Gangster Squad. Paul Lieberman
kam dann heraus und war in der Lage, jeden Namen, der im Raum gefallen war, und jede Adresse, die genannt worden war, fehlerfrei zu nennen – bis auf den Buchstaben genau. Keeler hingegen war ein Rotschopf aus einer Farmerfamilie in Iowa, der mit einer eisernen Schiene am Bein aus dem Krieg zurückkehrte, wodurch er für die reguläre Polizeiarbeit nicht mehr zu gebrauchen war – außer, wenn man gerade einen Könner im Schlösser-Knacken brauchte oder einen Experten, um Wanzen anzubringen.
Doch all die Muskelmänner und Spezialisten waren ohne einen harten, smarten Quarterback wertlos, und Burns stellte den idealen Mann für den Job dar. Jack O’Mara wiederum, der Cop mit dem kantigen Kinn, der sonntags die Kollekte einsammelte und jedem einen gezielten Haken unters Kinn donnerte, der ihn beschiss, gab einen perfekten Stellvertreter ab. Als Bedingung für seinen Einstieg bestand Jack darauf, auch seinen Freund Dick Hedrick von der 77th Street einzuladen.
Damit hatten sich die Mitglieder der Gangster Squad zusammengefunden – die ersten acht. Im Laufe der Zeit stießen neue Männer dazu, darunter der rüpelhafte Sgt. Jerry Wooters, aber diese acht waren die Pioniere.
Die erste Herausforderung bestand darin, aus den „Tatmenschen“ und den „Gehirnen“ eine funktionstüchtige Truppe zusammenzuschweißen. Und genau hier kamen die Taschendiebe ins Spiel, die in den Kinos und Kneipen ihr Unwesen trieben.
Chief C.B. Horrall vertrat die Auffassung, dass es ein gutes Training wäre, den jungen Dieben, die Schiff für Schiff die aus dem Krieg zurückkehrenden Militärangehörigen ins Visier nahmen, mal kräftig auf den Zahn zu fühlen. Das Kapitel der Raubzüge war trotz der ganzen Nachkriegsfeierlichkeiten in L.A. noch nicht abgeschlossen, und diese empörten Militär und Zivilisten gleichermaßen. Die ausgemergelten Veteranen verbrachten nur eine einzige Nacht in der Stadt, bevor sie die Züge in die Heimatstädte bestiegen. Oft besuchten die Soldaten die billigen Kinos im Stadtzentrum, die seit Kriegsausbruch 24 Stunden am Tag geöffnet waren, um allen Arbeitern in den Rüstungsfabriken Unterhaltung zu bieten, denn diese konnten sich direkt nach Schichtende einen Film ansehen. Nun durften die heimkehrenden Helden der USA die gleiche Zerstreuung genießen. Die pompösen Kinopaläste am Broadway zeigten die aktuellsten Filme, doch die kleineren Lichtspielhäuser an der Main Street, die an einen Distrikt angrenzte, in dem auch Tattoo-Studios und Varietees zu finden waren, zeigten ältere Streifen. Eigentlich kümmerte es niemanden, wenn cineastische Langweiler liefen, denn die Soldaten wollten oft nur ein Nickerchen machen. Da sie es gewohnt waren, auf Trucks oder Booten hin und her geschaukelt zu werden, schliefen sie augenblicklich ein, was den Taschendieben ihren Job erleichterte. Ohne mit der Wimper zu zucken, klauten sie Geldbörsen, ganze Seesäcke und erbeuteten oft den Entlassungssold, sogar aus den 13-knöpfigen Hosen der Seeleute zogen sie deren Schätze. Ein Taschendieb setzte sich zu einem alleinsitzenden Veteranen und gab ihm einen leichten Stups, um zu sehen, ob er auch tief genug schlief. Dann zog er ihm vorsichtig die Geldbörse oder ein Bündel Dollarnoten aus der Tasche oder schlitzte diese – wenn nötig – mit einem scharfen Messer auf. Meist arbeiteten die Diebe nicht allein. Zur allgemeinen Vorgehensweise gehörte ein Partner, der durch die Sitzreihen schlich und dem schnell die Beute zugesteckt wurde. Somit war das verräterische Beweismaterial schnell außer Reichweite der eigentlichen Besitzer.
