Gangster Squad. Paul Lieberman
es nicht für nötig zu bleiben, um sich zu vergewissern, ob der auf dem Boden liegende Maxie noch atmete. „Nachdem ich ihn ausgeknipst hatte, bin ich da nicht hingegangen und hab ihn gefragt, ob er tot sei.“
Damals war Mickey 31 und schon lange kein Fliegengewicht mehr. Seit den Tagen als Zeitungsjunge hatte er laut Ausweis einige Zentimeter zugelegt, doch das lag wohl eher an den Schuhen mit Absatz. Er wurde allgemein als pummelig beschrieben, und sein Gesicht wirkte aufgedunsen, akzentuiert nur durch die platte Nase aus seiner Zeit als Boxer und den unnatürlich kleinen, runden Mund. Seine Lippen waren ständig gespitzt und erinnerten an den klassischen „Ich habe gerade in eine Zitrone gebissen“-Look, was ihm einen mürrischen und schlechtgelaunten Ausdruck verlieh. Die Leute schimpften Mickey einen „Dunkelhäutigen“, wogegen er nichts machen konnte. Die dunklen, buschigen Augenbrauen wucherten wie Unkraut. Wenn er sich morgens rasiert hatte, verdunkelten die ersten Stoppeln das Gesicht bereits wieder, wenn er angezogen war und zur Tür hinausging. Natürlich brauchte er für die Morgentoilette nicht viel länger als andere auch. Doch es gab einen Unterschied! Mickey stand mindestens eine Stunde unter der brühend heißen Dusche und puderte sich danach. Jeden Tag wusch er seine Hände Dutzende Male. Er lachte über die Bemerkung, dass seine Obsession der einer Lady aus einem Shakespeare-Drama gleiche, die ständig etwas auf ihrer Haut krabbeln sehe und flehe: „Weg, verfluchtes Ding! Weg, sage ich dir!“ Angeblich sollte die Halluzination durch die Verdrängung der Schuldgefühle anlässlich eines Meuchelmordes entstanden sein. Scheißdreck. Mickey litt lediglich unter einem dieser weitverbreiteten Ticks und fürchtete, dass ihn Bakterien unter die Erde brächten und nicht eine Kugel …
Nach der Schießerei tauchte er schließlich mit seinem Anwalt auf der Hauptwache der Polizei auf und gab zu Protokoll, wie ihn der fette Buchhalter mit einer 45er angegriffen habe – genau die Waffe, die neben dem Toten gefunden wurde. Die Detectives vermuteten, dass die Knarre dort platziert worden war, doch es gab keine Zeugen, die Mickeys Version von Notwehr widersprachen.
„Entweder er oder ich“, verteidigte sich Mickey. „Da hab ich’s ihm gegeben.“
Thad Brown, der Captain der Mordkommission, versuchte die Öffentlichkeit zu beruhigen und versicherte, dass die Schießerei im Farbengeschäft nicht im Zusammenhang mit der Buchmacherei stand. Es sei nur ein persönlicher Streit zwischen Dreckspack gewesen, den man besser schnell vergesse.
Zumindest wurde Maxie Shaman hinter verschlossenen Türen erschossen. Paulie Gibbons erwischte es indes am 2. Mai 1946 auf einer belebten Straße. Er kehrte um 2.40 Uhr vom Kartenspiel nach Hause zurück und führte nur 1,92 Dollar bei sich. Es war kein guter Abend gewesen. Bei seiner Leiche fand man die Golduhr und seinen goldenen Ring mit Diamanten und Saphiren, was darauf hinwies, dass es sich nicht um einen Raubüberfall handelte. Der Killer hatte in einem Oldsmobile in einer Gasse auf Paulies Rückkehr in sein Apartment ganz in der Nähe des Wilshire Boulevard in Beverly Hills gewartet. Die Nachbarn hörten die panischen Schreie: „Nicht! Nicht!“, gefolgt von Schüssen, und starrten aus dem Fenster. Paulie schrie: „Bitte, töte mich nicht!“, und dann trafen ihn zwei Kugeln in den Kopf. Der Mörder sprang in seinen Olds und raste weg.
Der 45-jährige Gibbons hatte ein Strafregister, das bis ins Jahr 1919 zurückreichte und 30 Verhaftungen aufwies. Er war dafür bekannt, seine Schulden nur zögerlich zu begleichen und trieb sich in Spielhallen herum, während er darauf wartete, die glücklichen Gewinner auszurauben. Im Jargon der Zunft beschrieb man ihn als „Schwätzer, der einen auf dicke Backe machte, aber schnell den Schwanz einzog“. Ein Polizeibericht stellte ihn nüchterner dar: „Ein bekannter Spieler, Buchmacher, Zuhälter, und ein Muskelpaket.“ Man spekulierte, dass er wegen „Spielschulden oder riskanten Geschäften mit der Unterwelt“ getötet worden war. Mit anderen Worten – die Cops hatten nicht den blassesten Schimmer, und so machten sie sich zu Vernehmungen verschiedener Personen auf: einem Spirituosenhändler, bei dem Gibbons in der Kreide stand, einem Veranstalter von Hunderennen, dem Besitzer eines Cafés auf der Central Avenue, einem Wrestling-Veranstalter aus Long Beach, einem Garderoben-Konzessionär für Nachtclubs und zu Mickey Cohen, Geschäftsführer des La Brea Social Club. Mickey sagte, er habe noch nie etwas von dem Mann gehört, was reichlich merkwürdig anmutete, denn Paulie war während einer Razzia im La Brea aufgegriffen worden und trug zum Todeszeitpunkt einen Mitgliedsausweis bei sich. Zuletzt verhörte man zwei Spieler-Typen aus Chicago – Georgie Levinson und Benny „The Meatball“ Gamson, die mit Paulie angeblich einen Schwarzmarktdeal in Sachen Nylons eingefädelt hatten. Doch es sollte nicht lange dauern, bis sich auch diese beiden schrägen Vögel die Radieschen von unter ansehen konnten.
