Gangster Squad. Paul Lieberman
[blutige Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Jugendlichen mit mexikanischem Hintergrund, A.T]. Die Neuankömmlinge der letzten Migrationswelle waren nicht nur bleichgesichtige Farmer (oder Billardspieler) aus Illinois oder Missouri. Auch Zehntausende Schwarze aus Alabama und Georgia gelangten in die Stadt und konnten sich – ebenso wie Mexikaner und andere Latinos, von denen es einige vorzogen, offen zu ihren Wurzeln zu stehen – nicht so unauffällig in den städtischen Alltag integrieren wie Weiße. Männliche Teenager mit mexikanischem Migrationshintergrund begannen bald schon auffällige kurze Jacken mit ausgepolsterten Schultern und Faltenhosen zu tragen, die weit über der Gürtellinie endeten. Der aufsehenerregende Stil wurde durch das Spiel mit Schlüsselanhängern, Hüte mit einer breiten Krempe und durch gegelte Entenschwanzfrisuren abgerundet. Es ist nicht belegt, wann die Schlägereien mit jungen Seeleuten auf Landgang begannen oder wer wen verprügelte, doch die Situation geriet an dem Tag außer Kontrolle, als sich eine wahre Armada von Matrosen in 29 Taxis quetschte, um die Zoot Suiters grün und blau zu schlagen. Als die Polizei mitten im Kampfgetümmel auftauchte, schlug sie sich natürlich auf die Seite der Uniformierten und schützte nicht die Jungs von der Straße.
Bürgermeister Bowron richtete sich über das Radio an die Bürger und meinte, ihm sei nur ein einziger Kritikpunkt aufgestoßen, nämlich der, dass die Polizei nicht hart genug vorgegangen wäre. Angeblich hätte sie die Zoot Suiters „ausrasten und die Marine-Angehörigen schonungslos angreifen lassen“. Egal, was er unternahm – die Stadt stand im Rampenlicht der landesweiten Aufmerksamkeit. „Ich kann nicht vorhersagen, was in der nächsten Woche oder im nächsten Monat passieren wird, doch im Hollywood-Bezirk von Los Angeles kommt es ständig zu pikanten Skandalen oder Scheidungen von Filmstars, die es in die Schlagzeilen jeder Zeitung von Maine bis Florida schaffen.“ Wie jeder andere Politiker bettelte er förmlich um positive Nachrichten und wies unter anderem darauf hin, dass ein Zehntel der amerikanischen Kriegsmaschinerie allein aus L.A. stamme. Doch das wohl eigentümlichste Statement folgte noch: Die Stadt hatte angeblich den Polizeiapparat in den Kriegsjahren transformiert und optimiert.
„Es wird höchste Zeit, dass Los Angeles der Ruf zukommt, der unserer Stadt gebührt, nämlich den einer modernen, fortschrittlichen Metropole“, erklärte Bowron gegenüber dem Radiopublikum. „Die ganze Nation sollte Folgendes über unsere Polizeibehörde wissen: Sie hat das Gesetz gewahrt und vertreten. Es gibt hier kein weitverbreitetes Glücksspiel und keine Bestechung. Los Angeles ist die sauberste Stadt der ganzen Welt.“
Doch schon bald musste die sauberste Stadt der Welt die von Kugeln durchsiebten Körper von Maxie, Paulie, Georgie und The Meatball erklären.
Im „Farbengeschäft“ am 8109 Beverly Boulevard konnte man keine Farben kaufen. Auch war der über 110 kg schwere Maxie Shaman kein „Lebensmittel-Broker“, wie er behauptete oder seine Familie ihn nach dem schicksalsträchtigen 15. Mai 1945 beschrieb. An diesem Tag war er in besagtes Etablissement gestürmt und von dessen Inhaber Mickey Cohen erschossen worden. Shaman und seine beiden Brüder waren bekannte Buchmacher. Natürlich nahm man auch bei Mickey Pferdewetten an, egal, was auf dem Geschäftsschild stand. Der Laden war in einem erbärmlich wirkenden Gebäude untergebracht und nur über einen schlammigen, mit Unkraut überwachsenen Weg zu erreichen – sicherlich nicht die beste Werbung für Produkte zur Verschönerung von Hausfassaden. Kon-Kre-Kota, „die Wunderfarbe“, pries die Beschriftung eine bestimmte Marke auf der Werbetafel an. An den Seiten des Gebäudes wurde damit geworben, dass man sie insbesondere für verputzte Flächen einsetzte, da das Zeug weder abblättern, abplatzen, undicht werden oder brennen konnte. „Hält jahrelang“, versprach ein Slogan für Kon-Kre-Kota, das angeblich „nagetiersicher“ sein und somit selbst Ratten abhalten sollte. Im Vorzimmer, in das man durch einen engen, abgeschirmten Eingang kam, standen sogar einige Farbproben – oder was auch immer das war – auf Staffellagen. Doch dahinter lag ein Büro mit drei Telefonen und einem Schalter, durch den man die Zahlungen abwickelte. Auf Notizzetteln waren die Namen von Pferden vermerkt, die auf verschiedenen Rennbahnen zurückgezogen worden waren, und sodann die Chancen für die noch teilnehmenden Gäule. In einer Tischschublade lag ein 38er. An jenem Nachmittag saß Mickey genau dort, sich durchaus bewusst, wer ihm einen Besuch abstatten würde.