Der Plan für die neugegründete Sondereinheit sah nun folgende Herangehensweise vor: Keeler und Thomas oder O’Mara und Hedrick hockten mit Ferngläsern im Projektorraum und warteten auf verdächtige Zivilisten, die sich an einen Veteranen heranschlichen. Falls sie einen Verdächtigten bemerkten, gaben sie dem großen Archie oder Benny, die an den Hauptausgängen warteten, ein Signal mit der Hand. Kein einziger Gauner konnte sich an den beiden vorbeischleichen und entwischen. Doch sie zu packen, war noch der einfachere Teil der Operation. Denn keiner der erschöpften Soldaten wollte lange genug in der Stadt verweilen, um bei Gericht seine Aussage zu machen – keiner. Eine Anhörung konnte frühestens zwei oder drei Tage später angesetzt werden, doch die Armeeangehörigen hatten meist Monate, manchmal sogar Jahre im Krieg verbracht und wollten auf dem schnellsten Weg ihre Lieben wiedertreffen. Dann ließ sich die Squad eine Finte einfallen – die Devise lautete Panik verbreiten –, und so wurde James Douglas „Jumbo“ Kennard in der Winston Alley eingesetzt. In seiner Freizeit war Jumbo ein ruhiger, ganz normaler Mann. Zu Hause wollte er es sich meist nur im Sessel gemütlich machen und ein Schälchen seines geliebten Schokoladeneises genießen. Nach dem Tod seines Vaters nahmen Jumbo und seine Frau seine pubertierende Schwester Betty zu sich und kontrollierten sie auf Schritt und Tritt. Wenn sie das Haus verließ, wurden sogar ihre Ohren auf deren Sauberkeit hin inspiziert. Jumbo hatte die Haare immer ordentlich gekämmt und die Anzugjacke mit dem großen Kragen penibel zugeknöpft. Doch sein zivilisiertes Freizeitverhalten stand im Gegensatz zu seinem Habitus im Job. Während der Arbeit wurde er schnell zum Berserker. Es musste gar nicht viel passieren, dass der Sohn eines Constables aus Texas durch die Decke ging, mit seiner kleinen Pistole herumfuchtelte und brüllte, was sie denn mit den Ärschen machen sollten, wenn seine Kollegen die Verdächtigen mitten in der Nacht ans Ende der kleinen L-förmigen Gasse hinter den Bahnschienen brachten. Daraufhin bettelte O’Mara Jumbo an, doch nicht zu schießen, denn „sie untersuchen immer noch die Leiche von letzter Woche“. Jumbo drehte sich zur Seite und stritt sich mit O’Mara, ständig nervös mit seiner gigantischen Knarre herumfuchtelnd. „Ich lege das Arschloch um!“ Genau in dem Moment flüsterte O’Mara dann dem panischen Gauner zu: „Los, zieh Leine – schnell!“ In Windeseile machte sich der Ganove aus dem Staub, floh ins Dunkel der Gasse, an deren Ende er links abbog. Die Cops gaben sich keine Mühe, ihn zu verfolgen, sondern warteten auf den dumpfen Aufschlag, denn sie hatten gleich hinter der Ecke in Kniehöhe über die verdunkelte Straße eine Kette gespannt. Alle Taschendiebe der Main Street machten diese unsanfte Bauchlandung, bis den Cops die ganze Sache zu langweilig wurde und sie auf einer Eisenbahnbrücke ein neue Methode der Abschreckung einsetzten. Jumbo packte die Diebe bei den Beinen und ließ sie über den Schienen baumeln … bis Chief C.B. Horrall genug hatte, denn er befürchtete, dass eines Tages ein Ganove unsanft landete.
Daraufhin mischten sie sich in den Hafenbars unters Volk. In einigen Spelunken mixten die Mädchen den zurückkehrenden Soldaten Mickey Finns in den Drink, damals weitverbreitete K.o.-Tropfen, und führten die benommenen Männer in eine dunkle Nebengasse, wo ihre Freunde sie ausnahmen. Jumbo wollte seine Methode weiter durchziehen, aber mit einer kleinen Modifikation. Nun ließ er die Gauner nicht mehr über Eisenbahnschienen baumeln, sondern sie starrten in die furchterregende Tiefe der Trockendocks.
In einer Kaschemme vermuteten sie, dass der Inhaber in die Straftaten verstrickt war, nahmen den Einsatz der Registrierkasse heraus und brüllten durch das Stimmenwirrwarr: „Der Laden ist geschlossen! Alle raus!“ Der Besitzer wehrte sich gegen die Aktion, woraufhin Willie Burns entgegnete: „Ja, viel Glück auch – dein Anwalt soll uns anrufen.“ Doch Willie hinterließ keine Visitenkarte. Erneut musste Chief C.B. Horrall einschreiten: „Jetzt reicht’s aber!“ Und er hatte Recht. In den Kinos und Bars gab es zwischenzeitlich so gut wie keine Taschendiebe mehr.
Nun war L.A.s Gangster Squad bereit für die harten Burschen.
Jetzt begann der erste Einsatz gegen die kriminelle Unterwelt: Er richtete sich gegen die unliebsamen Besucher der Restaurants und Nachtclubs in Hollywood. Laut O’Maras Worten war es „Lumpengesindel aus Rhode Island, das wir Beulenpest nannten“. Die Ganoven – sie stammten aus Detroit und standen in der Tradition der alten Purple Gang – verlangten in Lokalen wie dem Brown Derby, wo sich die Klatschkolumnisten trafen, einen prozentualen Anteil an den Einnahmen. Auch das Mocambo blieb nicht unbehelligt, ein Schuppen, in dem der gertenschlanke Frank Sinatra einige Jahre zuvor seine Karriere begann. Doch die Polizeikräfte sahen sich mit einem ähnlichen Problem konfrontiert wie schon bei den von Taschendieben ausgeplünderten Armeeangehörigen – die Clubbesitzer wollten nicht vor Gericht aussagen. Sie befürchteten, dass ihren Familien ein Leid geschehen könnte. „Und was sollen wir jetzt machen?“, fragte Sergeant Jack O’Mara.
Ja, die Clubbesitzer wagten noch nicht einmal, die Erpressungen zu melden! Als ein paar Buchmacher zufällig so einen Zwischenfall beobachteten, steckten sie den Cops die Neuigkeit. Die Squad teilte sich daraufhin in Zwei-Mann-Teams auf und observierte unauffällig