Gangster Squad. Paul Lieberman
sprechen und sie genau zu kennen. „Ich war nie auf einer Schule“, lautete eines seiner häufig ausgesprochenen Statements. Doch er hatte sich hochgearbeitet und seine Fähigkeiten richtig eingesetzt. Nun war er ein nonchalanter Liebhaber feinster französischer Strümpfe und von Panamahüten für 275 Dollar, die er manchmal statt der damals beliebten grauen Filzhüte trug. Als Mickey 1933 als Erwachsener nach L.A. zurückkehrte, wurde sofort ein Foto gemacht – und zwar von den Cops, die ihn in die Kartei aufnahmen. Es zeigte einen Mann mit geöffnetem Knopf am Kragen und einer unordentlich gebundenen Krawatte. Seine schlichte Jacke wirkte knitterig und dreckig. Nun kannte man „The Mick“ als Paradiesvogel – einen Mann, der Anzüge in zarten Pastelltönen trug und einen Ring am kleinen Finger. Seine Jungs wiesen ständig darauf hin, dass Mickey dem schnauzbärtigen und adretten Schauspieler Adolphe Menjou, der in Filmen immer die Rolle des reichen Firmenbosses übernahm, den Rang als bestgekleideter Mann von Los Angeles abgelaufen habe. Seine Crew bestand hautsächlich aus Juden, die ihm schon seit Jahren zur Hand gingen, wie zum Beispiel Hooky und Neddie, sowie Italos wie Regace, „Jimmy, das Wiesel“ und speziell die Sica-Brüder, die Cohen schon kannte, „als sie noch klein waren und durch die Gegend rannten“. Wenn man nun alle zusammenrechnete, ergab das eine ziemlich lange Liste an „Verkäufern“ für ein „Modegeschäft“.
Der Laden stellte eine ideale Möglichkeit für das neue Team der Gangster Squad – Greeley und Giacopuzzi – dar, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Als sich das Duo die Tommy-Guns schnappte, war klar, dass sie die Spielregeln kapiert hatten – dass sie zu den Kerlen gehörten, die einem Mickey Cohen das Leben schwer machen konnten. Ihr Auftrag lautete, die Grenzen auszutesten. So überlegten sich Greeley und Giacopuzzi, dass man Mickeys Jungs mal auf eine Rätselreise schicken sollte. Waren sie nun Cops oder auch Gangster, sagen wir mal aus Chicago? Es folgt Jacos Bericht:
Bevor es zum Laden ging, schraubten wir die Nummernschilder des Zivilfahrzeugs ab und fuhren zur Zulassungsstelle in Hollywood, wo wir den Schrotthaufen durchsuchten, Schilder aus Illinois fanden und sie anbrachten. Dann parkten wir einen Block weit entfernt von dem Geschäft, aber in Sichtweite. Ich saß auf dem Fahrersitz und Greeley neben mir. Wir trugen Hüte und Übermäntel und ließen die Karre da stehen. Sie wussten nicht, wer wir waren, und schickten einen Typen, der uns überprüfen sollte. Jedes Mal, wenn er am Wagen vorbeiging, zogen wir die Kragen hoch und die Hüte tief ins Gesicht. Es war ungefähr 17 oder 18 Uhr. Höchste Zeit zu fahren und vorher noch für Action zu sorgen! Ich steuerte also auf Mickeys Laden zu. Als wir uns langsam dem Gebäude näherten, kam die gesamte Belegschaft auf den Gehweg und starrte in unsere Richtung. Blitzschnell bog ich in eine Parklücke, Greeley lehnte sich aus dem Seitenfenster und hielt den Typen die Tommy unter die Nase. Das hättet Ihr mal sehen sollen – die schmissen sich von einer Sekunde auf die andere zu Boden – alle! Ein besonders fetter Typ versuchte sich unter einem Fahrzeug zu verkriechen, doch er passte nicht drunter! Ich trat das Gaspedal voll durch, und schon sahen sie von uns nur noch eine Staubwolke.
Für die Squad war die Andeutung eines Feuerüberfalls aus einem Wagen heraus ein gelungener Scherz, über den man sich gerne unterhielt – bis doppelläufige Flinten ein anderes Liedchen sangen und tatsächlich zum Einsatz kamen. Doch bevor die Echos der Schüsse über den Sunset Strip hallten, traf O’Mara den Mann, dessen Zukunft sich mit Mickeys und seiner Karriere auf eine Art und Weise verknüpfen sollte, die niemand hätte vorhersagen können.
O’Mara erhielt die Nachricht, als er am 16. April 1948 zur Nachtschicht erschien: „Freddie, der Dieb“ Whalen war von drei Männern aus Fresno gekidnappt worden, die behaupteten, er habe sie und einen Buchmacher um 2.900 Dollar beschissen. Fred Whalen ging gerade in der Nähe seines Hauses in Hollywood gemütlich mit dem zweieinhalbjährigen Enkel spazieren – der Sohn seiner Tochter Bobie –, als das Trio plötzlich aus einem Wagen sprang, ihm Handschellen anlegte, ihn auf die Hinterbank schubste und wegraste. Der kleine Junge blieb hilflos auf dem Gehweg zurück. Familienmitglieder beobachteten die Entführung und rannten hinter dem flüchtenden Wagen her, doch ohne Erfolg. Ein Anruf bei der Polizei in Hollywood genügte, und schon wurde eine detaillierte Beschreibung verbreitet, die den Cops half, die Täter in Burbank festzunehmen. Sie drohten Freddie, eine Flugreise zu unternehmen und ihn aus der Maschine zu stoßen, wenn er nicht augenblicklich mit der Kohle rüberrücke, die er ihnen als „Dr. Harry Moore“ abgeknöpft hatte.
