Gangster Squad. Paul Lieberman
COPS IN DER LUFT. Für das Stadtratsmitglied Ernest Debs wirkte die Aktion wie eine Rückkehr in die Zeit des korrupten Los Angeles, in der Cops der Sitte Beweise gegen Kriminelle sammelten, um Schweigegelder zu erpressen. „Die haben sich die Informationen beschafft, um Mickey Angst einzujagen“, kommentierte er das Desaster. Eine Grand Jury zitierte jeden einzelnen in die Abhöraktion verwickelten Officer der Sitte vor Gericht, denn zu allem Unglück tauchten jetzt auch noch Berichte auf, dass Abschriften der Gesprächsprotokolle auf dem Sunset Strip zu kaufen waren – für läppische 2.500 Dollar konnte man sich einen Eindruck von Mickeys innerstem Heiligtum beschaffen. Für das LAPD stellte das einen gigantischen Albtraum dar. Glücklicherweise war es nicht allzu schwer, die undichte Stelle zu ermitteln: Die „Transkriptionen“ waren keine exakten Gesprächsprotokolle, sondern Notizen, die sich der von der Sitte abservierte Elektronikexperte gemacht hatte. Als man Russ Mason mit den Anschuldigungen konfrontierte, versuchte er sich wie ein Erstklässler mit einer „Der-Hund-hat-meine-Hausaufgaben-gefressen“-Taktik herauszureden – angeblich habe ein mysteriöses Feuer die Gartenlaube mit allen Notizen zerstört. Der „Elektrolurch“ blieb ungefähr 15 Minuten bei der Geschichte und gestand dann alles. Wieder einmal lernte das LAPD eine Lektion: Ziehe niemals zu deiner schmutzigen Arbeit einen Außenstehenden hinzu.
Und darum hatte die Gangster Squad ihren eigenen Experten!
„Man sagt, dass alle Kalifornier aus Iowa stammen“, seufzte die dem Schicksal geweihte Hauptfigur in dem Film Frau ohne Gewissen. Con Keeler war die Verkörperung dieser Aussage, obwohl seine Familie schon seit einigen Generationen in L.A. wohnte. Seine Vorfahren hatten sich im 19. Jahrhundert von Iowa aus in einer Siedlerkutsche aufgemacht und dabei geholfen, den Anbau von Alfalfa und langstapeligen Baumwollpflanzen in Kaliforniens Palo Verde Valley zu etablieren, bis der Colorado die Farmen wegspülte – damals war der Hoover-Damm noch längst nicht errichtet. Die Familie zog daraufhin nach L.A., wo Cons Vater, der gut mit seinen Händen umgehen konnte, als Tischler und Regalbauer arbeitete. Der rothaarige Con zeigte sein handwerkliches Talent schon als Kind, bastelte Kurzwellenradios in seinem Zimmer und schnappte sich jedes Maschinenteil, das er fand, um es zu verwerten.
Als Con kurz vor Kriegsbeginn beim LAPD anheuerte, ließ er sich als stämmiger junger Mann beschreiben. Er war ca. 1,80 Meter groß. Während des körperlichen Eignungstests bei der Academy konnte der Instructor seinen Augen nicht trauen und ließ sich von Con ein zweites Mal die Hand geben. „Womit haben Sie sich denn bislang ihr Geld verdient?“ „Tja, als Mechaniker.“ Sein Gegenüber nickte: „Das erklärt alles.“ Bei ihm verband sich die Kraft eines Farmerjungen aus Iowa mit Moralvorstellungen eines Freimaurers. Er konnte seine Abscheu gegenüber den alten Beamten nicht verbergen, die jahrelang Bestechungsgelder angenommen hatten. Für Keeler bestand das wichtigste Kompliment, das man einem Mann oder einem Cop machen konnte, in dem einfachen Satz: „Er verhielt sich immer ehrlich und aufrecht.“ Und die alten Knacker waren davon weit entfernt. Als Frischling verdiente er 170 Dollar pro Monat und musste in der ersten Zeit Verkehrskontrollen durchführen, auch als die anderen schon etwas von seinen speziellen Talenten wussten. Doch zuerst rief ihn sein Land zum Kriegsdienst, und Con ließ sich vom Army Air Corps rekrutieren. Er hatte überhaupt keine Ambitionen, ein schnittiger oder gar berühmter Pilot zu werden, sondern wollte sich die Hände an den Motoren der neuen B-24-Bomber dreckig machen. Keeler stand kurz vor der Versetzung nach Europa, als man ihm eine niederschmetternde Lektion in Bürokratie-Wahnsinn erteilte.
Kurz vor der Abfahrt des Zugs standen wir auf dem Bahnsteig herum. Ich wurde ausgerufen, um mich bei den Ärzten zu melden. Sie erklärten mir, ich habe Hämorrhoiden, was nicht stimmte. Doch bei der Musterung hatte wohl ein Schreiberling einen Haken in dem Kästchen gemacht: Der Doc untersucht dich, und ein verschlafener Soldat nimmt die Ergebnisse auf und überträgt sie in das Formular – doch in meinem Fall war das falsch. Ich ging also zu einem Captain, den ich gut kannte. Er fragte mich, ob ich vielleicht einen entzündeten Zehennagel gehabt habe oder eine andere Infektion, die man angeben könne, denn Offiziere machten nun mal keine Fehler! Egal, sie legten mich auf eine Bahre, rollten mich in einen OP, fummelten an meinem Fuß rum, gaben mir ein Spinalnarkotikum und so weiter, das volle Programm. Und dabei mussten sie die beiden Tischler rausjagen, die das Parkett sandstrahlten. Da war ein unglaublicher Nebel drin, und da es sich um einen Operationssaal handelte – voller Bakterien und Pilze –, fing ich mir natürlich eine Entzündung ein. Die mussten mich mehrere Male mit Silbernitrat behandeln, um den Infektionsherd zu bekämpfen – und dann war ich wirklich krank.
