Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown


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You“ sprach mich ungeheuer an.)

      Mein Plan im Bus zur Victoria Station an jenem Abend war, das Konzert der Go-Betweens zu besuchen, von Rose ein paar Drinks zu schnorren und dann kurz noch diese Smiths anzusehen. Die Go-­Betweens waren eine bereits gut bekannte Band, deren Indie-Label Pedigree sich in der Szene zunehmend Gehör verschaffte. Es erschien mir daher äußerst seltsam, dass sie nun lediglich als Vorgruppe einer Band aus dem Norden auftraten, die gerade erst angefangen hatte. In Wahrheit wusste ich so gut wie nichts über die Debütsingle der Smiths, „Hand In Glove“ – außer, dass auf dem Cover zwei nackte männliche Hinterbacken abgebildet waren. Schon ziemlich seltsam.

      Bald erfuhr ich, dass die Smiths im Jahr zuvor in Manchester gegründet worden waren und erst kürzlich einen Vertrag mit Rough Trade Records unterschrieben hatten. Sie hatten gerade eine John Peel-Session aufgenommen und waren außerdem in der Sendung von Kid Jensen bei Radio One aufgetreten, doch war es „Hand In Glove“ nicht gelungen, sich ernsthaft in den britischen Mainstream-Charts zu behaupten. Als ich die in der Presse erschienenen Artikel über die Smiths durchlas, erschienen sie mir nicht gerade wie meine künftige Lieblingsband. Interessanterweise allerdings beschrieb Barney Hoskyns im NME den Song als „wahre Erlösung von allen Leiden, die je in den Abfluss der Liebe gegossen wurden“.

      Als ich an jenem Abend das Venue betrat, bot sich mir ein völlig unerwartetes Bild. Die Stimmung war gespannt und voller Erwartung, die Atmosphäre außergewöhnlich. Das Publikum war bunt gemischt, nicht nur die puristische New-Romantics-Clique aus dem Beat Route oder dem Billys, auch nicht die schwulen Szenegänger aus dem Heaven and Hell. Unter den Zuschauern waren auch viele Studenten sowie eine Menge Teenager in schicken Secondhand-Klamotten von Flip oder Lawrence Corner, die sich unter die Opfer der JoBoxers-Mode und andere abtrünnige Elemente der Londoner Musikszene im Jahre 1983 mischten.

      Die Go-Betweens waren wie immer sehr unterhaltsam und spielten ihre süßlich interpretierten, leicht schrägen, australisch verschrobenen Songs. Als ihr Auftritt vorüber war, erwartete ich eigentlich, dass sich die Stimmung veränderte. Bestimmt würde sich die Menge ausdünnen, da die Mehrheit der Anwesenden wie ich erwartete, dass es die Smiths im Gefolge ihrer selbstsicheren Labelkollegen von Rough Trade schwer hätten.

      Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mit Rose an der Bar stand und kurz mit David Dorrell bekannt gemacht wurde – damals Journalist beim NME und ein früher Förderer der Smiths –, als sich die Stimmung tatsächlich wandelte. Trauben liebeskranker Jugendlicher drängten auf einmal nach vorn, und der ersten erwartungsfrohen Spannung folgten bald Pfiffe und erste Schrei des Verzückens, dann Applaus, als vier junge Männer aus Manchester beinahe ein wenig scheu auf die mit Blumen übersäte Bühne schlurften.

      Alles dreht sich darum, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, nicht wahr? Nur selten im Leben verändert oder beeinflusst einen Musik auf solch dramatische Art und Weise. Vielleicht war es vergleichbar mit Elvis im Jahre 1956, den Beatles im Cavern Club oder den Stones im Crawdaddy. Schlagartig wird einem die Bedeutung der Musik bewusst. Es ist, um ein Klischee zu bedienen, als wäre alles, was zuvor geschehen ist, in der Erinnerung schwarzweiß und dann auf einmal alles in Farbe. Man erkennt und begreift, dass es sich nicht um eine künstlich hochpolierte MTV-Version handelt, sondern um den rohen Augenblick, in dem die Kunstform in Fleisch und Blut auf einmal einen Sinn ergibt. Plötzlich sieht man, worum es geht, und glaubt, was man hört. Es ist, als besäße die Musik eine magische Kraft, die einen verändert. Von diesem Augenblick an fühlt man sich als Teil von etwas anderem, etwas Eigenem. Das gibt einem Hoffnung.

      So fühlte ich mich, als ich die Smiths an jenem Abend im Venue sah. Obwohl sie noch Teenager waren, sahen Mike Joyce (Schlagzeug) und Johnny Marr (Gitarre) aus wie geborene Rockstars. Sie hatten die richtigen Arbeiterklassengesichter und die richtigen Haarschnitte. Selbst Andy Rourke (Bass) sah weniger urzeitlich und wichtiger aus als andere Bassisten, die ich zuvor auf der Bühne gesehen hatte.

      Vor allem aber war die Musik, die sie gemeinsam machten, außergewöhnlich und großartig und entgegen der Mode frei von jeglichen Synthesizerklängen. Nach den ersten frenetischen, inspirierenden Ausbrüchen von „Handsome Devil“ wurde rasch klar, dass diese Band ebenso einzigartig wie leidenschaftlich und aggressiv war.

