Gangster Squad. Paul Lieberman

Gangster Squad - Paul  Lieberman


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eben jenes Kind, das man als Erwachsenen dann Jack „den Kassierer“ Whalen nannte.

      Freddie hätte an dem Tag seine Lektion lernen müssen – dass seine Klugheit und das Lächeln ihn nicht vor Gefahren schützt. Doch das Leben hielt noch weitere Lektionen bereit: Zum Beispiel sollte man sich nicht mit den falschen Leuten einlassen, denn die können einen in Todesgefahr bringen! Gus Wunderlich machte diese Erfahrung während einer Episode, die ihn ins Gefängnis brachte.

      Vielleicht war es Gus’ Eiscreme-Maschine, die ihn auf auf dumme Gedanken kommen ließ? Er hatte jahrelang seine mechanischen Zauberkünste in den Dienst von Freddies Rumschmuggel gestellt und sich ein Gerät ausgedacht, mit dem man „gefrorenen Nachtisch“ herstellen konnte. Doch mit dem Ende der Prohibition 1933 war es nicht leicht, Kapital für das Patent und das Marketing einer solchen Erfindung aufzutreiben, und so wandte sich Gus anderen Verdienstmöglichkeiten zu, um an das benötigte Geld zu gelangen.

      Ein weiteres Mitglied der Schmugglermeute kam auf die wahnsinnige Idee, die Glücksspielschiffe auszurauben. Es hatte auf den Schiffen schon einige Schießereien und sogar zwei Morde gegeben. Wie sich herausstellte, war eins der Opfer in Wahrheit gar nicht Croupier, sondern ein Gauner aus East St. Louis, der unter dem Deckmantel seiner Tätigkeit gestohlene Juwelen an den Mann brachte – auf hoher See trieben einige verdammt harte Burschen ihr Unwesen! Der Schmuggler Harry Allen Sherwood hatte einen Informanten mit Insider-Wissen, den ehemaligen Koch der S.S. Monte Carlo, und er war überzeugt davon, dass eine Bande moderner Piraten das große Geld auf dem Schiff abgreifen konnte. Die Monte Carlo war einstmals ein unansehnlicher, grau gestrichener Öltanker gewesen und sah auch nicht viel besser aus, nachdem die Neubesitzer später ein warenhausgroßes Gebäude mit einem geschwungenen Dach auf dem Oberdeck errichteten, das als Casino gedacht war. Doch bei Nacht sah man nur die blinkenden Lichter. An einem Samstag allein nutzten 1.736 vermögende Spieler die 25-Cent-Wassertaxis zu und von dem Schiff, wo die Tischdecken des Speisesaals aus feinstem Leinen gewebt waren und Schilder über den Spieltischen versprachen: „Die Würfel sind garantiert echt.“

      Die sechs Mann starke Gang schlug nach dem geschäftigen Wochenende des 4. Juli 1935 zu, da sie vermutete, dass der Safe des Schiffes zum Bersten voll wäre. Einige der Piraten schossen mit einem 17 Meter langen Schnellboot namens Zeitgeist über das Wasser, während andere die Küste in dem gestohlenen Fischkutter Nolia verließen. Sie hatten sich eine neblige Nacht ausgesucht, damit niemand die Zusammenkunft der beiden Boote auf offener See beobachten konnte, wenn sie dort gemeinsam in ein kleines und sehr leises Fischerboot umsteigen wollten. Um 3.30 Uhr hatten die letzten Spieler die Monte Carlo verlassen. Das Hauptdeck war nun in Dunkelheit gehüllt. Die bewaffneten Piraten zogen Strumpfmasken über die Gesichter und führten Handschuhe und zwei Säcke voller Handschellen, Fußfesseln und Ketten mit sich. Sie glitten in ihrem Boot lautlos an die Seite des Glücksspielschiffs und kletterten an Deck.

      Die Crew – sie befand sich in der Kombüse und spielte eine Runde Poker – wurde von den Angreifern völlig überrascht. Die Ausgeraubten gaben später zu Protokoll, dass ihnen in aggressivem Ton befohlen worden sei: „Runter auf den Boden – alle. Macht, was ich euch sage, und keinem wird ein Haar gekrümmt.“ Die Gang ließ die Angestellten den Safe leeren. Darin befanden sich Bargeld, verschiedener Plunder und edle Ketten, Ringe und Uhren im Wert von 10.000 Dollar. Die Gegenstände waren von den Spielern zurückgelassen worden, die entweder Schulden hatten oder noch mehr Chips erwerben wollten. Ein Verlierer musste an diesem Wochenende einen riesigen Diamantring als Pfand hinterlegen, der kunstvoll in Platin eingefasst war und 1.000 Dollar kostete. Er hatte dafür 50 Dollar erhalten! Natürlich wanderte er in den Beutesack, zusammen mit den Dollarbündeln und silbernen Dollars aus einem Schaukasten. Insgesamt erbeutete die Bande 22.000 Dollar. Eines ihrer Mitglieder meinte danach zu den gut verschnürten Opfern: „Macht euch nichts draus. Wir sehen uns in der Kirche.“

      Die Piraten schleppten zwei Säcke voller Diebesgut in das Fischerboot und tuckerten ab. Der Monte-Carlo-Raub schien das perfekte Verbrechen zu sein. „Ein Boot hinterlässt keine Spur“, bemerkte der diensthöchste Detective, den man schleunigst auf den Fall ansetzte – Inspector Owen Murphy aus Long Beach.

