Gangster Squad. Paul Lieberman

Gangster Squad - Paul  Lieberman


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beschränkten sich jedoch nicht nur auf seinen Körper, sondern führten letztlich zu weitreichenden Veränderungen in der Stadt. Der ehemalige Polizeichef von San Diego hatte dabei geholfen, eine Intrige gegen den eigenwilligen Sozialreformer Clifford Clinton aufzudecken. Clinton besaß zwei Cafeterien, in denen er preisgünstige Mahlzeiten für Bedürftige austeilen ließ. Besonders arme Menschen erhielten das Essen auch oft kostenlos. Unter dem Motto „Bezahlt das, was ihr könnt“ ließ er den Bedürftigen in einem einzigen Sommer während der Weltwirtschaftkrise 10.000 Mahlzeiten zukommen. Der Sohn zweier führender Mitglieder der Heilsarmee war ein Mann, für den guten Taten das oberste Gebot darstellten. Im Anschluss an seine Berufung in eine Grand Jury verschaffte er sich einen Überblick über die kriminelle Schattenwelt L.A.s. Persönlich finanzierte er CIVIC, das Citizens Independent Vice Investigating Committee, mit dem Ziel, gegen die Missstände in der Stadt vorzugehen und sie zu beseitigen. In Los Angeles gab es 1.800 Buchmacher, 600 Bordelle, 200 Spielhallen und 23.000 Glücksspielautomaten – und das alles unter den Augen von Bürgermeister Frank Shaw.

      Shaw hatte den Wahlkampf mit dem Slogan „Werft die Schufte aus der Stadt“ gewonnen, aber es war ein offenes Geheimnis, dass sein eigener Bruder Joe zu den durchtriebensten Schurken der Stadt gehörte. Er bekleidete kein öffentliches Amt, doch benutzte ein Büro im Rathaus, um monatlich Bestechungsgelder in Höhe von bis zu 1.000 Dollar abzukassieren – manchmal von Cops, die befördert werden wollten, doch hauptsächlich Schutzgeld von Königen der Unterwelt. Der wohl am meisten gefürchtete Kriminelle war der in Kansas geborene ehemalige LAPD-Vize-Captain Guy McAfee, der während seiner Dienstzeit angeblich die Gangster bei Gefahr durch einen Telefonanruf warnte und dabei in seine Trillerpfeife blies. Schnell war ihm dann allerdings klargeworden, dass ein Leben als Spielhallenbesitzer einträglicher war als Dienst bei den Cops zu schieben, und so heiratete er zuerst eine Frau aus der feinen Gesellschaft und kurz nach der Scheidung von dieser ein Starlet. Er eröffnete den „The World Famous Clover Club“ auf dem Sunset Strip, wo die Black Jack- und Roulettetische durch einen automatischen Mechanismus innerhalb von Sekunden umgedreht werden konnten – nur für den Fall, dass die alten Kollegen vorbeischauten. Als Cliffords Clintons Gutmenschen-Komitee eine Kampagne gegen die Spielhallen und Freudenhäuser startete, gaben Bürgermeister Shaw und seine Kumpane den Kreuzrittern genau das, was sie wollten – eine offizielle Untersuchung. Doch Clinton hatte sich das anders vorgestellt, denn die städtischen Inspekteure tauchten unter dem Vorwand, die Umsetzung der allgemeinen Hygiene-Vorschriften zu kontrollieren, in seinen eigenen Cafeterien auf! Dann explodierte auch noch eine Bombe in Clintons Haus und zerstörte seine Küche. Die Behörden beschuldigten ihn daraufhin, das Attentat aus Publicity-Gründen selbst inszeniert zu haben. Angeblich soll Clinton geantwortet haben: „Ich werde niemals aufhören.“ Einige Zeit später wollte sein Privatschnüffler Harry Raymond den Wagen starten und – Kabumm!

      Als die Bombe hochging, bereiste James „Two Gun“ Davis, der schon in zweiter Amtszeit Polizeichef von L.A. war, gerade Mexiko. Der Leiter der Sondereinheit rief unverzüglich an, um Davis die Nachricht zu übermitteln. Captain Earl Kynette hatte für seinen Chef auch sogleich eine Theorie parat, wer den Privatdetektiv in die Luft jagen wollte: „Der Mann hat einen Haufen Feinde in der Unterwelt. Der Täter kam möglicherweise aus Las Vegas.“

      Unglücklicherweise deuteten die Beweise aber nicht in die Ferne, sondern ganz in die Nähe – zu seiner eigenen Einheit. Er und sechs weitere Männer hatten sich für 50 Dollar monatlich ein Haus direkt gegenüber von Raymond gemietet, um ihn zu beobachten, zu belauschen und schließlich mundtot zu machen. Als sie vor einer Grand Jury vorstellig werden mussten, die das Attentat untersuchte, beriefen sie sich auf ihr Recht, die Aussage zu verweigern. Nur Kynette konnte mit einem Alibi auftrumpfen, denn er befand sich zur Tatzeit zu Hause und kurierte eine Augenverletzung aus, während seine Frau und Verwandte unten Karten spielten. „Ich machte mir eine Kompresse aus verdünnter Borsäure und legte mich hin.“ Das Zündkabel für Sprengsätze, das man in seiner Garage fand, war dann allerdings schon schwieriger zu erklären. Letztendlich wurde Kynette des versuchten Mordes schuldig gesprochen und musste in San Quentin gesiebte Luft genießen.

