Gangster Squad. Paul Lieberman
seiner Seite zu haben als den Rivalen die Ladungen abzuluchsen oder ihnen das Gehirn aus dem Schädel zu blasen.
Was die Polizei von L.A. anbelangte – die war damals eigentlich in der Regel nur für Witze gut.
Als Freddie in der Stadt ankam, bekleidete der gutaussehende Louis D. Oaks das Amt des Polizeipräsidenten. Eines Abends wurde er im Dienstwagen mit einer halbleeren Flasche und einer nur spärlich bekleideten Dame aufgegriffen, die peinlicherweise nicht seine Frau war. Seine Gattin beklagte sich laut den Scheidungspapieren darüber, dass ihr Angetrauter nicht die Finger von Hochprozentigem und Kabaretttänzerinnen lassen konnte. Zwei Jahre später übernahm der Texaner James „Two Gun“ Davis den Posten, ein stolzer ehemaliger Baumwollpflücker, der es verstand, mit der Pistole fast so gut umzugehen wie Lieutenant Carr. Trotz der etwas merkwürdigen Angewohnheit, auf tägliche Massagen und Maniküren zu bestehen, gründet er bald eine Scharfschützeneinheit, geleitet von eben jenem Lefty James, der 1913 als Neuling verwundet worden war und seitdem als Held gefeiert wurde. Als waschechter Texaner nahm er den Mund natürlich ziemlich voll: „Die zwielichtigen Elemente, die Waffen mit sich rumschleppen und Rum schmuggeln, werden bald schon merken, dass Mord und der Besitz von Schusswaffen sich nachteilig auf die eigene Sicherheit auswirkt. Ich will, dass man mir die Typen tot – und nicht lebendig – vor die Füße legt, und werde jeden Beamten rügen, der auch nur die geringste Gnade gegenüber einem Kriminellen walten lässt.“
Das waren harte Worte, aber nachdem die Große Depression zusätzlich zur Prohibition das allgemeine Klima verschärft hatte, kümmerten sich die Behörden weniger um die Alkoholschmuggler, denn sie mussten sich einem neuen Problem stellen – dem permanenten Zustrom von Landstreichern in die Stadt. Neue Sondereinheiten wiesen die Invasoren dutzendweise ab und stellten sie vor die Wahl – Knast oder der erstbeste Güterzug in die entgegengesetzte Richtung – nach Yuma, Arizona oder weiter entfernte Staaten. Schließlich musste das LAPD so weit gehen, fast die gesamte Belegschaft an den Staatsgrenzen aufzustellen, um die hobo hordes dort aufzuhalten. Im Volksmund wurde das Unterfangen als „Errichten der Pennerbarrikade“ bezeichnet. Die Kommunisten und andere Radikale beschäftigten zusätzlich die Polizeikräfte, und schon bald kämpfte die Red Squad gemeinsam mit der Gun Squad um die größte Aufmerksamkeit bei den Vorgesetzten. Die Kämpfer gegen die „rote Gefahr“ gingen sogar so weit, den angesehenen Enthüllungsjournalisten Upton Sinclair bei einer Versammlung von angeblich subversiven Kräften festzunehmen.
Während dieser ganzen Zeit gelang es dem LAPD nicht, die Gewalttaten im Zusammenhang mit Alkoholschmuggel zu stoppen, die sich letztendlich gegen den wichtigsten Drahtzieher selbst richteten: Joe Ardizzone, der ehemalige Killer der Black-Hand-Gang, überlebte eine wilde Schießerei und verschwand spurlos, nachdem er sein Weingut um 6.30 Uhr morgens verlassen hatte, um einen Cousin abzuholen, der gerade aus Italien eingetroffen war. Seine Frau musste mehrere Jahre warten, bis er endlich offiziell für tot erklärt wurde, doch J.I. Dragna, sein Stellvertreter beim Bankett von 1929, schaffte es, jedwede Wartezeit zu vermeiden, die letzte Stufe der Hackordnung problemlos zu nehmen und alsbald Joes Platz zu besetzen.
Fred Whalen überstand diese Zeit verhältnismäßig unbeschadet. Ein Schnellboot fiel den Klippen zum Opfer, und sein geliebter (mit Mahagoni vertäfelter) Cruiser landete auf dem Meeresgrund – wegen eines simplen Lecks. Das Schlimmste an dem Unglück war der Sonnenbrand, den er und Gus sich am Strand der kleinen Insel San Clemente einfingen, während sie warten mussten, bis ein wie die Hölle stinkender Walfänger sie auflas. Die Cops fanden nie heraus, wie das Team den Whiskey auf dem Landweg transportierte. Sie benutzten dafür Trucks, die denen der Mayfair-Markets-Supermarktkette zum Verwechseln ähnelten, und imitierten sogar die Seitendekoration – handgemalte Bilder von Gemüse und Früchten. Für den Direktverkauf übernahm Fred eine erst kürzlich geschlossene chemische Reinigung im Keller eines Hotels. Ein Fenster ließ sich zu einer Seitengasse hin öffnen. Von dort aus reichte man den Autofahrern die sorgfältig in Papier verpackten illegalen Erfrischungen. Einige naive Nachbarn brachten tatsächlich Kleidung in die Wäscherei, und so musste Freddie eine zusätzliche Kraft einstellen, die den Job an einem anderen Ort übernahm – und schon bald besaßen sie drei chemische Reinigungen, in denen sie dem legalen Geschäft nachgingen und zusätzlich Alkohol vertrieben. Als chemische Reinigungen mit „Drive-In“ Jahre später in Mode kamen, stellten sich die Whalens die berechtigte Frage, ob sie nicht die ersten mit dieser Idee waren!
