Motorik und Wahrnehmung im Kindesalter. Henning Rosenkötter
• Monopedales Überhüpfen: sukzessive aufgeschichtete Schaumstoffplatten, übersprungene Höhe
• Seitliches Hin- und Herspringen: 2 × 15 Sek. auf 100 × 60 cm Holzbrett über Mittelsteg, Anzahl der Sprünge
• Seitliches Umsetzen: seitliches Bewegen auf Holzbrettchen, ohne Füße auf Boden, Anzahl Umsetzungen in 2 × 20 Sek.
Folgende Testverfahren sind aufwändig und erfordern spezielle medizinisch-psychologische Kenntnisse. Sie sollen hier zur Information aufgeführt werden.
Zürcher Neuromotorik
Die Zürcher Neuromotorik (Largo, Fischer, Caflisch & Jenni, 2007) ist ein Inventar motorischer Basisleistungen für 5- bis 18-Jährige und erfasst die Bewegungsqualität in spezifischen motorischen Aufgaben und das Auftreten assoziierter Mitbewegungen, z. B. repetitive und alternierende Fuß-, Hand- und Fingerbewegungen, Springen nach vorne und zur Seite, Zehen-, Spitzen- und Hackengang. Zentrale Leistungskriterien sind die Geschwindigkeit von Bewegungen (Largo et al., 2001a) sowie die Reifungsprozesse der assoziierten Mitbewegungen und der Geschwindigkeit bei repetitiven Finger-, Hand- und Fußbewegungen, sequentiellen Fingerbewegungen und im Steckbrett-Test (Largo et al., 2001b).
Movement Assessment Battery for Children (Movement-ABC-2)
Mit der MABC-2 (Petermann, Bös & Kastner, 2015) sollen bei 3- bis 17-Jährigen (dabei eine Altersgruppe von 3;0–6;11 Jahre) fein- und grobmotorische Fähigkeiten mit drei Untertests beurteilt werden: Handgeschicklichkeit (HG), Ballfertigkeit (BF) und statische und dynamische Balance (BL).
Umfangreiche Entwicklungstests enthalten in der Regel Untertests mit motorischen Skalen, auf die wir im Kapitel 8 noch näher eingehen werden, z. B. der Ent wicklungstest für Kinder von sechs Monaten bis sechs Jahre – Revision (ET 6-6-R; Petermann & Macha, 2015), die Bayley Scales of Infant and Toddler Development III (Bayley-III; Bayley, 2015) für 1–42 Monate und die Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik (MFED; Hellbrügge, Lajosi, Menara, Schamberger & Rautenstrauch, 1994) für 1–36 Monate alte Kinder.
3.4 Zusammenfassung
Die grobmotorische Entwicklung ist inter- und intraindividuell sehr variabel. Sie hängt von genetischen und sozialen Faktoren sowie von Reifungsprozessen des ZNS ab. Die Beurteilung des motorischen Entwicklungsstandes orientiert sich an Erfahrungs- und Normwerten unter Berücksichtigung der Variabilität. Sie verlangt ein gut geschultes Auge und eine genaue Kenntnis der altersabhängigen Entwicklungsschritte. Motorik-Tests bzw. Motorik-Aufgaben aus entwicklungsdiagnostischen Inventaren können dabei sehr hilfreich sein.
Weiterführende Literatur
Flehmig, I. (2007). Normale Entwicklung des Säuglings und ihre Abweichungen: Früherkennung und Frühbehandlung. Stuttgart: Thieme.
Hellbrügge, T. & Walderdorff, H. v. (2010). Die ersten 365 Tage im Leben eines Kindes. München: Knaur.
Largo, R. H. (2019). Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. München: Piper.
Michaelis, R. & Niemann, G. W. (2016). Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie: Grundlagen, diagnostische Strategien, Entwicklungstherapien und Entwicklungsförderungen. Stuttgart: Thieme.
Netter, F. H. (2015). Atlas der Anatomie. München: Urban & Fischer/Elsevier.
Touwen, B. C. L. (1982). Die Untersuchung von Kindern mit geringen neurologischen Funktionsstörungen. Stuttgart: Thieme.
