Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

Lou Reed - Transformer - Victor Bockris


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erinnert sich Allen Hyman. „Sie war für die damalige Zeit ziemlich fortschrittlich, und es endete damit, dass Lou sich mit ihr verabredete. Er kam von seinem Date zurück, rief mich an und sagte: ‚Ich habe gerade eine irre Erfahrung gemacht. Ich bin mit dem Mädchen zum Valley Stream Drive-In gefahren und sie holte einen Joint raus.‘ Ich sagte: ‚Ist sie süchtig nach Marihuana?‘ Zu der Zeit glaubten wir ja noch, dass man von Marihuana süchtig wird. Er sagte: ‚Nein, es war cool. Ich hab den Joint geraucht, es war echt super.‘“

      Die Zeit, in der Lou aufwuchs, die Fünfziger- und die frühen Sechzigerjahre, waren gekennzeichnet durch ein fehlendes Problembewusstsein der Mittelschicht und ihrem ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit. Fast genauso wie in der TV-Serie Happy Days waren die meisten Teenager mehr daran interessiert, sich zu amüsieren, als die Welt zu verstehen. „Es wurde nicht sonderlich viel darüber nachgedacht, was auf dem Planeten so vor sich ging“, kommentiert Allen Hyman. „Aber Lou war immer daran interessiert, Autoritäten zu hinterfragen, zu provozieren, und er war auf jeden Fall ziemlich exzentrisch.“

      Diese exzentrische, rebellische Seite von Lou fand in der weißen, konservativen Nachbarschaft so einiges, mit dem sie sich auseinander setzen konnte. Hyman erinnert sich, dass Lou alles um ihn herum hasste, obwohl er sich nach außen höflich verhielt. Dieser Hass konzentrierte sich ins­besondere auf Allens Vater, der politisch rechts außen stand. „Der Grund, warum er meinen Vater überhaupt nicht mochte, war der, dass er in ihm den typischen republikanischen Anwalt sah. Politisch unterschiedliche Haltungen bei Menschen waren ihm schon ziemlich früh bewusst. Wir lebten in einer Zeit, die republikanisch und konservativ war, und dagegen rebellierte er. Ich konnte nicht begreifen, warum ihn das so sehr beunruhigte. Meinen Eltern gegenüber hat er sich aber immer respektvoll verhalten.“

      Mr. Reed und Mr. Hyman hielten nicht viel von einer musikalischen Karriere ihrer Söhne. „Er war der Ansicht, dass sich da übles Gesindel herumtrieb, was ja auch stimmte“, erinnert sich Lou. „Die Angst der Erwachsenen vor der Rockmusik sagt mehr über die Paranoia und Unsicherheit der Fünfziger- und Sechzigerjahre aus als die Rockmusik selbst“, schreibt Richard Aquila in That Old Time Rock And Roll. „Dieselben Erwachsenen, die sich vor Ausländern fürchteten, weil der Kalte Krieg sich zuspitzte, und die die Rosenbergs und Alger Hiss als den letzten Beweis für die bedrohte innere Sicherheit betrachteten, sahen die Rockmusik als ausländische Musik an, die eine Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft darstellte.“ Lewis kam durch seine Mittelstandserziehung in den Genuss aller möglichen Annehmlichkeiten, aber er verhielt sich so, als habe er keinerlei Beziehung zu den geltenden Wertmaßstäben des amerikanischen Vorstadt­lebens. Einige seiner berühmtesten Songs, die eine Reaktion auf diese Wertmaßstäbe seiner Eltern darstellen, sprechen eine deutliche, verzweifelte Sprache, die ebenso für Millionen anderer Kinder gilt, die im Überfluss der wie betäubten Fünfzigerjahre des Nachkriegsamerika aufwuchsen.

      Immer wieder wird Lou, in einem Versuch, sich selbst zu definieren, über seine Kindheit schreiben. Alles, was er jemals geschrieben hat, untersuchte die Kräfte, die auf seine Persönlichkeit einwirkten und sie formten. Tatsächlich handelte es sich bei Lou Reed um einen Songwriter, der sich seiner selbst sehr bewusst war. Sein einziges Thema war und ist er selbst. „Meine Eltern bringen uns noch alle ins Grab“, beklagt er sich in dem klassischen „Rock And Roll“. „Zwei Fernseher und zwei Cadillacs helfen da auch nicht weiter.“ Eine Freundin legt den Finger auf den wunden Punkt, wenn sie darauf hinweist, dass Lou ein besonderer Fall von Shpilkes war – ein Ausdruck aus dem Jiddischen, der seine widersprüchliche Persönlichkeit ausgezeichnet auf den Nenner bringt: „Eine Person mit Shpilkes kratzt sich nicht nur da, wo es ihn selbst juckt, sondern muss ihre Nase in alles stecken, unter jeden Deckel gucken. Wenn Lewis als Teenager in dein Haus gekommen wäre, hättest du gesagt: ‚O Gott, er hat aber wirklich Shpilkes. Er ist ja ganz niedlich, kuschelig und liebenswert, aber schafft ihn bitte raus, er stiftet nur Unheil, und ich wage nicht, ihn eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er macht nur Ärger, er nervt mich entsetzlich, er ist wirklich die Pest.‘“ Lou zufolge hatte er niemals ein gutes Gefühl, was seine Eltern anbelangte. „Ich gab mir wirklich alle Mühe, um der ganzen Geschichte zu entfliehen“, sagte er, als er vierzig Jahre alt war. „Ich hatte damals keine Beziehung dazu und habe es auch jetzt noch nicht.“ Oder, wie er sich selbst in einem seiner Lieblings­gedichte von Delmore Schwartz sieht: „… Er saß da / auf der Fensterbank und war zehn Jahre alt / den ganzen Nachmittag, unglücklich, einsam und verzweifelt / allein, mit schweren Augen …“ Ein anderer Vorwurf, den Lou seinen hilflosen Eltern machte, war ihr elender Reichtum. Das war jedoch pure Erfindung. Wie gewöhnlich dramatisierte Lou die Situation. Während Lous Kindheit war das Gehalt seines Vaters nach amerikanischen Maß­stäben eher bescheiden. Die genügsame Familie besaß ein Auto und lebte in einem einfach, aber geschmackvoll eingerichteten Haus, ohne jede Spur von Luxus oder anderen Zeichen von Verschwendung. Tatsache war, dass Ende der Fünfzigerjahre, mit den Gebühren für die Elektroschocktherapie, den College­gebühren für Lou und den Kosten für Tochter Elizabeth, die inzwischen auch zehn Jahre alt geworden war, die Reeds ihre finanziellen Möglichkeiten voll ausgeschöpft hatten.