1930 erschien ein Volkszähler in den Räumen an der South Alvarado Street, in denen Freddie mit Lillian und den beiden Kindern wohnte. Auf die Frage nach seinem Beruf gab er „Inhaber einer chemischen Reinigung“ an. Bobie war damals 13, und bei Jack wurde als Alter acht Jahre eingetragen. Doch nur wenige Wäschereibesitzer waren in der Lage, ihre Familie bei den sonntäglichen Spritztouren in einem Stearns-Knight Touring Car zu befördern, einer Edelkarosse, die den alten Marmon wie einen Blechhaufen erschienen ließ. Diese Limousine gebührte wahrlich einem Geschäftsführer. Auch Gus Wunderlich nutzte die Tarnung der Reinigung, als der Volkszähler bei ihm anklingelte, und ließ sich als „Schneider“ des Unternehmens registrieren. George Wunderlich, sein jüngerer Bruder, hatte einigen „Spaß“ mit dem Mann vom Amt, denn als Beruf gab er „Luftfahrer“ an, was dieser mit Argwohn quittierte. 1928 fanden die National Air Races auf dem Mines-Field in L.A. statt, das später zum Los Angeles International Airport umgebaut wurde, damals aber eher einer großen planierten Fläche inmitten von Weizen-, Gerste- und Bohnenfeldern glich. 200.000 Zuschauer fuhren auf den staubigen Straßen zum Veranstaltungsort, um die spektakulären Flugschauen mit den neuesten Militärflugzeugen zu bestaunen. Darüber hinaus wurden Rennen um Orientierungstürme herum ausgerichtet, die namenhafte Flieger wie Charles Lindbergh anzogen, der ein Jahr zuvor den Atlantik mit seiner Maschine überquert hatte.
Hohe Risiken einzugehen, war damals an der Tagesordnung. John J. Williams, ein Mitglied des Army Air Corps „Three Musketeers“, kam bei einem Probeflug ums Leben. Doch viele junge Menschen packte das Flugfieber, und einige Glückliche konnten sich eine eigene Maschine leisten. Fred Whalen besaß eine zweisitzige Alexander Eaglerock, einen einmotorigen Doppeldecker, die Lieblingsmaschine der sogenannten „Barnstormers“, die in ländlichen Gebieten landeten und den verblüfften Einheimischen zehnminütige Flüge für 50 Cents aufquatschten.
Der Doppeldecker war für den Alkoholschmuggel weder groß noch robust genug, sondern für die Whalens nur ein weiteres Spielzeug zum Angeben. Freddie hatte erst eine Flugstunde genommen – vom Verkäufer – und lud danach Gus zum Jungfernflug ein, bei dem sich die komplette Familie versammelte, um die neue Wundermaschine zu bestaunen. Nur Jack, Freddies jüngster Sohn, riss sich darum, mitfliegen zu dürfen, und erntete von seiner Mutter Lillian einen bösen Blick, als er lauthals „Ich auch!“ rief. Doch Freddie ließ sein Verkäufergrinsen aufblitzen und winkte seinem Sohn einzusteigen. Auf dem winzigen Hintersitz gab es kaum genügend Platz für den Kleinen und Onkel Gus, doch es gelang ihnen, sich dort hineinzuquetschen. Fred hob wie ein Profi ab und flog mit den beiden über den Sepulveda Pass und die Orangenplantagen des San Fernando Valley.
Sie hatten sich die neue Piste in Van Nuys als Bestimmungsort ausgesucht, wo sie nach einigen lockeren Schleifen landen und dann wieder zurückfliegen wollten. Doch Fred war unsicher, da er den Höhenmesser noch nicht beherrschte. Der Doppeldecker kam zu hart auf und wurde von der neuen Landebahn wieder in die Luft katapultiert. Fred setzte zum nächsten Versuch an, verschätzte sich erneut, knallte wieder auf den harten Beton und musste zur nächsten Ehrenrunde ansetzen. Gus überkam Panik. Nach der zweiten missglückten Landung gestikulierte er wie ein Geisteskranker vom Passagiersitz aus, woraufhin ihm Fred das Zeichen gab, nach vorn zu klettern und den verdammten Knüppel doch selbst in die Hand zu nehmen. Sie schrien sich gegenseitig an, doch der ohrenbetäubende Lärm des Motors übertönte jedes Wort. Freddie Wahlen mag wohl daran geglaubt haben, dass seine Schlitzohrigkeit und sein Lächeln ihn vor jeder Gefahr schützten, doch in diesem Augenblick stand er kurz vor einer Bruchlandung, die alle das Leben kosten konnte.
Der dritte Anflug indes gelang. Zwar setzte er immer noch recht unsanft auf, doch die Räder hielten Kontakt mit dem Boden, sie landeten und waren in Sicherheit. Fred merkte plötzlich, dass eine einzige Person an Bord nicht von Panik ergriffen worden war. Sein kleiner Sohn hatte während der halsbrecherischen Aktion seine Ruhe bewahrt, ja sogar Spaß gehabt. Gus meinte später, dass der Junge bei einer der missglückten Landungen laut „Wheeee!“