Der rundgesichtige Meatball, Buchhalter und Kartenbetrüger, war schon einige Wochen vor dem Mord an Paulie angeschossen worden. Sein Wagen wurde fünfmal getroffen, obwohl er verneinte, dass die Löcher in der hinteren Scheibe von Kugeln herrührten. Er lehnte gleichzeitig Polizeischutz ab – wahrscheinlich hätten ihm doch nur Vandalen die Löcher da reingebohrt! Aber Gamson mag geahnt haben, dass man ihn als Ziel auserkoren hatte, denn er lebte nicht bei seiner Familie, sondern in einem Apartment, zusammen mit Levinson, der erst kürzlich in der Stadt aufgeschlagen war und in den Polizeikladden als „Pistolero für das organisierte Verbrechen“ geführt wurde. Die Behörden vermuteten, dass sich die beiden einige Feinde gemacht hatten, als sie freie Buchmacher in L.A. dazu drängten, nur mit ihnen zu arbeiten. Meatballs Frau und die dreijährige Tochter hielten sich am anderen Ende der Stadt auf. Levinson brachte seine Frau und die beiden Kinder im selben Gebäude unter, in dem Paulie Gibbons gewohnt hatte. Die beiden Ganoven verkrochen sich in einem Apartment-Block am Beverly Boulevard, der von einer Polizeieinheit überwacht wurde, deren Mitglieder in einem Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite, als Telefonisten getarnt, Stellung bezogen hatten. Neben einem Funkgerät gehörten eine Flasche Whiskey und hohe Gläser zu ihrer Ausrüstung. Diesmal hörten die Nachbarn weder Schreie noch ein Handgemenge, was darauf hinwies, dass Meatball und Georgie um 1.30 Uhr am 3. Oktober die Tür einem Bekannten bereitwillig öffneten. Der Killer muss hereingestürmt sein, denn Georgie war auf der Stelle tot, getroffen von drei Kugeln in Schulter, Rücken und Kopf. Er hatte keine Zeit mehr gehabt, die Mauser-Automatik unter den Laken des Ausziehbetts zu greifen, den 38er Colt unter dem Kissen oder die beiden abgesägten Schrotpusten im braunen Koffer. Meatball wurde fünfmal in den Bauch getroffen, doch er konnte noch wegstolpern. Im Flur verpasste der Schütze ihm zwei weitere Kugeln. Mit auf den Magen gepressten Händen gelang es ihm, die Vordertür zu erreichen und sich eine grasbewachsene Böschung hinunter zu quälen. Genau in dem Moment fuhr eine Polizeistreife mit einem Volltrunkenen vorbei, den sie auf der Wache abladen wollten. Die Patrouille eilte ihm zur Hilfe, doch Meatball verstarb noch vor Ort.
Erst einige Jahre später hatten die Behörden genügend Informationen gesammelt, um Licht in das Dunkel zu bringen. Ein Kriminalbericht des Staates Kalifornien zeigte den roten Faden bei der Mordserie an Paulie, Georgie und Meatball auf: „Durch die Morde verschwanden drei potenzielle Hindernisse auf Cohens Weg zu einem Glücksspielimperium.“ Doch zum Tatzeitpunkt konnten die Cops keine Anhaltspunkte dafür erkennen. Lediglich die Zeitungen fantasierten: „Ausbruch eines Kriegs in der Unterwelt“, „Die Unterwelt wird gegrillt“ und: „Gangster im Glücksspielkrieg“.
Bürgermeister Bowron kommentierte: „Wir müssen uns selbst der Gangster entledigen!“
Zuerst dachte der Bürgermeister daran, Cops aus New York zu verpflichten, die mit solchen Straftaten bereits Erfahrungen gesammelt hatten. Jemand machte den Vorschlag, wieder den alten „Lefty“ James ins Spiel zu bringen und die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. Der Polizeichef brachte einen anderen Vorschlag auf den Tisch. Clemence B. Horrall war eine Ausnahme unter den Polizeikräften. Er verfügte über einen College-Abschluss und gleichzeitig den Ruf eines Draufgängers aus dem Wilden Westen. Nachdem er Viehhaltung und Viehzucht an der Washington State University studiert hatte, zog er nach Montana, um im offiziellen Auftrag die dortige Rinderzucht zu kontrollieren. Er durchritt die Prärie, um zu prüfen, ob die Rancher die exakte Anzahl verendeter Tieren gemeldet oder geschummelt hatten, um sich Zuschüsse vom Staat zu sichern. Die rauen Gesellen zu überwachen, kam fast einem Polizeijob gleich, und so beschrieb C.B. Horrall denn auch später seine Tätigkeit auf dem Land, nachdem ihn die Folgen eines Frostbrands an den Zehen ins warme Los Angeles verschlagen hatten, wo er 1923 zum LAPD stieß. Doch auch als Stadt-Cop blieb er seinen Wurzeln treu und kaufte sich