Con Keeler verbrachte einige Monate in einem Armeekrankenhaus. Nachdem das Fieber auf eine unerträgliche Höhe angestiegen war, rollten die Krankenschwestern sein Bett in den abgedunkelten Raum, in den man die hoffnungslosen Fälle verfrachtet. „Ich hab sie hinter’s Licht geführt“, meinte er, doch wegen dieses tragischen medizinischen Irrtums war er sein Leben lang zum Humpeln verurteilt und benötigte für das Bein eine orthopädische Metallstütze. Keeler verabscheute Selbstmitleid – er war Soldat von Kopf bis Fuß –,aber es reichte schon an ein Wunder heran, dass er es durch den Krieg schaffte. Das zweite Wunder geschah, als das LAPD ihn trotz der Behinderung wieder einstellte. Zwar konnte er nicht mehr alle Aufgaben erledigen und musste sich um die Verkehrssicherheit kümmern, aber immerhin. Und dann erhielt er eines Abends den Anruf von Willie Burns.
Keeler rannte natürlich nicht so schnell wie ein O’Mara, aber er konnte aus diversen Elektroteilen und Abhörequipment primitive Wanzen basteln, die ihren Zweck erfüllten. Zudem kannte er einen ausgewählten Kreis von Akustik- und Elektro-Ingenieuren, die an hochmoderner Überwachungstechnologie arbeiteten. Darunter befanden sich Männer der Naval Intelligence und des Office of Strategic Services (OSS), des Vorläufers der CIA. Sie entwickelten Systeme für Lauschangriffe über weite Distanzen hinweg, bei denen keine direkten und verräterischen Anschlussverbindungen mehr nötig waren – und das war im Fall Mickey Cohen besonders wichtig, denn seine Crew suchte regelmäßig nach verdächtigen Leitungen.
Die Gangster Squad juckte nicht, was die von der Sitte für einen Mist gebaut hatten – sie würden es erneut versuchen, diesmal mit einem raffinierteren System.
Ein kleines Mikrofon war mit einem Transmitter verbunden, der das Signal zu einem Empfänger übertrug, der sich einige Blocks weiter befand. Das ließ sich mit einer Radioübertragung vergleichen. Doch es gab einen großen Nachteil. Der Transmitter wurde mit einem Sechser-Satz Batterien betrieben, die innerhalb kürzester Zeit den Geist aufgaben und ersetzt werden mussten. Die größte Herausforderung jedoch bestand im Platzieren der Wanze.
Mittlerweile hatte sich Mickeys Haus in eine regelrechte Festung verwandelt. Wachen patrouillierten rund um die Uhr auf dem Gelände, Suchscheinwerfer konnten den letzten Winkel erhellen, und die Einfahrt war durch ein mit Stahl beschlagenes Tor gesichert, durch dessen Guckloch seine Männer jeden Ankömmling argwöhnisch musterten. Wie sollte man dort hineingelangen? Ein geschicktes Ablenkungsmanöver stellte die Lösung dar! Die Squad wartete einen Abend ab, an dem Mickey und Lavonne ausgegangen waren. Jumbo und der behäbige Archie Case begannen auf einem in der Nähe gelegenen Bauplatz so viel Lärm wie möglich zu veranstalten. Wie zu erwarten, schauten die Wachen nach dem Rechten und bewegten sich vom Haus weg. Das war Keelers Chance! Er schlich über den Rasen des dahinterliegenden Nachbarhauses, kletterte über den mit Stacheldraht gesicherten Zaun und schlich sich durch den Orangenhain auf Mickeys Anwesen an das Haus heran. Um jedes Geräusch zu vermeiden, band sich Keeler Sackleinen um die Schuhe. Zum Schutz gegen die Hunde – Mickey hielt damals den verwöhnten Tuffy und Mike, einen Boxer – hatte Keeler seine Kleidung mit einem Hauch Ammoniak getränkt, der jede Schnüffelnase leicht verätzte.
Unter dem Haus befand sich ein Hohlraum, der von Holzsplittern übersät war. Vorsichtig kroch Keeler um sie herum, riss lautlos die Spinnenweben ab und robbte sich zu dem riesigen Heißwasserbehälter vor, durch den Mickey in der Lage war, sich die Hände täglich eine Million Mal zu waschen. Während Mickeys Leibwächter in Richtung des Lärms starrten und versuchten, die Störenfriede mit den Scheinwerfern einzufangen, mühte sich Keeler am Schloss eines Lüftungsschachts unter Mickeys persönlichem Wohnbereich ab, das sich erstaunlich leicht öffnen ließ, und schon stand er in dessen Privatgemächern. Hier konnte Mickey in Ruhe schlafen oder eins der zahlreichen Meetings abhalten, deren Vokabular nicht in Lavonnes „blumiges“ Wohnzimmer passte. Keeler versteckte das Mikrofon in einem mit Zedernfurnier