Beyoncé - Crazy in Love. Anna Pointer
mich. In meinem Kopf sage ich: ‚Okay, jetzt übernimm bitte, bitte, bitte. Ich bin Sasha, ich bin Sasha.‘ Ich muss mich selbst in diesen Zustand versetzen, wenn ich Angst habe.“ Im Grunde genommen wurde Sasha ein allgegenwärtiger Bestandteil von Beyoncés Leben – bis zum Jahr 2010, als sie die große Entscheidung fällen würde, Sasha in den Ruhestand zu schicken.
Beyoncé schlug sich in der Schule weiterhin durch. Eine ihrer wichtigsten Rollen war es außerdem, ebendort auch ein Auge auf ihre Schwester Solange, die ein paar Klassen unter ihr war, zu haben. „Ich kann gar nicht sagen, wie viele Jungs und Mädchen davon berichten können, dass Beyoncé ihnen eine Tracht Prügel androhte, wenn sie mich nicht in Ruhe ließen“, vertraute Solange GQ an. Solch eine Bindung mag selten sein, und auch Beyoncé selbst betonte regelmäßig öffentlich ihre Gefühle gegenüber ihrer Schwester, wie etwa gegenüber Harper’s Bazaar: „Ich war immer die große Schwester. Ich bin fünf Jahre älter als Solange und hatte einfach immer das Bedürfnis, sie zu lieben und zu beschützen. Ich hatte nie den Wunsch, mit meiner Schwester zu streiten. Wir sind beide sehr verschieden in Bezug auf die Dinge, die uns gefallen oder wie wir Dinge angehen, aber diese Unterschiede tragen zu unserer Freundschaft nur noch bei. Die Liebe, die ich für sie empfinde, ist unbeschreiblich.“
„Sie ist schon immer – seit ich ein Baby war – so fürsorglich und protektiv in Bezug auf mich gewesen“, sagte Solange. „Wenn du dich meiner Schwester gegenüber respektlos zeigst, werde ich dir gegenüber komplett durchdrehen“, bestätigt Beyoncé diese Aussage.
1990 kam die neunjährige Beyoncé an die Parker Elementary School in Houston, die dafür berühmt war, das musikalische Talent ihrer Schüler zu fördern. Während es den meisten ihrer Mitschüler jedoch in erster Linie darum ging, ihre Hausübungen rechtzeitig abzugeben, als eine Musikkarriere zu planen, war Beyoncé vollkommen anders gestrickt. Ihr Ziel war es, eine berühmte Sängerin zu werden. Es genügte ihr nicht länger, in der überschaubaren Szene lokaler Talent- und Schönheitswettbewerbe zu bleiben, und ihre Ambitionen wuchsen rapide, als sie auf ihre Klassenkameradin LaTavia Roberson traf. „Wir lernten uns in der Grundschule kennen und wuchsen praktisch miteinander auf“, erzählte LaTavia der Zeitschrift Black Beat.
Das Duo liebte es, gemeinsam zu singen. Als Mathew und Tina von einem Vorsingen für eine Girlband in der Stadt hörten, nahmen sie die beiden dorthin mit. Nachdem sie die Jury mit ihren ansteckenden Harmonien verblüfft hatten, wurden Beyoncé und LaTavia mit drei anderen Mädchen auch prompt in die neue Gruppe Girls Tyme aufgenommen. LaTavia erzählte viele Jahre später auf MTV: „Da waren richtig viele Mädchen, ich meine, richtig viele. Aber von den 65 Mädchen schafften es Beyoncé und ich in die Band.“ Auch LaTavias Cousinen, die Schwestern Nikki und Nina Taylor, sowie ein Mädchen namens Ashley Támar Davis gehörten zum Line-up. Zwar wurde die Besetzung in den kommenden Monaten regelmäßig verändert, doch war es wohl unvermeidbar, dass Beyoncé die Rolle der Leadsängerin zufiel.
Als die Gruppe zusammengestellt wurde, entschloss sich die Geschäftsfrau Andretta Tillman dazu, etwas Geld in die Mädchen zu investieren und im Gegenzug auch den Posten der Managerin zu übernehmen. Nur wenig später wurde die Formel von Girls Tyme um eine weitere Variable erweitert: Kelly Rowland, eine von LaTavias Freundinnen. Sie sollte nicht nur zu einem wichtigen Mitglied der Band, sondern überhaupt zu einer Schlüsselfigur in Beyoncés Leben werden. LaTavia und Beyoncé hatten begonnen, sich regelmäßig mit Kelly zu verabreden. Die Mädchen trafen sich im örtlichen Schwimmbad, spielten gemeinsam mit ihren Barbies oder stellten Zelte im Freien auf. Kelly war ein großer Fan von Whitney Houston und stimmte jedes Mal, wenn sie miteinander spielten, eines ihrer Lieder an. LaTavia schlug Kelly nach einer dieser Demonstrationen ihrer harmonischen Stimme vor, Beyoncés Eltern vorzusingen. Nachdem sie das getan hatte, wurde sie schließlich umgehend ebenfalls ein Mitglied von Girls Tyme.
