Jimi Hendrix. Charles R Cross

Jimi Hendrix - Charles R Cross


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und Lucilles Sauferei allmählich satt. „Sie haben getrunken und Partys gefeiert, und ich hatte eine Familie zu versorgen“, sagt sie. Wenn Lucille betrunken war, zeigte sie sich übertrieben anhänglich und emotional. Al war das Gegenteil: Alkohol machte ihn launisch und verbittert.

      Nachdem Al Arbeit im Schlachthaus gefunden hatte, erlaubte sein Gehalt, dass die Familie in ein Hotel zog, in dem vor allem Durchreisende aus der Gegend um die Jackson Street abstiegen. In ihrem bescheidenen Zimmer stand nur ein einzelnes Bett, das er sich mit Lucille und Buster teilte. Sie hatten eine einzige Kochplatte, auf der sie ihre Mahlzeiten zubereiteten, und das einzige andere Möbelstück in dem Raum war ein Schreibtischstuhl. In diesem Hotelzimmer lebten sie monatelang.

      Während der Zeit im Hotel, ein ganzes Jahr nach seiner Rückkehr, beschloss Al, den gesetzlich eingetragenen Namen seines Sohnes zu ändern. Er entschied sich für James, da dies sein eigener offizieller Name war, und für Marshall als zweiten Namen nach dem Zweitnamen seines verstorbenen Bruders Leon. Danach wurde der Junge von einigen Jimi oder James genannt, obwohl er innerhalb der Familie weiterhin Buster blieb.

      Durch das Leben im Hotel geriet die Familie in ein Fahrwasser, das Lucille bereits bestens kannte – es war mehr oder weniger dasselbe Viertel, in dem sie schon während des Kriegs als Kellnerin gearbeitet hatte. Sie kannte viele Leute, und wenn sie die Straße entlangspazierte, traf sie in der Regel mehrere Bekannte. Al profitierte als ihr Mann von ihrer Beliebtheit, aber auch seine Eifersucht wurde dadurch angestachelt. „Al kannte nur Lucilles Freunde“, sagt Delores, „eigene Freunde hatte er nicht.“ Das Viertel war eines der buntesten der Stadt, und zu ihren Freunden zählten Chinesen, Japaner, Weiße und eine ganze Reihe philippinischer Familien. Rassistische Vorurteile waren in Seattle jedoch noch immer tief verankert, denn Al wurde, wie er erzählte, der Seefahrtsschein verweigert, da ihn die ausstellende Behörde aufgrund der zahlreichen nichtweißen Freunde des Ehepaars als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ einstufte.

      Schließlich erhielt Al eine Lizenz der Handelsmarine und nahm einen Job auf einem Schiff an, das nach Japan fuhr. Wieder war er tausende von Kilometern weit entfernt, und als er mehrere Wochen später zurückkehrte, war Lucille des Hotels verwiesen worden. Al behauptete, der Geschäftsführer des Hotels habe ihm mitgeteilt, sie sei mit einem anderen Mann auf dem Zimmer erwischt worden.

      Delores widerspricht Als Version der Ereignisse. Was auch immer geschehen war, es hielt Al nicht davon ab, Lucille sofort wieder in die Arme zu schließen. Es ergab sich ein Muster: Regelmäßig trennten sie sich und kamen ebenso regelmäßig wieder zusammen. „Es war fast schon ein Kreislauf“, schrieb Al in seiner Autobiografie. „Zwei oder drei Monate lief alles wunderbar. Dann merkte ich: ‚Oha … da liegt was in der Luft.‘“ Selbst Jimi Hendrix blieb dieses Muster nicht verborgen. Jahre später erzählte er einem Interviewer, die Beziehung seiner Eltern sei hitzig gewesen: „Mein Vater und meine Mutter haben sich oft miteinander überworfen“, sagte er. „Ich war ständig drauf gefasst, wieder mal klammheimlich nach Kanada abzuhauen.“ In Kanada konnte er bei seiner Großmutter Nora Hendrix unterkommen. Noch öfter allerdings wurde er zu seiner Großmutter Clarice, zu Delores oder Dorothy Harding in Seattle abgeschoben.

      Dorothy Harding musste regelmäßig babysitten, nachdem die wiedervereinte Familie im Frühjahr 1947 ihre erste gemeinsame Wohnung im Rainier-Vista-Wohnungsbauprojekt bezogen hatte, in dem auch Dorothy wohnte. Rainier Vista lag fünf Kilometer südlich vom Central District im Rainier Valley. Der Wohnkomplex selbst wurde hauptsächlich von weißen Familien im Ruhestand bewohnt, aber nach dem Krieg beherbergte er auch zunehmend Afro­amerikaner. Die Einzimmerwohnung der Familie in der Oregon Street 33121 war so klein, dass Buster in der Abstellkammer schlafen musste. Diese wurde zu seinem Rückzugsort, wenn die Eltern stritten, was nun immer öfter vorkam.