Die Öffentlichkeit wusste zu dem Zeitpunkt nichts über einen Fred Whalen, ausgenommen, sie zählten zu den Billard-Fanatikern, die etwas über seine verblüffenden Tricks gehört oder das Spiel mit dem großartigen Ralph Greenleaf gesehen hatten. Doch unter Trickbetrügern und spielwütigen Detectives stellte Freddie, der Dieb eine Legende dar. Für sie war er der cleverste Gauner, den man in Los Angeles seit Jahren gesehen hatte, mal abgesehen von dem Kerl, der in den Zwanzigern die halbe Stadt mit dem Ölschwindel über den Tisch zog. Doch C.C. Julian flüchtet aus Kalifornien und brachte sich um. Freddie Wahlen war hingegen immer noch aktiv und übertrumpfte sich selbst mit einer List nach der anderen. Als die meisten Schwarzbrenner und Schmuggler nach der Prohibition vor dem Ruin standen, kaufte er billigen Whiskey aus Lebensmittelgeschäften auf, füllte ihn in täuschend ähnliche Flaschen um und verkaufte das Zeug als teuren Johnny Walker. Doch seine aktuelle Gaunerei – und der Grund, warum ihm die Typen aus Fresno einen Fallschirmsprung ohne Fallschirm spendieren wollten –, ließ sich schlichtweg nur als Geniestreich bezeichnen.
Schritt eins: Freddie ging in ein Krankenhaus und gab sich als Arzt aus, natürlich im weißen Kittel und mit einem Stethoskop um den Hals. Zuerst überreichte er der Dame an der Rezeption ein Rosenbouquet, quasi, um das Eis zu brechen, und stellte sich dann als Doktor-so-und-so vor, in Fresno benutzte er den Namen Dr. Harry Moore. Er erklärte, dass er als Gefallen für einen dort angestellten Arzt, der sich im Urlaub befand, nach einigen Patienten schauen würde. Als Nächstes warf er der Dame ein unwiderstehlich charmantes Lächeln zu und bat sie: „Ich erwarte einen Anruf, meine Liebe. Es wäre nett, wenn sie mich ausrufen lassen könnten.“ Schritt zwei: Freddie streute in der Klinik die Information, dass er eine Passion für Ponys habe. Wüsste wohl jemand, wo man eine Wette platzieren kann? In kürzester Zeit stand er in Kontakt mit dem lokalen Buchmacher und setzte für den Anfang einige kleinere Beträge, alles sichere Nieten. Er machte dem Buchmacher ein verheißungsvolles Angebot – wie wäre es, wenn er, Dr. Moore, die Wettgelder aus dem Hospital für ihn einsammelte? Was für ein Angebot – ein liebenswürdiger, hochseriöser Arzt, der ihm freiwillig einen neuen Kundenkreis erschloss und betreute! Und dann auch noch das Geld von Kollegen der Zunft, Krankenschwestern und den ganzen Patienten einsammelte! Wie sollte man da widerstehen? Doch der Buchmacher ging seiner „Sorgfaltspflicht“ nach und rief erst im Krankenhaus an, ob dort tatsächlich ein Dr. Moore praktizierte. Die nette Dame am Empfang antwortete ihm säuselnd: „Natürlich, unser Dr. Moore. Ich werde ich sofort ausrufen lassen.“
Schritt drei: Ungefähr um 10 Uhr morgens traf sich der in Pferde vernarrte Dr. Moore mit dem Buchmacher selbst oder seinem Laufburschen in einem nahegelegenen Motel, um ihm die auf Index-Karten verzeichneten Wetten zu überreichen, denn die ersten Rennen an der Ostküste standen kurz bevor. Freddie bot dem Mann einen Drink an und erzählte einige Witze, hielt einfach einen netten Plausch. Sein Zielobjekt hatte nicht den blassesten Schimmer, dass ein Komplize – manchmal sein Schwager und manchmal andere Wunderlichs – im Nebenzimmer saß und die Resultate über die Telefone mithörte. Sie benutzten einen kaum sichtbaren Draht, um frisierte Karten mit neuen Wetten unter der Tür durchzuschieben. Allerdings standen dort jetzt die Namen der Siegerpferde, die oft mit einem großen Vorsprung gewonnen hatten. Die Möbel in Freddies Motelzimmer waren so arrangiert worden, dass niemand die Aktion bemerken konnte. Freddie saß am Schreibtisch und musste nur noch die Index-Karten aufheben. Als Billardprofi hatte er sein Geschick mit den Händen bewiesen, was ihm nun zugutekam. Mühelos steckte er die neuen Karten in den Haufen, den er dem Buchmacher mit einer Handbewegung überreichte. Der arme Kerl hatte überhaupt keinen Grund, einen Schwindel zu vermuten, denn er hatte den Arzt ja schon vor dem Start der Rennen getroffen. Es war einer der klassischen Tricks, um das Faktum der verschiedenen Zeitzonen in den USA auszunutzen, und trieb in Kalifornien und auch darüber hinaus einen Buchmacher nach dem anderen in den Ruin. Ach ja, die echten Wettliebhaber