      „Es war ein lausiges, verkommenes Revier“, kommentierte das Max Solomon, der die dunklen Seiten L.A.s genau kannte, da er schon damals und auch noch Dekaden später als Verteidiger einigen der härtesten Burschen vor Gericht beistand. „Wissen Sie, in Chicago haben die Gangster die Cops bezahlt, aber den Job selbst gemacht. In Los Angeles hingegen waren die Cops Gangster.“

      Zumindest hatte die Stadt nun den absoluten Tiefpunkt erreicht – dieser Tag musste einmal kommen –, und von nun an konnte es nur noch steil bergauf gehen: Captain Earle Kynette wütete: „Das ist ein Hohn auf die Gerechtigkeit“, doch er saß hinter Gittern. Man drängte Chief „Two Gun“ Davis zum Rücktritt, und sogar Bürgermeister Frank Shaw wurde abberufen, in einer amerikanischen Großstadt ein Novum bis zu diesem Zeitpunkt. Die Bürger L.A.s wählten an seiner Statt Richter Fletcher E. Bowron in das Amt, einen wesentlich überzeugender auftretenden Reformer. Bei ihm stand eine nüchterne Grundhaltung im Vordergrund, nicht ein Leben in Saus und Braus. Der Mann trug einen grauen Anzug, schwarze Schuhe und eine randlose Brille und hegte eine Nostalgie für das staubige Los Angeles seiner Kindheitstage, noch vor dem Automobilboom (er nannte die fahrbaren Untersätze „Tuckerkisten“) und dem ganzen Durcheinander. Das Schurkenpack durfte das Los Angeles seiner Erinnerung nicht ruinieren, und so ging es 200 Revierleitern und Polizeibeamten an den Kragen, darunter auch dem Chef der Red Squad, der ein weiteres dunkles Kapitel in der Geschichte der Cops zu verantworten hatte. Sie wurden gefeuert, degradiert, in Frührente geschickt oder versetzt. Man soll die Vergangenheit ruhen lassen, wie man so schön sagt, und auf die Zukunft hinarbeiten, die sich allerdings zuerst durch die Schatten des Zweiten Weltkriegs verdunkelte.

      Zur Jahrhundertwende stand Los Angeles mit Blick auf die Größe der Stadt auf Platz 36 der USA, doch nachdem die feindseligen Auseinandersetzungen in Europa und dem Fernen Osten ausgebrochen waren, rückte sie auf Platz 5 vor. Innerhalb eines Radius von zehn Meilen um das Zentrum herum entstanden in Windeseile sechs Flugzeugfabriken. In den verschiedenen Häfen des Los Angeles County stampfte man riesige Werften aus dem Boden. Ein Großteil der männlichen Bevölkerung wurde zum Kriegsdienst eingezogen, darunter 983 Mitglieder der städtischen Polizei und der Feuerwehr, denn bereitwilliges Kanonenfutter war Mangelware. Eine Dekade, nachdem das LAPD an vorderster Front die „Pennerbarrikade“ gegen die zuströmenden Massen infolge der Großen Depression errichtet hatte, wurden nun alle in der Stadt Eintreffenden mit offenen Armen willkommen – na ja, halboffenen Armen.

      Im Oktober 1943 zählte der Verwaltungsbezirk von L.A. 569.000 neue Mitbürger. Nur ein Jahr später benötigte allein die Flugzeugindustrie 230.000 Arbeiter, um die gigantischen Werkshallen wie Lockheed in Burbank und Douglas’ in Santa Monica zu betreiben, denn die Produktionszeit beschränkte sich nicht auf einen 8-Stunden-Tag. Frauen machten mehr als 40 Prozent der Arbeitskräfte aus, und ihre Kopftücher besaßen bald einen ähnlich ikonenhaften Status wie die Stahlhelme der GIs in fernen Ländern. Bei einem Mindestlohn von 60 Cents in der Stunde konnten es sich die Mütter an den Fließbändern leisten, ihre Kinder in einen der 244 Kindergärten oder in eine Kindertagesstätte zu bringen, die vom National Aircraft War Production Council errichten worden waren. Alleinstehende Frauen gingen oft nach der Schicht als „Nietenschläger“ zur nächsten Schicht als Tanzhostessen in eine der USO Hollywood Canteens, die Filmstars wie John Garfield und Bette Davis initiiert hatten, um die Moral der Soldaten kurz vor der Abreise zu heben. Die Schauspielertruppe hielt auch die Flagge hoch, indem verschiedene Darsteller Kriegsanleihen auf der Straße verkauften und somit das positive Bild untermauerten, das L.A. der Welt vermitteln wollte.

      Der unvermeidbare Immobilienboom spiegelte den Grund-und-Boden-Wahnsinn der Zwanziger wider, als die Menschen aus dem Mittleren Westen in die Stadt kamen, und zeugte schon auf den ersten Blick vom enormen Bevölkerungszuwachs L.A.s. Zu Kriegsende mussten dann die verbleibenden Obstplantagen und Farmen in den Tälern um San Gabriel und San Fernando geopfert werden, um Platz für die Zwei- oder Dreizimmerhäuser zu schaffen, die Neuankömmlinge für nur 150 Dollar erwerben konnten.

      Doch es gab einige negative Aspekte, denn Los Angeles platzte aus allen Nähten. Die eine Million neuen Bürger hatten keine Ahnung von der schmutzigen Vergangenheit der Stadt. Heimkehrende Kriegsveteranen und ihre Frauen wollten so schnell wie möglich eine


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