      Das Jahr, in dem er sich der Elektroschocktherapie unterzog, 1959 bis zum Sommer 1960, war ein verlorenes Jahr für Lou. Von da an verbrachte er den Großteil seines Lebens damit, sich selbst zu finden und das zu bekommen, was er haben wollte. Der erste Schritt, den er in diese Richtung unternahm, bestand darin, sich der Kontrolle seiner Familie zu entziehen, die er nur als Einrichtung zur Bestrafung und Beeinträchtigung seiner Freiheit ansah. „Ich kam aus dieser kleinen Stadt auf Long Island“, erklärte er. „Von Nirgendwo. Ich meine es wirklich so, nirgendwoher. Vom langweiligsten Ort auf der Welt. Das einzig Gute daran war, dass man ­wusste, man würde da irgendwie herauskommen.“ Im August nahm Lou den Song „You’ll Never, Never Love Me“ auf und veröffentlichte ihn. Eine tief sitzende Abneigung gegen seine Eltern wurde schnörkellos in einem anderen Song, „Kill Your Sons“, zum Ausdruck gebracht. „All diese nichtsnutzigen Psychiater verpassen euch Elektroschocks“, sang er wie ein Zombie. „Sie sagen, dass ihr dann zuhause leben dürft, bei Mama und Papa, und nicht im Irrenhaus.“ Später sagte er, die Musik habe ihn wieder zum Leben erweckt und ihm zu neuen Träumen verholfen. „Musik bedeutet alles“, schrieb er in einem wunderbaren Prosastück namens From The Bandstand. „Leute sollten dafür sterben. Leute sterben für alles Mögliche, warum also nicht auch für die Musik. Es würde einige Leben retten.“

      Der Horizont erweitert sich

      Syracuse University: 1960–1962

      „Lou spielte gern mit den Menschen, er verleitete sie dazu, bis zum Äußersten zu gehen. Aber wenn man selbst bei Lou eine gewisse Grenze überschritt, dann schnitt er einen einfach aus seinem Leben heraus.“

      — Allen Hyman

      Um ihre Freundschaft fortzusetzen, beschlossen Lou und Allen Hyman, die gleiche Universität zu besuchen. „In der letzten Klasse der High­school fuhr ich mit Lou und seinem Vater hinauf nach Syracuse zu einem Aufnahmegespräch“, erinnert sich Allen. „Wir redeten nicht viel mit seinem Vater. Mr. Reed war ein sehr stiller Mann; still im Sinne von steif. Wir übernachteten im Hotel Syracuse, einem dieser richtig alten Hotels, die es damals noch gab. Außer uns stieg dort aus dem gleichen Grund noch eine Menge anderer Kids mit ihren Eltern ab. Alles Bewerber für die Syracuse-Uni. Lous Vater nahm ein Zimmer, das andere teilte ich mir mit Lou.

      In der Empfangshalle machten wir die Bekanntschaft einer Gruppe von Kids, die schon auf der Uni waren, und die ganze Nacht hindurch feier­ten wir eine Party mit diesen Mädchen. Wir malten uns schon aus, wie toll es werden würde, richtig fantastisch. Am nächsten Tag kannten wir also schon ein paar Leute, die zu der Zeit bereits auf die Syracuse gingen und in Verbindungshäusern wohnten. Der ganze Campus wirkte so freundlich, ich glaube es war Sommer, es war warm damals, alles sah einfach herrlich aus.“

      Die Jungen vereinbarten, dass sie sich, falls man sie hier aufnehmen würde, in Syracuse immatrikulieren wollten. „Wir schafften es beide“, sagt Hyman.

      „Kaum hatte ich die Aufnahmebestätigung erhalten, teilte ich ihnen mit, dass ich kommen würde, und dann rief ich Lou an und sagte noch ganz aufgeregt: ‚Ich bin in Syracuse angenommen worden, du auch?‘ Und er sagte: ‚Ja.‘ Also fragte


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