Jimi Hendrix. Charles R Cross

Jimi Hendrix - Charles R Cross


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Jimi oft zu Dorothy Harding. Er war so still, dass Harding sich fragte, ob er ernsthaft krank sei. „Er sagte kaum ein Wort“, erinnert sie sich.

      Wenn Jimi doch einmal redete, dann mit einem leichten Stottern, das er bis in seine Jugend behielt und das auch im Erwachsenenalter gelegentlich durchschlug, wenn er nervös war. Er konnte Dorothys Namen nicht aussprechen, weshalb er sie „Auntie Doortie“ nannte. Ab Herbst besuchte er die Vorschule und wurde ein wenig offener, obwohl er wegen seines Sprachfehlers ständig gehänselt wurde. Irgendwann 1947 bekam er sein erstes Musikspielzeug, eine Mundharmonika, doch er zeigte kaum Interesse daran und ließ sie schon bald achtlos liegen. Sein Lieblingsspielzeug war ein kleiner Hund, den Delores aus Stoffresten für ihn genäht hatte. Auf den wenigen Fotografien aus jener Zeit sieht man ihn, wie er den ausgestopften Hund umklammert, als handle es sich um seinen kostbarsten Besitz.

      In guten Zeiten gab sogar Al zu, dass Lucille eine gute Mutter war. „Lucille war wirklich gut im Umgang mit Jimi“, schrieb er in seinem Buch. „Sie knuddelte ihn und sprach mit ihm, und er kuschelte viel mit ihr.“ Jimi war ein kreati­ves Kind und konnte stundenlang allein spielen. Im Alter zwischen vier und sechs Jahren hatte er einen Fantasiefreund, der ihn bei allem begleitete, was er tat.

      * * *

      Im Sommer 1947 wurde Lucille wieder schwanger. In seinem Buch schreibt Al fünfzig Jahre später, zur Zeit der Empfängnis sei er von seiner Frau getrennt gewesen, was Delores Hall bestreitet. Zumindest aber in jenem Sommer waren Al und Lucille zusammen, und mit ihrer Schwangerschaft verbesserte sich die Beziehung. Mehrere Freunde berichten ganz im Gegenteil zu der Version in Als Buch, er habe sich sehr gefreut, ein weiteres Kind zu bekommen. „Immer wieder hat er gesagt, wie glücklich er war“, erzählt Dorothy Harding, „weil er gern bei der Geburt seines Babys dabei sein wollte – Jimis Geburt hatte er ja verpasst, weil er weg gewesen war.“

      Das Baby wurde am 13. Januar 1948 geboren. Al nannte das Kind nach seinem geliebten verstorbenen Bruder Leon. Auf der Geburtsurkunde wurde Al als Vater eingetragen, und er beeilte sich wie jeder andere frisch gebackene Vater, vor jedermann mit dem Kind anzugeben. Auch Delores war im Harborview Hospital, wo sie nur zwei Tage vor Leons Geburt ihr drittes Kind auf die Welt brachte. Sie und Lucille lagen auf der Entbindungsstation nebeneinander, und Delores erinnert sich, dass Al großes Aufheben um Leon machte: „Er zog ihn ganz aus und betrachtete ihn von oben bis unten und sagte dann: ‚Ich bin so froh, dass ich noch einen Sohn habe. Jetzt kann ich sehen, wie seine kleinen Zehen aussehen, die kleinen Füße und die kleinen Hände.‘“ Vielleicht lag es an Als eigenem kleinem Geburtsfehler, dass er immer wieder Leons Zehen und Finger zählte.

      Leons Geburt markierte den Höhepunkt der glücklichen Zeit der Familie. Al war so entzückt von seinem neuen Sohn, dass sich auch alles andere im Leben der Familie zu bessern schien. „Das war die Zeit, in der sie einander blendend verstanden“, sagt Delores. „Al hatte eine Zeit lang einen besseren Job, und die Streitereien nahmen scheinbar ab.“

      Sofort war allen klar – auch Jimi –, dass Leon Als Liebling war. Jimi erzählte seinem Cousin Dee: „Daddy und Mommy sind ganz verrückt nach meinem kleinen Bruder, die mögen ihn lieber als mich.“

      Nicht lange nach Leons Geburt zog die Familie in eine Zweizimmerwohnung im Rainier Vista. Auch sie war klein, aber zumindest hatten Jimi und Leon ein Zimmer für sich. Ab September besuchte Jimi den Kindergarten. Mit fünf Jahren und zehn Monaten war er etwas älter als die anderen Kinder, aber nicht so alt, dass es aufgefallen wäre. Jeden Nachmittag nach der Schule lief er zu dem großen Grüngürtel westlich des Rainier Vista. Dort im Wald kämpfte er täglich Schlachten gegen imaginäre Cowboys und stellte sich vor, er sei einer der indianischen Krieger, über die ihm seine Großmutter Nora Hendrix Geschichten erzählt hatte.

      Nur elf Monate nach Leons Geburt brachte Lucille einen weiteren Jun-gen zur Welt, dem Al den Namen Joseph Allen Hendrix gab. Al wurde auf der Geburtsurkunde als Vater eingetragen, obwohl er in seiner Autobio-grafie die Vaterschaft leugnet. Während Jimi und Leon jedoch beide groß und schlaksig gebaut waren, war Joe klein und kräftig und sah Al ähnlich wie ein Zwillingsbruder.

