Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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im Haushalt der Reeds abgespielt. In jedem Fall zeugen diese ödipalen Fantasien aber von einem turbulenten Seelenleben und einer ausgeprägten Reaktion auf das Hass-Liebe-Schema der Familie.

      In seinen späten Dreißigern schrieb Lou eine Reihe von Songs über seine Familie. In einem davon sagte er, dass er ursprünglich einmal so werden wollte wie sein „alter Herr“, es dann aber doch satt hatte, ständig von ihm angemacht zu werden, und außerdem würde ihm kotzübel, wenn er sah, wie sein Vater seine Mutter schlug. Der Song erreichte seinen Höhepunkt in der Szene, in der ihm sein Vater sagt, er solle sich wie ein richtiger Mann verhalten. Und deshalb, so schloss er daraus in einem anderen Lied, wollte er nicht so werden wie sein „alter Herr“. Was in den Fünfziger­jahren im Amerika der Vorstädte als wohlwollende Dominanz des Vaters galt, wurde von Lou zu einer Art machiavellischer Tyrannei dramatisiert, als deren Opfer er vor allem seine Mutter sah, obwohl das in Wirklichkeit nicht der Fall war. Seine Freunde und die Familie waren schockiert über Lous Geschichten und Songs, die von innerfamiliärer Gewalt und Inzest handelten, und behaupteten, dass nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Tatsächlich waren Sidney und Toby Reed ganz vernarrt ineinander, nach zwanzig Jahren Ehe waren sie immer noch richtig verknallt. Und was die Gewalt betrifft, so regte sich Sidney Reed nur darüber auf, dass Lou sich seiner Mutter gegenüber sehr gemein benahm.

      Lous Launenhaftigkeit war nur ein Hinweis darauf, dass er dabei war, ein ausgeprägtes Innenleben zu entwickeln. Lou war ein begeisterter Science­fiction-Leser und schrieb neben seinen Songs auch Geschichten und Gedichte. „Im ersten Jahr auf der Highschool experimentierte er viel beim Schreiben“, berichtet Hyman. „Er schrieb eine ganze Menge. Er füllte ganze Notizbücher mit Gedichten und Kurzgeschichten, und sie waren immer düster. Ich meine, er schrieb nie über Blumen und solches Zeug.“

      Reed und seine Freunde waren auch in Leichtathletik aktiv. Freeport High war eine Football-Schule. Unter der grandiosen Führung des Trainers Bill Ashley schwangen sich die Freeport High Red Devils zum Stolz der Stadt auf. Später schrieb Lou in Coney Island Baby, dass er Football nur für den Trainer spielen wollte – „den ehrlichsten Typen, den ich je kennen lernte“. Aber er hatte weder die richtige Größe noch die sportlichen Fähigkeiten dazu – und er hat es auch nicht versucht. Stattdessen schloss sich Lou dem Leichtathletikteam der Highschool an. Er war ein guter Läufer und kräftig genug für den Stabhochsprung. (In Take No Prisoners sagte er später, er habe im Stabhochsprung nur zwei Meter geschafft – „eine jämmerliche Vorstellung“.) Obwohl er Sportarten, bei denen er allein kämpfte, dem Teamsport vorzog, war er doch in Freeport als sehr guter Basketballspieler bekannt. „Lou war nicht bloß witzig, er war auch ein guter Sportler“, erinnert sich Hyman. „Er war immer irgendwie dünn und schlaksig. In der Nähe unseres Hauses gab es einen Park, und dort gingen wir gewöhnlich hin und spielten Basketball. Er war sehr auf Konkurrenz aus und in den meisten Dingen ehrgeizig. Er mochte es, irgendwas zu tun, für das er kein Team oder sonst jemanden nötig hatte. Und er war die ganze Zeit außergewöhnlich launisch.“

      Nachdem er seine Eltern so lange bearbeitet hatte, bis sie ihm schließlich ein Motorrad kauften, brauste Lou als Marlon-Brando-Imitation durch die Straßen von Freeport. Allens Bruder Andy erinnert sich, dass es typisch für Lou war, eine Reihe von Einzelfreundschaften einzugehen, die jeweils anderen Zwecken dienten. Allen war beispielsweise der konservative Freund, während Eddie Elson, ein anderer Freund und Nachbar, eine ganz andere Facette von Lous Charakter beleuchtete. „Eddie hatte wirklich einen Schlag“, berichtet Carol Wood, eine Mitschülerin. „Er wohnte nur vier Häuser von Lou entfernt. Er hatte lauter verrückte Ideen über irgendwelche Außerirdischen, die gerade dabei waren zu landen, und so weiter. Damals gab es auch eine Bande in der Stadt, die Häuser ausraubte. Sie wurden die Malefactors genannt. Wie sich später herausstellte, gehörte Eddie zu ihnen.“

      „Eddie Elson war mit Lou und mir befreundet, aber Elson war verrückt“, stimmt Allen Hyman zu. „Er war der erste Geistesgestörte, den ich kennen lernte. Er gehörte zu der Sorte Kids, mit denen einem der Umgang verboten wurde, und er steckte immer in irgendeinem Schlamassel. Er hatte ein Luftgewehr, mit dem er vom Dachboden aus auf Passanten schoss. Lou liebte ihn, denn er war genauso unverschämt wie er selbst, vielleicht sogar noch mehr. Ab und zu wurde er eingesperrt, er war einfach krank.“

