Gangster Squad. Paul Lieberman
sich eine Szene wie aus einem Pulp-Magazin ab. Zwei Typen kamen an die Bar, und einer meinte forsch:
„Wir kommen wegen des Schutzgeldes.“
„Schutzgeld für was?“, fragte der Barmann.
„Schutz vor dem hier“, meinte der zweite Kerl und verpasste dem armen Mann einen kräftigen Boxhieb. Dann griff er in die Kasse, schnappte sich das Geld und verschwand mit der Bemerkung: „Bis nächste Woche.“
Die Besitzer der Bar wollten jedoch keine Aussage machen. Guter Rat war teuer oder, wie O’Mara schon bemerkte: „Was sollen wir jetzt machen? Das Ganze auf sich beruhen lassen oder zur Tat schreiten?“ Ihm persönlich schwebte ein bisschen Action vor.
John J. O’Mara stammte ebenfalls nicht aus Los Angeles. Er war sich nicht sicher, wie seine Familie aus Irland nach Portland, Oregon, gelangt war, aber dort wurde er 1917 geboren und dort verbrachte er auch seine Kindheit. Dann fiel im Rekordwinter 1919/1920 an nur einem Tag fast ein Meter Schnee auf den zugefrorenen Hood River, gefolgt von den „Silberfäden“ 1922, einem Naturereignis, bei dem der Regen auf eine ungewöhnlich kalte Luftschicht traf. In Sekundeschnelle verwandelten sich die Tropfen in lebensgefährliche Eisgeschosse, die wie Kugeln oder Pfeile vom Himmel herabprasselten. „Mein Dad meinte dann: ‚Kalifornien, wo die Straßen mit Gold gepflastert sind – wir kommen!‘“ Sein Vater stapelte die sieben Kinder in einen Ford Modell T, und schon schwappten sie mit der großen Migrationswelle gen Südwesten, die auch die Whalens im selben Jahr in Los Angeles anspülte, mit der Ausnahmen, dass Familie O’Mara aus dem Norden kam.
Jacks Vater fand in einem Elektrizitätswerk Arbeit, fest darauf bauend, dass der wöchentliche Gehaltsscheck eine sichere Grundlage für das Überleben bieten würde. Das Geld reichte sogar für den Kauf eines kleinen Hauses mit zwei Zimmern, an das ein Schlafzimmer für die drei Jungen angebaut wurde. Die neue Bleibe der Familie lag im Süden der Stadt, in einem klassischen Arbeiterviertel. Die Kids besuchten anfänglich die Pfarrschule der Nativity Church, in der man acht Jahrgangsstufen in vier Klassenräume stopfte und sie lehrte, dass Himmel und Hölle keine Abstraktionen, sondern real sind. Es gab gut und böse und dazwischen so gut wie gar nichts! Vielleicht lag das Prügeln irgendwo zwischen den beiden Polen, das für die Jungs fast schon zu einem Zeitvertreib geworden war und dem Jack seine gebrochene Nase zu verdanken hatte. Er war ein schmächtiger Junge mit rabenschwarzem Haar und stechenden türkisfarbenen Augen, die für die Familie ein klares Zeichen für seine irische Herkunft darstellte. Man hätte ihn schnell mit einem Ankömmling auf einem der Schiffe verwechseln können. Mit den großen blauen Augen konnte er die Menschen durchdringen, sie einschüchtern, noch lange bevor es ihm gewahr wurde.
Als die Highschool-Zeit heranbrach, schickte man die Mädchen auf die christliche Saint Agnes und die Jungs auf die Manual Arts, in der man handwerkliche Fähigkeiten vermittelte für angehende Drucker, Kfz-Mechaniker oder Schmiede. Natürlich kam die Leibesertüchtigung beim Football oder Langstreckenlauf nicht zu kurz. Obwohl man Jacks Kraft an der gut ausgebildeten Schultermuskulatur und den dicklichen Fingern erkennen konnte, war er doch nur etwas über 1,70 groß und hatte eher eine Hühnerbrust. Die Lehrer teilten ihn zum Laufen ein, zuerst zum Cross-Lauf, dann für mittlere Distanzen wie eine halbe Meile, wo man durch unnachgiebiges Training und Entschlossenheit sein Ziel erreichte. Praktisch lief er immer so schnell wie möglich, bis ihm die Luft ausging. Jack hing während seiner Highschool-Tage meist mit einer von Frank Bruce aus Memphis, Tennessee, angeführten Clique ab. Bruce wurde später zum Millionär, denn er setzte sich schon früh für die Raumfahrt ein. Die Gruppe nannte sich „Delta Tau Sigma“ und mietete das Parterre eines Hauses in Hermosa Beach an, das ihnen gerade genügend Platz bot, um sich Badebekleidung anzuziehen und zum Wasser zu rennen. Nach der Planscherei ließen sie sich erschöpft auf den Boden fallen oder übten sich in Boxkämpfen. Damals erkannte Jack, dass er anscheinend kräftigeren Gegnern überlegen war. „Ich habe sie überrascht“, sagte er. Dann traten sie einem Team in der semiprofessionellen Municipal Football Association bei, die Turniere auf einem Spielfeld veranstaltete, um das herum 10.000 Zuschauer Platz fanden, die herzlichst eingeladen waren, eine kleine Aufmerksamkeit zu spenden, meist 25 Cent. Bei diesen zweitklassigen Shows spielte oft ein Team aus raubeinigen Hafenarbeitern aus San Pedro gegen die nur aus Schwarzen bestehenden Ross Snyder Bulldogs. O’Mara, mittlerweile bei einem Gewicht von über 60 kg angelangt, meinte zu seinen Team-Kollegen: „Werft mir das Ding zu, ich werde durch deren Reihen hindurchlaufen.