Der ganze Ärger begann jedoch in einem anderen Laden von Mickey, einem Café an der North La Brea. Auch hier gab es zwei Bereiche. Unten wurde Essen gereicht, wie in jedem normalen Restaurant, und oben konnten sich die Glücksritter an Würfelspielen mit hohem Einsätzen erfreuen und Wetten auf Sportveranstaltungen abgeben. Oft ließen sich dort verschiedene Buchmacher blicken, um Zahlungen zu begleichen oder anzunehmen und mit ihren Kumpeln heiße Informationen durchzugehen. Einmal bestellte Mickey sogar 5.000 Chips für eine Marathon-Pokerrunde! An diesen Abenden lernten die Neulinge, was passieren kann, wenn man leicht angeheitert mit einem mickrigen Blatt spielt. Alte Kunden wurden am Telefon überschwänglich begrüßt: „Bei uns kannst du würfeln, Roulette spielen – einfach alles.“
Der Glücksspielbereich war mit Fotos von Mickeys Boxidolen geschmückt worden – den kleinen, harten Typen, die Großes im Ring vollbrachten. Dort hingen Boxer wie Bud Taylor, ein als „Terror of Terre Haute“ bekannter Champion im Bantamgewicht, der zwei Männer mit seinen Fäusten umgebracht hatte, und Jackie Fields, ein Jude aus Chicago, geboren unter dem Namen Jacob Finkelstein, der zweimal die Weltergewicht-Krone an sich riss. Mickey war stolz darauf, als 1,65 Meter großes Fliegengewicht einen Titel ergattert zu haben, als er noch im russischen Viertel von Boyle Heights gelebt hatte und bei Veranstaltungen für Zeitungsjungen der American Legion kämpfte. Das war nur wenige Jahre, nachdem er in Art Weiners Billardhalle die Kugeln auf den Tischen platziert hatte. Schon bald zog es ihn dann aber nach Osten, um selbst eine Profilaufbahn einzuschlagen. Zuerst machte er Station in Cleveland, wo ein Bruder von ihm wohnte, und danach lebte er einige Zeit in New York und Chicago, begann sich aber dort mit anderen „Unternehmungen“ zu beschäftigen. In seiner Phase als ungestümer junger Boxer betratet er den Ring wie ein Gladiator, trug kein Trikot, sondern hatte ein Handtuch lässig über die Schultern geworfen. Auf den Shorts erkannte man den Davidstern. Obwohl er eine gute Show bot, die einem zukünftigen Champion zur Ehre gereichte, gab es für ihn keine Perspektive im Ring. Laut offiziellen Ergebnissen verlor er neun der zehn letzten Kämpfe. Sei’s drum. Nun stolzierte er durch die angesagten Nachtclubs der Stadt, als hätte er damals die Weltmeisterschaft gewonnen.
An der Auseinandersetzung am vorhergehenden Abend im La Brea Social Club war Max Shamans Bruder Joe beteiligt, der sich in ungehöriger Weise über die Boxer auf den Bildern an den Wänden geäußert hatte. Laut eigener Aussage verließ er dann freiwillig den Ort des Geschehens, aber Mickey und einige andere erwarteten ihn schon in einem Wagen und wollten ihn damit plattmachen. „Die haben mir auf dem Parkplatz aufgelauert und ’ne harte Abreibung verpasst.“ Doch Berichte über die Geschehnisse, die letztlich zu der Schießerei führten, sind wie Familiensagen, denn die Details verändern sich bei jeder weiteren Erzählung. Mickey sagte zuerst aus, dass Joe die anderen Gäste belästigt habe und rumpöbelte, bis „er mir einen Stuhl über den Kopf zog“, ohne daran zu denken, dass er als Top-Boxer niemals so einen Schlag abbekommen hätte – er hätte sich instinktiv geschützt! Bei Mickeys zweiter Version verwies seine rechte Hand Hooky Rothman Joe freundlich in die Schranken: „Pass mal auf, entweder benimmst du dich hier anständig oder du verschwindest, zum Teufel noch mal.“ Doch Joe ließ das angeblich kalt. „Und so zerschmetterte Hooky einen Stuhl auf seinem Kopf, warf ihn unter vollem Körpereinsatz aus dem Laden und verpasste ihm dabei einige gehörige Ohrfeigen. Ja, er zeigte es ihm, er verpasste ihm eine gehörige Abreibung.“ Die letzte Fassung klang plausibler, denn es war Joe, dem man die Kopfhaut mit sechs Stichen nähen musste.
Am nächsten Morgen machten sich die beiden Shaman-Brüder, Izzy und der dicke Maxie, auf, um sich zu rächen. Sie hielten zweimal beim La Brea an und fuhren daraufhin zur Rennbahn in Santa Anita, um sich nach Mickey zu erkundigen. Mittlerweile wusste jeder, dass und warum sich die beiden auf dem Kriegspfad befanden.
Schließlich erreichten sie das Farbengeschäft an der Beverly, wo Izzy im laufenden Auto wartete, während der 28-jährige Maxie in den Laden stürmte. Izzy hörte den ersten Schuss, eilte zur Tür und wurde gewarnt, nicht reinzukommen. „Dann hörte ich zwei, drei oder vier weitere Schüsse. Ich rannte zum Wagen, schnappte die Knarre und rannte zum Büro, wo ich nur noch die Leiche meines Bruders fand.“
Mickey