      Doch die Wunschträume der Kriminellen von einem unbeschwerten und sorglosen Leben wurden schon bald durch einen uralten, dummen Fehler zunichte gemacht – der Geldprasserei. Einer der Piraten war der schon oft eingefahrene Knastbruder Frank Dudley, den man erst kürzlich auf Bewährung aus San Quentin entlassen hatte. Während der kurzen Intermezzi in Freiheit verspürte er einen gehörigen Nachholbedarf an Leben in sich und spielte in einer Bar im Stadtzentrum den großen Macker. Nicht nur, dass er die Kellnerin mit einem Fünf-Dollar-Schein bezahlte, von dem sie das Wechselgeld behalten durfte, nein, er spendierte den beiden Damen von zweifelhaftem Ruf, die sich zu ihm gesetzt hatten, auch noch zehn Dollar. Er prahlte: „Wo diese Knete herkommt, gibt es noch mehr!“ Zu seinem Unglück belauschten zwei Undercover-Detectives an einem Ecktisch das Gespräch. Als sie ihn festnahmen, bat Dudley lediglich darum, seine Freundin, einen kessen Rotschopf, sehen zu dürfen. Dann plaudert er los: „Schon mal was von der Monte Carlo gehört?“

      Eilig führte er die beiden Cops zu einer Adresse im Süden der Stadt, wo sich die Gang in einer Werkstatt mit angegliedertem Wohnhaus traf, zwischen zwei Zypressenhecken an der E. 116th Street gelegen, um die Kohle zu teilen. Die Angreifer überraschten Gus Wunderlich und seinen jüngeren Bruder George. Unter dem Tisch lag eine geladene und in Tuch eingewickelte 38er, unter einem Kissen fanden die Beamten eine weitere 38er, und eine 45er lag in der Frisierkommode. Doch es dauerte eine Weile, bis die Cops das Versteck der Beute fanden – ein Geheimzimmer! Sie mussten zwei beinahe unsichtbare Drähte in der Fußleiste des Schlafzimmers verbinden, die einen quietschenden Mechanismus im Wandschrank in Gang setzte. Dadurch bewegte sich der Betonboden zur Seite – Teil eines ausgeklügelten Gegengewichtssystems – und gab die Sicht auf einen Raum frei, mit einer Bar und einigen Fässern – Überresten der glorreichen Tage der Prohibition. Doch mehr war nicht zu finden. Die Suchenden ließen indes nicht locker und entdeckten schließlich einen von Gus ausgehöhlten Bettpfosten voller Juwelen und einen in Platin eingefassten verräterischen Diamantring.

      Nur selten wird wegen Piraterie und Plünderei ein Bundesverfahren anberaumt, doch hier schlug das Gesetz mit seiner ganzen Härte zu. Augustus „Gus“ Wunderlich schwor, dass er zur Tatzeit im Kino gewesen sei, doch konnte den Film nicht beschreiben. Angeblich hätte er ihn verpennt! Er bekam acht Jahre Zuchthaus wegen des Tatbestandes einer kriminellen Verschwörung – und wurde in das Bundesgefängnis überstellt, zusammen mit einem verurteilten Mörder, der zusätzlich der Sklavenhalterschaft von Weißen angeklagt worden war!

      Der Familie blieb zumindest ein kleiner Trost. Die mit dem Piraterie-Fall beschäftigten Bundesbeamten konnten keine Beweise vorlegen, um George Wunderlich zu verurteilen, den „Kleinsten“ des Schmugglerrings. Und Gus erging es noch besser als dem Mann, der ihn in den ganzen Schlamassel hineingezogen hatte: Harry Allen Sherwood wurde ebenfalls eine Gefängnisstrafe aufgebrummt, doch er sollte dann nicht mehr lange leben, nachdem er aus dem Bau wieder entlassen wurde. Er stolperte mit einer Kugel direkt neben der Wirbelsäule in ein Hospital. Man sah das allgemein als eine Art gerechter Strafe für das hochriskante Leben eines Kriminellen an, die nicht von einem irdischen Gericht verhängt wurde – und zugleich als Erinnerung daran, dass die Straßen in der Stadt der Engel so gefährlich waren wie der riesige und unergründliche Ozean vor der Haustür.

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      Man könnte meinen, dass Los Angeles durch den Zweiten Weltkrieg gesäubert und transformiert worden sei. Die Massen heldenhafter Soldaten, die von den Schiffen aus in den Hafen strömten, bereit für einen Neubeginn in der Stadt, hätten eigentlich mit ihrem Tun die Skandale der Vergangenheit ausradieren müssen. Angeblich hatte die Stadt schon vor dem Krieg die Talsohle durchschritten. Der Glaube indes, dass von nun an alles „schneller-größer-besser“ würde, war kein Slogan der Industrie- und Handelskammer und basierte auch nicht auf einem gerechtfertigten Optimismus. Nach dem schrecklichen 14. Januar 1938 konnte einfach nur alles besser werden.

      An diesem Tag stieg der Privatdetektiv Harry Raymond in seinen Wagen, drehte den Zündschlüssel im Schloss herum – und plötzlich ging eine


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