Kelly, deren eigentlicher Name Kelendria lautete, war erst unlängst mit ihrer Mutter von Atlanta nach Houston gezogen. Sie war sieben Monate älter als Beyoncé und legte, seit sie mit vier im Kirchenchor zu singen begonnen hatte, eine ähnliche stimmliche Begabung wie sie an den Tag. Und genau wie Beyoncé träumte auch sie davon, berühmt zu werden – so wie ihr Idol Whitney Houston. Allerdings hatte Kelly einen schwierigeren Background: Ihre Mutter Doris hatte ihren Vater Christopher, einen Trinker, verlassen, da er ein unberechenbares Gemüt hatte. Das Geld war immer knapp und Doris mühte sich als Kindermädchen ab, um über die Runden zu kommen. Nachdem sie nach Houston übersiedelt waren, sah Kelly ihren Vater nur noch selten. Später sprach sie darüber, dass sie die Trennung sehr traurig gemacht habe: „Ich sah die anderen Kids in der Schule und wie sie von ihren Dads abgeholt wurden. Das war etwas, das mir abging. Jedes kleine Mädchen braucht ihren Papa“, erzählte sie der Daily Mail. „Musik war meine Flucht. Das ist sie immer noch. Ich fühlte wahrscheinlich, dass ich etwas verpasste, weil mein Vater nicht da war.“
Allerdings wurde Kelly stets warmherzig beim Knowles-Clan willkommen geheißen und es dauerte nicht lange, bis sie mehrere Male die Woche dort übernachtete. Sie und Beyoncé blieben bis spät in die Nacht wach, kicherten und erzählten sich Geschichten. Außerdem sangen sie regelmäßig gemeinsam mit Mathew und Tina. Viele Jahre später erinnerte sich Kelly in der Autobiografie von Destiny’s Child daran, dass es wie eine allabendliche Pyjama-Party gewesen sei – und eine ziemlich lautstarke dazu.
Mit Kelly an Bord und Andrettas Unterstützung begannen Girls Tyme in jeder freien Minute, das heißt, so oft es ihre Stundenpläne gestatteten, zu proben. Während sie Pop- und R&B-Nummern sangen und rappten, gingen einige von Mathews und Tinas wertvollen Gegenständen, darunter sogar eine gläserne Kastentür, zu Bruch, da sie bei den Proben im Vorraum der Familie Knowles gerne wild herumsprangen. Die Girls testeten ihre energiegeladenen Performances außerdem gerne an Tinas Kundinnen im Haarsalon aus, wobei sie mitunter für ihren Aufwand mit großzügigen Geldspenden belohnt wurden. Während Tina Haare schnitt, choreografierte Mathew die Moves der Mädchen und bat danach um ehrliches Feedback. „Manchmal wollten die Leute auch gar nicht zuhören“, vertraute Tina dem Texas Monthly an. „Die Mädchen schrien, dass sie mitklatschen sollten, und die Kundinnen verdrehten die Augen. Das war ein zähes Publikum.“
Stets lerneifrig in Bezug auf neue Tanzschritte, sahen sich die Mädchen in ihrer Freizeit alte Musikvideos an, um von Gruppen wie den Jackson Five und den Supremes zu lernen. Da klar war, dass auch das Image eine Rolle dabei spielen würde, die Aufmerksamkeit der Vertreter der Musikbranche auf sich zu ziehen, erklärte sich Tina bereit, die Mädchen in ihrem Salon zu stylen. Darüber hinaus entwarf sie noch ihre farbenfrohen Kostüme. Sie entwickelten sich langsam zu einem perfekten kleinen Pop-Paket.
Obwohl es harte Arbeit war, betonte Beyoncé stets, dass der Fokus trotz allem darauf lag, eine gute Zeit zu verbringen. Sie bestand darauf, dass ihre Eltern sie zu nichts drängten, wie es manchmal unterstellt wurde. „Ich empfand die Proben als Vergnügen“, schrieb sie in Soul Survivors. „Es war die Zeit, in der ich mir Tanzeinlagen und Gesangsarrangements ausdachte. Das war wie eine Spielstunde.“
1991 zog Kelly bei den Knowles ein und begann damit, Tina „Tante“ und Mathew „Onkel“ zu nennen. Ein Arrangement, das allen entgegenkam. „Meine Mom wohnte als Kindermädchen bei einer Familie“, erzählte sie später dem Magazin Interview. „Wir probten jeden Tag und wegen ihrer Arbeitszeiten konnte meine Mom mich nicht ständig zu den Proben hinbringen und dann wieder abholen. Deshalb erkundigte sich meine Mom bei Tina: ‚Kann Kelly den Sommer über bei euch wohnen?‘ Und aus dem einen Sommer wurde … wie lange noch mal? Aber es war wie eine große Familie, weil Mom jeden Abend vorbeikam, um mir einen Gute-Nacht-Kuss zu geben. Ich sage gerne, dass ich drei Elternteile habe – Tina und Mathew und meine Mom – drei weise Menschen, die mich unterstützen.“ Beyoncés Eltern liebten sie jedenfalls wie eine eigene Tochter. Tina bekannte später: „Kelly bringt große Freude in mein Leben. Ich werde sehr traurig sein, wenn der Tag kommt, an dem sie bei uns auszieht.“ Obwohl es hartnäckige Gerüchte gab, denen zufolge sie und Mathew Kelly adoptiert oder die rechtliche Vormundschaft für sie übernommen hätten, verneinte Tina dies stets. „All diese Gerüchte sind verrückt“, ärgerte sie sich im Magazin Ebony. „Kellys Mom hatte Schlüssel zu unserem Haus und zu unserem Auto. An den meisten Wochenenden wohnte sie bei uns. Sie nahm jeden Tag an Kellys Leben teil.“
Beyoncé war ihrer besten