      Die meisten Auseinandersetzungen entsprangen den finanziellen Problemen der Familie und Lucilles Klagen darüber, dass Al nicht genug verdiente, um seine Familie zu ernähren. Sie drohte, sich eine Stelle als Kellnerin zu suchen, doch in Als Augen stellte sie damit seine Männlichkeit infrage. Die meisten Jobs, die er in dieser Zeit annahm, bedeuteten harte körperliche Arbeit, und keiner davon war von Dauer. Auch machte er im Rahmen eines Förderprogramms zur beruflichen Wiedereingliederung ehemaliger Kriegs­vete­ranen eine Lehre als Elektriker, in der Hoffnung, eine besser bezahlte Arbeit zu finden. Die Familie lebte von weniger als neunzig Dollar im Monat, wobei die Miete allein schon vierzig betrug.

      Lucille war das Leben in der und um die Main Stem gewohnt, und der häusliche Alltag, den sie im Rainier Vista erlebte, stand dazu in krassem Gegensatz. Wenn Al erschöpft von der Arbeit nach Hause kam, hatte er selten Lust auszugehen. Al schlug ihr vor, ohne ihn auszugehen.

      „Wenn sie nach Hause kam“, erinnert sich Delores, „war er besoffen und stocksauer. Die Nachbarin nebenan erzählte mir, sie habe jeden Abend Streit und Gezeter gehört.“ Delores sagte, Lucille habe regelmäßig Beulen und Prellungen davongetragen, wenn die Streitereien in Handgreiflichkeiten ausarteten.

      Anfang 1948 stritten sie laut Al einmal so erbittert, dass Lucille auszog und einen Monat lang bei einem Filipino namens Frank lebte. Wenn die Geschichte wahr ist, war sie offenbar dennoch kein Grund für eine Scheidung, und als Lucille zurückkehrte, nahm Al sie wieder auf. In seiner Autobiografie schrieb er: „Ich bin nicht übermäßig eifersüchtig, aber nach dem, was sich Lucille alles geleistet hat, hätten die meisten Kerle sie zum Teufel gejagt.“ Al tat das Gegenteil: Wenn sie ihn verließ, schien er sie jedes Mal noch stärker zu begehren. Laut Delores Hall habe Al böswillig Lucilles Freundschaften zu Männern als Liebesaffären ausgelegt, während Al behauptet, Lucille habe ihn offen betrogen – die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Dennoch, wenn auch nur die Hälfte der Ereignisse, von denen Al in seiner Autobiografie berichtet, wahr ist, wurde er nach Strich und Faden hintergangen. Delores dagegen ist der Ansicht, Als Eifersucht sei das Produkt seiner vom Alkohol beflügelten Fantasie.

      Als Sorgen beruhten jedoch keineswegs ausschließlich auf Einbildung. In jenem Jahr wurde John Page aus dem Gefängnis entlassen, und als er wieder auftauchte, sann er auf Rache. „Er drohte, uns alle umzubringen“, sagt ­Delores. Page stellte Lucille mit einem Revolver nach und schwor, er würde sie mit nach Kansas City nehmen. Ein Freund der Familie schlug ihn mit seiner eigenen Pistole in die Flucht. „John Page war wild entschlossen, Lucille auf den Strich zu schicken“, behauptet Delores. Page hatte offenbar bereits Freunden gegenüber geprahlt, Lucille könne mit ihrer hellen Haut auf dem Strich viel Geld anschaffen. Delores riet Lucille dringend, Page aus dem Weg zu gehen, doch Lucilles Reaktion klang naiv und bis zu einem gewissen Grad auch verschwörerisch. „Ich hab nicht viel mit ihm zu tun“, sagte sie Delores, „aber er gibt mir immer Geld und macht mir schicke Geschenke.“ Die Situation war, wie Dorothy Harding meint, „ein heilloses Durcheinander“.

      Page ließ sich nicht so ohne Weiteres vertreiben. Eines Abends, als Al, Lucille, Delores und andere Verwandte das Atlas Theater verließen, tauchte er auf und packte Lucille.

      „Lass sie sofort los“, schrie Al.

      „Das ist meine Frau“, erwiderte Page. „Ist mir scheißegal, ob du mit ihr verheiratet bist. Du warst nicht da – du hast keine Ahnung.“

      Das war der Startschuss für eine Schlägerei. Page war größer als Al, doch Al hatte Erfahrung im Boxen und landete den ersten Treffer, der Page kurzfristig überrumpelte. Sie prügelten sich die gesamte Straße hinunter, und Al blieb im Vorteil. Schließlich wurden die beiden Männer von Zuschauern getrennt, und Page rannte davon. Lucille ging mit Al nach Hause, und John Page belästigte sie nicht wieder.

      Ein hartnäckigerer Dämon als die Eifersucht war jedoch der Alkohol, der die Zankereien der beiden befeuerte. „Wenn sie tranken, stritten sie auch“, bemerkt Delores. Regelmäßig fanden in ihrer Wohnung Partys statt. „Wenn Lucille und ich Alkohol zu Hause hatten, tranken wir, und meist waren auch andere Leute da, also war es eine Party“, schrieb Al in My Son Jimi. Diese Partys waren so wild, dass sowohl Dorothy wie auch Delores ihren Kindern verboten, die Hendrix’ zu Hause zu besuchen. Jimi musste entweder woanders übernachten oder in seiner Abstellkammer hocken und sich den Lärm anhören. Sowohl Delores wie auch Dorothy fiel auf, dass sich Jimi in diesem Jahr immer mehr zurückzog. Als er gefragt wurde, warum er so still sei, antwortete er meist: „Mama und Papa


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