      Joes Geburt war für die Familie kein Anlass zur Freude. Er hatte verschiedene ernsthafte Geburtsfehler, darunter auch zwei Reihen von Zähnen, was ein seltenes Phänomen ist. Er litt außerdem an einem Klumpfuß und einer Hasenscharte, und ein Bein war beträchtlich kürzer als das andere. Jimi Hendrix war in dem Winter, in dem Joe geboren wurde, sechs Jahre alt geworden, und nun hatte die Familie drei kleine Kinder zu füttern, wo sie doch schon mit nur einem Kind ums Überleben hatte kämpfen müssen. Noch schlimmer jedoch war, dass Al und Lucille von nun an unablässig darüber stritten, wer von ihnen beiden für Joes gesundheitliche Probleme verantwortlich war. Lucille gab Al die Schuld, weil er sie während ihrer Schwangerschaft gestoßen hatte. Al warf ihr die Trinkerei vor.

      Je älter Joe wurde, desto deutlicher zeichnete sich ab, dass er medizinische Hilfe brauchte. Al, der die Kosten scheute, begann sich emotional von seinem Sohn und dem Rest der Familie zu distanzieren. Im Gegenzug dazu brachte Joes Bedürftigkeit die mütterlichen Instinkte in Lucille zum Vorschein, und sie überlegte, wie es gelingen könnte, Joe die Operation zu ermöglichen, die er dringend benötigte. Regelmäßig fuhren sie mit dem Bus ins Kinderkrankenhaus im Nordosten von Seattle, für den Hin- und Rückweg benötigte man damals jeweils zwei Stunden. Sie stellte fest, dass der Staat für einen Großteil der von Joe benötigten ärztlichen Versorgung aufkommen würde, doch die Familie müsste einen Teil der Kosten selbst tragen. Al lehnte ab. Er hatte in jenem Jahr seine Ausbildung zum Elektriker abgeschlossen, doch der einzige Job, den er fand, war der eines Hauswarts auf dem Pike Place Market, wo er fegte, wenn die Bauern ihre Stände abgebaut hatten.

      Bis zum Juni 1949 war die Familie so weit zerrüttet, dass sie am Ende zu sein schien. Die Kinder litten unter ernährungsbedingten Mangelerscheinungen. Jimi und Leon überlebten nur, weil sie bei Nachbarn aßen, was schon bald zur täglichen Gewohnheit wurde. Al entschied, seine drei Kinder nach Kanada zu schicken, wo sie eine Zeit lang bei seiner Mutter Nora leben sollten. Jimi war mit knapp sieben Jahren als Einziger alt genug, um die emotionale Bedeutung einer weiteren Trennung von seinen Eltern zu begreifen. Großmutter Nora war in ihrer Fürsorge verlässlicher als Al oder Lucille, doch auch sie hatte ihre Macken. Sie war sehr streng, und ihre Strafen waren hart – Joe erzählte, sie habe ihn windelweich geprügelt, als er ins Bett gemacht hatte –, doch andererseits kannte sie sich mit altmodischen Heilmethoden und Kräutern aus. Jimi liebte ihre Geschichten über ihre Cherokee-Vorfahren und ihre Zeit bei den Minstrel-Shows.

      Im September 1949 wurde Jimi in Vancouver eingeschult. Später erzählte er einem Interviewer, seine Großmutter habe ihn „in ein mexikanisches Jäckchen mit Quasten“ gesteckt, das sie selbst genäht hatte, und die anderen Kinder hätten ihn deshalb gehänselt. Im Oktober wurden Jimi und seine Brüder wieder zurück nach Seattle zu Lucille und Al geschickt, die sich wieder gefangen hatten. Doch es dauerte nicht lange, bis es wieder bergab ging, und im Herbst 1950, als er in die zweite Klasse der Horace Mann Elementary School kam, wohnte Jimi vorübergehend bei Delores. Im Herbst wurde Jimi acht Jahre alt, und ein weiteres Kind vergrößerte die Familie Hendrix: Kathy Ira kam sechzehn Wochen zu früh zur Welt und wog bei der Geburt nur knapp siebenhundertfünfzig Gramm. Noch schlimmer war jedoch, dass die Familie schon bald feststellen musste, dass sie blind war. Eine Zeit lang lebte Kathy mit den anderen im Haushalt, doch elf Monate nach ihrer Geburt wurde sie unter Amtsvormundschaft gestellt und in Pflege gegeben. Auch in Kathys Fall leugnete Al die Vaterschaft, obwohl sie ihm wie zuvor auch schon Joe bemerkenswert ähnlich sah. Im Oktober 1951, ein Jahr danach, wurde eine zweite Tochter, Pamela, geboren. Auch sie hatte gesundheitliche Problem, wenn auch nicht so gravierende wie Kathy. Und obwohl Al auf der Geburtsurkunde als Vater angegeben war, leugnete er auch in Pamelas Fall die Vaterschaft. Wie Kathy kam sie zu einer Pflegefamilie, allerdings in der Nachbarschaft, sodass sie ihre Familie gelegentlich sehen konnte.

      Jimi besuchte ab September 1951 die dritte Klasse der Rainier Vista Elementary School. Er wohnte nun wieder mit seinen Eltern, Leon und Joe in der inzwischen viel zu engen Zweizimmerwohnung. Trotz der Familientragödie hatte Jimi Freude an Dingen, wie sie alle kleinen Jungs faszinieren: Er las Comics, liebte das Kino und zeichnete Autos. Im Sommer schrieb er seiner Großmutter Nora eine Postkarte: „Wie geht’s dir? Mir geht’s gut. Wie geht’s


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