4 Störungen der Körpermotorik
In diesem Kapitel werden wir uns mit Auffälligkeiten der motorischen Entwicklung und unterschiedlichen Störungsbildern befassen. Auf neurologische Krankheitsbilder oder genetische Erkrankungen können wir hier nicht eingehen. Das Spektrum der Bewegungsstörungen reicht von weitgehend isolierten motorischen Störungen bis hin zu motorischen Behinderungen. Motorische Störungen sind manchmal mit anderen Entwicklungsauffälligkeiten verbunden. Eine umfassende medizinische Abklärung ist erforderlich:
• bei Verdacht auf schwerwiegende oder gar zunehmende Symptome,
• bei einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung,
• bei einer geistigen Behinderung.
Die Häufigkeit von motorischen Störungen bei Kindern wird mit 4–6 % angegeben (Karch, 2002; s. auch v. Suchodoletz, 2005). Jungen sind zwei bis dreimal häufiger betroffen als Mädchen. Obwohl viele Beobachtungen dahin deuten, dass die Zahl der Kinder mit motorischen Störungen in den vergangenen Jahren zugenommen hat, lässt sich wissenschaftlich dafür bislang kein Beleg finden. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass in den Studien häufig unterschiedliche Kriterien für die Diagnose einer motorischen Störung angewandt wurden. Die Häufigkeit einer motorischen Behinderung durch eine Zerebralparese (s. u.) liegt bei 2–3 pro tausend Kindern. Kinder mit einer allgemeinen Entwicklungsretardierung oder einer geistigen Behinderung haben sehr häufig (mind. in 70 % der Fälle; Polatajko, 1999) auch eine Störung oder Verzögerung der motorischen Funktionen. Auch Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen haben gehäuft Auffälligkeiten in der motorischen Entwicklung, allerdings mehr in der Hand- und Visuomotorik als in der Körpermotorik (Danielsson, Daseking & Petermann, 2010). Ein direkter Zusammenhang zwischen motorischer und sprachlicher Entwicklung konnte jedoch nicht belegt werden.
Frühe Symptome einer motorischen Störung im Säuglingsalter sind:
• das verspätete Erreichen wichtiger Entwicklungsstufen (motorische Retardierung),
• die unbeholfene und schwerfällige Art der Bewegungsmuster,
• Bewegungsarmut,
• geringe Variabilität der Bewegungen,
• überschießende Bewegungen,
• das Ausbleiben komplexer Bewegungsmuster,
• Haltungsauffälligkeiten, konstante Haltungs- oder Bewegungsasymmetrien,
• konstante Störungen der Muskelanspannung (Tonus) und
• Übererregbarkeit und Schreckhaftigkeit (Hyperexzitabilität).
Bei ausgeprägten motorischen Störungen ist meist eine Frühdiagnose in den ersten Lebensmonaten möglich, bei leichteren Auffälligkeiten im 2.–4. Lebensjahr, bei neurologischen Erkrankungen im Verlauf der Erkrankung. Die schwerste Form einer motorischen Störung ist die Körperbehinderung. Damit wird eine Schädigung oder Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates bezeichnet, die einen Mensch mit einer solchen Behinderung »in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können« (§ 2.1 SGB IX).
4.1 Medizinische Diagnostik
4.1.1 Kinderärztliche Untersuchung in den ersten Lebensjahren
Wir wollen jetzt einmal aufzeigen, welche medizinischen Untersuchungen ein Kinderarzt (Fachbezeichnung: Kinder- und Jugendmedizin), ein Entwicklungsneurologe (Fachbezeichnung: Sozialpädiatrie) oder ein Kinderneurologe (Fachbezeichnung: Neuropädiatrie) durchführt. Beispielhaft werden die Untersuchungen der ersten Lebensjahre dargestellt.
Eine normale Schwangerschaft dauert 38–42 Schwangerschaftswochen. Bei der ersten Vorsorgeuntersuchung sofort nach der Geburt (U1) bestimmen Geburtshelfer den Apgar Wert.
Dieser Wert wurde nach Virginia Apgar (1953) benannt und dient einer Beschreibung des Zustands des Neugeborenen. Es werden fünf Zustandsmerkmale bewertet: die Herzfrequenz, der Atemantrieb, die Reflexe, der Muskeltonus (Muskelspannung) und die Hautfarbe. Für die Beurteilung der Funktionstüchtigkeit dieser Merkmale können jeweils 0 oder 1 oder 2 Punkte, max. also 10 Punkte vergeben werden, jeweils immer 1, 5 und 10 Minuten nach