      „Einerseits hatte Lewis den Wunsch – was ich damals natürlich noch nicht wusste –, von ganz normalen Leuten akzeptiert zu werden, und andererseits fühlte er sich angezogen von all denjenigen, die von der Normalität abwichen“, sagt Andy. „Eddie war ein ziemlich verrückter Bursche, er beging manchmal Taschendiebstahl; er rauchte schon sehr früh Dope, und es liefen immer merkwürdige Geschichten mit Mädchen. Und in all diese merkwürdigen Geschichten geriet Lewis dann eben auch, wenn er mit Eddie zusammen war. Mit meinem Bruder verkehrte er zur gleichen Zeit in einer ganz anderen Szene.“

      Was Lewis nach eigener Aussage von all den anderen typisch amerikanischen Jungs unterschied, war die Tatsache, dass er im Alter von dreizehn Jahren feststellte, dass er homosexuell war. Wie er in einem Interview von 1979 erklärte, war ihm früh bewusst, dass er sich von seinem eigenen Geschlecht angezogen fühlte, aber ebenso früh versuchte er auch, diese Tatsache zu ignorieren. „Ich hasste es. Es war so belastend. Sobald ich dreizehn war, hätte ich allmählich so richtig Spaß haben können, aber ich habe nicht mal an den Quatsch gedacht. Was für eine Zeitverschwendung. Wenn einem die Liebe verboten ist, beschäftigt man sich die ganze Zeit mit Hass. Wem zum Teufel bringt das was? Ich fühlte mich betrogen.“

      „Nur in dem, was er schrieb, gab es Anzeichen dafür, dass er homo­sexuell war“, meint Hyman. „Im Lauf des letzten Jahres an der Highschool bezogen sich manche seiner Geschichten und Gedichte auf homosexuelle Vorstellungen. Es war eine Art Faszination, viele Bilder in seinen Gedichten bezogen sich auf diese Szene. Ich habe es eher als Lous bizarre Seite abgetan. Ich sagte zu ihm: ‚Worüber schreibst du da, warum schreibst du über so was?‘ Er antwortete: ‚Es ist interessant. Ich finde es interessant.‘“

      „Ich fand, dass dieser ganze Geschlechtskram immer eine Möglichkeit für Kids war, es ihren Eltern so richtig heimzuzahlen“, sagt Lou. „Das taten nur Kids, die auf Protest aus waren. Genau dasselbe bedeutet Rock ’n’ Roll für einige Leute: Musik hören, die deine Eltern nicht mögen, sich so anziehen, dass es deinen Eltern nicht gefällt.“

      In seiner frühen Jugendzeit galt Lous größtes Interesse aber seiner wahren Leidenschaft, dem Rock ’n’ Roll. 1954, mit zwölf Jahren, war er begeistert vom neuen Rhythm-&-Blues-Sound und fing auf der Stelle an, selbst Songs zu schreiben. Genau wie der gleichaltrige Teenager Paul Simon, der im nahe gelegenen Queens aufwuchs, gründete Lou eine Band und veröffentlichte mit fünfzehn eine erste Single, die er passenderweise „So Blue“ nannte. Lous Eltern fanden diese frühen Vorboten einer musikalischen Karriere eher bedenklich. Im Dunstkreis pulsierender Musik und heftiger Stimmungsumschwünge sahen sie ihre Zukunftsträume von Lou, dem Arzt, dahinschwinden. Seit er in die Pubertät gekommen war, befand sich Lou auf Konfrontationskurs und verletzte seine Eltern, indem er sie öffentlich und auch zuhause beschimpfte. Als Teenager gab Lou seinen Eltern Anlass zu der Befürchtung, dass er Rockstar und homosexuell werden würde – der Stoff also, aus dem die Albträume aller Eltern der Fünfzigerjahre gemacht waren.

      Lou hatte Spaß daran, dass der Schock und die Sorge darüber, einen homosexuellen Sohn zu haben, seine Eltern zermürbte, während er sich gleichzeitig mit Mädchen verabredete und auf seine Freunde durchaus den Eindruck machte, heterosexuell zu sein. „Seine Mutter war sehr unglücklich“, erinnert sich ein Freund. „Sie verstand einfach nicht, warum er sie so sehr hasste und woher seine Wut kam. Zuerst waren sie nicht bös­willig, sie versuchten zu verstehen, was da vor sich ging. Aber irgendwann hatten sie die Nase voll von ihm.“

      Während seiner Teenagerjahre versuchte Lou alles, um die Gleichförmigkeit des Lebens in Freeport zu durchbrechen, besonders Dinge, die außerhalb der Konvention lagen. Dabei traf er auf Leidensgenossen, die ebenfalls verzweifelt versuchten, der Langeweile zu entkommen. Ein indirek­ter Anlass dazu war beispielsweise sein Interesse an Musik. Jeden Abend klinkte sich der aufregendere Teil der Highschool-Jugend von Freeport in das WGBB-Radioprogramm ein, um die neueste Musik zu hören, Musikwünsche zu äußern und irgendjemandem Lieder zu widmen. Oft riefen so viele Teenager an, dass die Telefonverbindungen


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