“ Und so holte sich Delta Tau Sigma die Meisterschaft im Jahr 1939 – Sie können es gerne überprüfen. Doch die allerbeliebteste Freizeitaktivität der Jungs bestand darin, auf Catalina Island den Mädchen hinterherzujagen. Sie sparten sich mühsam die 3,95 Dollar für eine Eintrittskarte zusammen, die eine Rundfahrt mit dem großen weißen Dampfer beinhaltete, sowie eine Nacht in den „Villen“, kaum mehr als einfache Zelte. Während des Tages vergnügten sie sich beim Speerfischen. Dabei stiegen die Mutigsten in eine zusammengeschweißte Tauchglocke, die man aus einem alten Wassererhitzer gefertigt hatte und in die Luft über einen 20 Meter langen Gartenschlauch gepumpt wurde. Ihr bevorzugtes Ziel war jedoch das berühmte Casino der Insel, wo man nicht spielte, sondern eine flotte Sohle aufs Parkett legte. Der riesige Tanzsaal im Jugendstil lag in Avalon Harbor und zog die Bigbands von Glenn Miller und Harry James an, nicht zu vergessen die Scharen junger Mädchen, die während des Jitterbug Dampf ablassen wollten.
Connie Paegel war 16, als O’Mara ihre heißen Beine vom Ende des Saals aus ins Auge stachen. Wie seine Schwestern besuchte das dunkelhaarige Mädchen mit den haselnussbraunen Augen die Saint Agnes. Ihr Teint schimmerte golden. Und Kurven? Wohin man auch sah! Sie war eine lebhafte Tänzerin, einer der ersten Fans der Musik von Sinatra, aber trotz ihrer Quirligkeit machte sie einen wohlbehüteten Eindruck – sie sollte auch in ihrem späteren Leben niemals ein Auto fahren. Connie bemerkte Jack ebenfalls: „Er war der dünnste Mann dort, der kleinste und drahtigste.“ Mehr als 70 Jahre später beschrieb eine ihrer Töchter, wie sich damals Liebebeziehungen anbahnten:
Man heiratete eine Frau wegen ihrer langen Beine und der dicken Titten. War sie schön und brachte sie Spaß, wollte man sie gleich in den Sack stecken. Und man heiratete einen Mann, weil er gut aussah und ein sicheres Einkommen hatte. Schließlich wollte ein Mädchen schnell weg von Zuhause. Da spielten großartige Gedanken oder Existenzängste kein große Rolle, nicht wahr?
Vor der Hochzeit ging Connie mit ihrer Mom und ihrer Schwester ins I. Magnin und probierte eins der eleganten Kleider mit üppiger Seide und Spitze an, die auch Myrna Loy getragen hätte. Zuhause wurde die schwarze Singer (noch mit Fußantrieb!) hervorgeholt und ein fast identisches Kleid genäht. Connie bewahrte die ganzen Jahre über ein kleines Fototagebuch auf, mit den Kapiteln „Unser Hochzeitstag“ und „Unsere Flitterwochen“. Dort erzählte sie von der Fahrt über die sich lange hinschlängelnde Straße in die San Bernardino Mountains, die zwar gefährlich war, aber viel Spaß machte:
Um sieben Uhr abends erreichten wir Big Bear – fanden eine nette Hütte & gingen zum Essen. Was für eine Mahlzeit … Wir kauften uns noch Rum, Coke und Zitronenlimo, und zurück ging’s in die Hütte. Nach einigen Drinks legten wir uns schlafen –!
Als sie am nächsten Morgen aufwachten, hatte es zu schneien angefangen. Einen Tag später mussten sich die beiden einen Weg freischaufeln.
Jack verriet ihr am Abend der ersten Begegnung, dass er Polizist werden wolle. Er hatte die Highschool schon verlassen und schlug sich mit Jobs an Tankstellen durch oder mischte sich unter das riesige Heer von Malochern, die mühevoll die Waren der nachts aus San Francisco ankommenden Frachtzüge entluden. Während der Weltwirtschaftskrise nahm man halt jeden Job an. Zuerst dachte er darüber nach, sich beim FBI zu bewerben, doch wegen der zunehmenden Zahl an Skandalen brauchte Los Angeles dringend neue Polizeibeamte. Viele Männer waren gefeuert worden oder in Pension gegangen, und so suchte die Bowron-Verwaltung händeringend frisches Blut. Die zukünftige Connie O’Mara mochte den Gedanken – vielleicht konnte er ja eines Tages zum Chief aufsteigen –, und fütterte ihren Freund mit Bananen und Eiscreme, damit er das Mindestgewicht, das für den Job gefordert war, auf die Waage bringen konnte. John O’Mara trat seinen Dienst am 3. September 1940 in der Police Academy an und gehörte zu den Männern, aus denen ein neues LAPD geschmiedet werden sollte. Natürlich forderte er schon nach einigen Tagen Tom Bradley heraus, den