      Jede Band braucht einen Mittelpunkt. Wie oft hat man schon einen starken, intelligenten Song im Radio gehört und dann voller Neugier und Erwartung ein Konzert des Künstlers besucht, nur um bitter enttäuscht zu werden, wenn sich der fragliche Schöpfer lustlos durch seinen Auftritt schleppt (siehe Dylan, Bob). Alle großen „Live-Acts“ leben von einem Showman, jemandem, von dem man die Augen nicht lassen kann, jemandem, der mit großem Charisma gesegnet ist – ob Jagger oder Bono oder Lennon oder Van Morrison oder Youssou N’Dour oder Madonna oder Hutchence oder Prince oder Ian Curtis oder Rotten oder Strummer oder Doherty.

      Entscheidend sind dabei nicht einfach Schönheit oder unverblümte Sexualität. Es geht dabei vielleicht um etwas Mystischeres und Geheimnisvolleres. Es gibt eine Art von Anziehungskraft, die sich nicht künstlich erzeugen oder spielen lässt. Nur wenige besitzen sie. Selbst wenn man als Zuschauer versucht, die gesamte Szenerie im Blick zu behalten, so werden die Augen doch immer wieder von diesem einen hellen Funken unwiderstehlich angezogen wie Motten vom Licht.

      Genau so war Morrissey, seit ich ihn zum ersten Mal sah. Anfangs wirkte er lächerlich, wie eine frühe und übertriebene Comicversion der Person, die er einmal werden sollte. Ich weiß nicht mehr, was mir als Erstes auffiel. Vielleicht war es die Tolle – ich hatte Ende der Siebziger (wie Morrissey auch!) die seltsamen und wunderbaren Split Endz gesehen, und, glauben Sie mir, die Frisur des Leadsängers aus Manchester tendierte stark in Richtung jener irren Gefilde jenseits des Rockabilly. Vielleicht waren es auch die furchtbar schlecht sitzenden Jeans oder die große Mädchenbluse von Evans (ein Bekleidungsfachgeschäft für übergewichtige Frauen) oder vielleicht auch schlicht und einfach die seltsam ungesunde Erscheinung des dünnen Mannes an sich. (Jessica Berens beschrieb sein Topiari-artiges Aussehen später in der amerikanischen Rock-Zeitschrift Spin als „weißlich, fast grünlich … sein Haar hätte von einem auf Heckenschnitt spezialisierten Gärtner frisiert worden sein können.“)

      Es mag nun nicht von überragender Bedeutung scheinen, was Morrissey trug, doch damals war es vollkommen unmodisch und somit seltsam radikal. Die New-Romantic-Bewegung mit all ihren Ausuferungen stand noch in voller Blüte. Steve Strange, Boy George, Marilyn und Spandau Ballet waren die schillernden Paradiesvögel des Londoner Nachtlebens.

      Popmusik war ein Zirkus, und jeder, der 1983 in den Charts war, sah fürchterlich komisch aus. Von den Thompson Twins bis hin zu Duran Duran waren die Künstler glamourös herausgeputzt und gekleidet. Nach den anarchischen Fesseln und Bandagen des Punk und den schweren Mänteln, an denen man die jungen, männlichen Joy-Division-Fans („the weight on their shoulders – die Last auf ihren Schultern“) erkannte, wollte man anderweitig Eindruck schinden. In diesem lächerlichen Kontext sah ein unterernährter, dürrer Kerl in ausgebeulten Jeans und mit einer Frisur wie Billy Fury aus wie ein Wesen von einem anderen Stern.

      Morrissey – wie hochgestochen, warum wollte er nicht Steven genannt werden? – bewegte sich unsicher, anders. In gewisser Weise war er nicht normal, gehörte er nicht auf die Bühne, und doch wirkte er dort bestens aufgehoben. Er war eine seltsame Kombination aus Befangenheit und ungeheurem Selbstbewusstsein, doch ohne jede Arroganz; wie ein Showman in einer Zwangsjacke, der sich verzweifelt zu befreien versuchte … oder wieder hineinwollte.

      Und dann erst die Stimme: so einzigartig, stolz, unverkennbar aus dem Norden; wettergegerbt und weltenmüde, mit einem leichten Lispeln im Ausdruck, ein natürlicher sanfter Tenor, der dem Abenteuer in den oberen Registern und selbst dem Höhepunkt im Bereich der Kopfstimme nicht abgeneigt war. Nur wenige weiße Popstars hatten bislang so geklungen – lediglich Sparks, Bowie und Billy Mackenzie von den The Associates (die jodelnden unehelichen Kinder von Frank Ifield) kamen einem in den Sinn.

      Was er sagte, die Texte dieser seltsam unstrukturierten Songs, konnte man an jenem Abend im Venue nicht auf Anhieb verstehen, und doch schien es vom ersten Ton an ergreifend, humorvoll und aufrichtig zu sein. Niemand, der mit diesem ganzen Schwindel der Popmusik zu tun hatte, hätte mit hoher Stimme eine Zeile über das „schreckliche Durcheinander, das ich aus meinem Leben gemacht habe“ gesungen


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