eddie Vinson nach Coltrane. „Ja, ja, der gute alte Coltrane war damals in meiner Band. Er wollte nie spielen. Also musste immer ich den ganzen Abend lang spielen. Ich fragte ihn dann: ,Mann, warum spielst du denn nicht?‘ Und er sagte: ,Ich will einfach nur dir beim Spielen zuhören …‘ Das war schon ein seltsamer Knabe. Er änderte seinen Stil fast alle sechs Monate.“ Ein Charakterzug: Coltrane mag anderen gegenüber zaghaft gewesen sein, offensichtlich jedoch nie gegenüber sich selbst.

      Dann kam Coltranes Stunde. Dizzie Gillespies Pianist James Forman kannte ihn von Engagements in Philadelphia. Beide waren Mitglieder der Musikergewerkschaft. Forman empfahl Coltrane bei Gillespie, der Heath und auch Coltrane bat, sich seiner Big Band anzuschließen. Der Job begann im Oktober 1949.

      In den Vierzigern war Bebop die neue Sprache eines auf dem Blues basierenden Modernismus. Bald verstand man darunter schnelle Tempi, asymmetrische Melodieführungen und von Igor Strawinsky, Claude Debussy und Béla Bartók inspirierte Harmonien. Der Bebop wurde Anfang der Vierziger in New York von Parker, Gillespie und den Musikern in deren Umfeld entwickelt und schlich sich mit der Zeit auch in die Musik der populären Big Bands ein. 1949 jedoch war allein der Gedanke an eine Big Band von Gillespie – und für alle jene, die damals über Jazz lasen, war dies gleichbedeutend mit einer Bebop-Big-Band – höchst problematisch. Erstens waren Big Bands etwas für Tänzer, und die Bebop-Tempi waren meist schneller und nicht so gut zum Tanzen geeignet. Zweitens erholte sich Amerika gerade von einer Kriegswirtschaft, die den großen, umherziehenden Big Bands mit der Rationierung von Benzin und Gummi und einem allgemeinen Anstieg der Transportkosten bereits arg zugesetzt hatte. Die Vorrangstellung dieser Bands innerhalb der nationalen Musikkultur nahm mehr und mehr ab. Den Beweis dafür lieferte die Musik selbst. Abgehackte, quirlige Bop-Melodien, dreitonige Bop-Harmonien und schnelle, kantige Bop-Rhythmen ließen sich allesamt besser von einer vier- oder fünfköpfigen Gruppe ausführen als von einem Orchester.

      Gillespie hingegen, der gemeinsam mit Charlie Parker zum Synonym für die Bebop-Bewegung geworden war, hatte beim Erkennen solcher Schwierigkeiten einen Vorteil. Er kam aus der Band von Cab Calloway, die ein neues Image populär gemacht hatte: das einer kraftvollen, modernen Band, gepaart mit geistreicher Clownerie. Als Calloway sie 1947 auflöste, wollte er dieses Wissen übers Showgeschäft unbedingt anwenden. Weitaus wichtiger war jedoch, dass er dabei bereits an ein anderes Big-Band-Modell dachte: die Latin-Variante. Er war mit der Latino-Musik hauptsächlich durch seine Bekanntschaft mit dem Trompeter Mario Bauzá in Berührung gekommen, einem Bläserkollegen aus der Calloway-Band. 1942 spielte er kurzzeitig mit Machito’s Afro-Cubans zusammen und entdeckte nach und nach verschiedene Möglichkeiten, über den kubanischen Clave-Rhythmus Jazzimprovisationen zu legen.

      Gillespies Orchester existierte von 1946 bis 1950. Er hatte die kleinen Plattenfirmen der ersten Bebop-Experimente hinter sich gelassen. RCA bezahlte nun seine Aufnahmen. 1947 spielte er mit dem Orchester „Manteca“ ein, eines der wichtigsten Jazzstücke aller Zeiten – und Ursprung des modernen Afro-Latin-Jazz. Zu dem Zeitpunkt jedoch, als Coltrane den Posten des Lead-Altsaxofonisten übernahm (die erste Stimme der Saxofongruppe, die feste, komponierte Melodien spielte), war das Ende bereits in Sicht. Die Engagements gingen zurück. Bis zum Ende des Jahrzehnts war das Orchester auf sechs oder sieben Mitglieder zusammengeschrumpft. Einige Auftritte dieser Band aus dem Jahr 1951 haben auf Raubkopien überlebt. Sie stellen die nächsten wichtigen Aufnahmen Coltranes seit der Aufnahme auf Oahu dar. Hie und da ist er als Solist zu hören, kraftvoll, wahrhaft und improvisierend. Er wird weder vom Donner einer Big Band hinweggefegt, noch lässt er sich bei einem Sänger-plus-Orchester-Job in den Hintergrund drängen. Seine Entwicklung als Musiker ist bemerkenswert. Und warum auch nicht? Immerhin sind fünf Jahre vergangen, für einen jungen Mann eine lange Zeit. Er hat Zugriff auf mehr Töne, doch die Logik seines Spiels ist immer noch wirr, immer noch chaotisch. Was aber hören wir 1951 schon von dem späteren, reifen Coltrane? Er schimmert zumindest an manchen Stellen durch. In den nächsten vier Jahren, bis er in die Band von Miles Davis einstieg, arbeitete er jedoch lediglich weiter an der Verfeinerung seiner Grundkenntnisse.

      Coltrane spielte in Gillespies Big Band vermutlich nur selten Tenorsaxofon. Abseits der Bühne übte er aber wie ein Besessener auf dem größeren Blasinstrument und baute auf den Erfahrungen auf, die er in Vinsons Band gemacht hatte. Er verwendete Übungsskalen von Carl Czerny und Charles-Louis Hanon und übte verschiedene Arpeggio- und Intervallmuster, manche davon mit wechselnden Registern durch sämtliche Tonarten der westlichen Musik. Sie waren als Fingerübungen für Pianisten gedacht und nicht gerade das typische Übungsmaterial für einen Bläser.

      Zur Zeit der 1951 entstandenen Aufnahmen hatte er einen eigenen Stil entwickelt, der in sich aber noch kaum schlüssig war. Er verband exotische Skalen und eine Rhythm & Blues-Rhetorik mit sturen, langgezogenen Tönen und den Anfängen eines wachsenden Interesses für die tiefen und hohen Lagen.

      Das beste Solo der Bootlegaufnahmen mit Gillespie aus dem Jahr 1951 – es gibt aus dieser Zeit keine offiziellen Studioaufnahmen mit einem Solo von Coltrane – findet sich in Gillespies „A Night In Tunisia“ vom 6. Januar.

      Wir wissen durch sein Zitat des Mittelteils in der 1946


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