Gangster Squad. Paul Lieberman

Gangster Squad - Paul  Lieberman


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lassen und die beschämende Schlagzeilen eines Lokalblattes, das ihn als „selbsternannten Top-Billard-Spieler“ bezeichnete.

      Das war sicherlich kein angenehmer Beginn des Lebens in L.A., doch zumindest stempelte sie niemand als Außenseiter ab. In einer Stadt voller Flüchtlinge und Glücksritter reichte es aus, als Ehepaar zwei Kinder zu haben und ein Geschäft zu führen, um als waschechte „Angelenos“ zu gelten. Das ganze Desaster hatte aber letztlich auch einen positiven Effekt, denn die ganzen Idioten zweifelten nach der Berichterstattung an Freds Fähigkeiten, eine heiße Kugel auf dem Billardtisch zu schieben.

      Als Profi bevorzugte er Straight Pool, ein Spiel, bei dem man 125 Kugeln versenken musste, denn hier trennte sich die Spreu vom Weizen. Doch das große Geld lag damals eher auf den schmierigen Tischen der Bars und Spielhallen, da dort die Landeier schnellere Spiele bevorzugten, wie zum Beispiel 8-Ball. Ein Spieler wie Fred konnte oft alle Vollen oder Halben in einem Durchgang einlochen, allerdings verdiente er dabei nie einen Dollar, denn sogar die versoffensten und dümmsten Erbsengehirne schnappten sich alsbald ihren Einsatz und verschwanden, wenn sie merkten, mit was für einem Kaliber sie es hier zu tun hatten. Später ließ er sich eine andere Strategie einfallen. Er patzte bei der Eröffnung, stellte aber sicher, dass all seine Kugeln in der Nähe der Weißen und den Taschen lagen, wodurch der Gegenspieler keine gelungene Eröffnung machen konnte. Dann war wieder Freddie an der Reihe, der seine Kugeln in einem Gang in die Taschen beförderte. Die anderen dachten, er hätte einfach nur Glück gehabt. Meist begannen sie um 25 Cent zu spielen, doch ein verärgerter Verlierer setzte schnell so einige Dollars, um den Verlust wieder einzufahren.

      Mit dieser Strategie gelangte er sodann in die angeseheneren Spielhallen, die die Nutznießer der beiden boomenden Industriezweige der Gegend als Gäste bevorzugten: Die Ölmagnaten hatten genügend Bares in den Taschen, da aus dem neu entdeckten Signal-Hill-Feld bei Long Beach zwischenzeitlich täglich fast 4.000 Gallonen sprudelten – für die damalige Zeit eine riesige Menge. Ja, und die Leute aus Hollywood beeilten sich, die 100 Millionen Dollar zu verprassen, die die boomende Filmindustrie jährlich abwarf.

      Doch Fred ignorierte auch nicht die unteren Schichten in der Nachbarschaft, für die Billard zum Leben dazu gehörte und für die das Spiel ein Beweis ihrer Männlichkeit darstellte. Boyle Heights zählte zu diesen Stadtteilen, ein Slum an der East Side des Los Angeles River. Wegen der Nähe zu den Fabrikkolossen und der Eisenbahn wollte dort niemand freiwillig leben. In diese Gegend verfrachtete man die Bevölkerungsschichten, die in L.A. unerwünscht waren oder von den Grundstückseigentümern gemieden wurden – Mexikaner, Italiener und oft arme russische Juden, die zuerst ihr Glück in New York versucht hatten und nun schon wieder zu den Unerwünschten gehörten. Boyle Heights war eines der klassischen Slums, in denen das Recht des Stärkeren galt, was sich jede Nacht in Art Weiners Spielhalle aufs Neue bestätigte. Der Laden zog Typen wie Matzie und Dago Frank an, die mit dem richtigen Paar Würfel jede Augenzahl spielen konnten und sich zu den allerbesten Billard-Spielern zählten. Die harten Kids aus der Nachbarschaft buhlten um ihre Gunst, darunter der kleinwüchsige Zeitungsverkäufer Meyer Harris Cohen, dessen Mutter Fanny, eine Einwanderin aus Kiew, sich nach dem Tod ihres Mannes Max mit sechs Kindern Richtung Westen aufgemacht hatte. Die Kids halfen in dem kleinen Lebensmittelgeschäft, das sie eröffnet hatte, stapelten die Dosen und machten sich nützlich. Ihr Jüngster spielte aber lieber auf der Straße oder in einer Billardhalle, wo er die Kugeln aufsammelte oder den Punktestand für die lokalen Schwergewichte Matzie und Dago Frank notierte. Leider lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der junge Mickey Cohen jemals Fred Whalen im Spiel gegen seine Idole beobachtete oder ob sich ihre Blicke über die mit grünem Filz ausgeschlagenen Tische in Art Weiners Billardhalle hinweg begegneten. Doch eins ist sicher – Jahrzehnte später sollten die beiden sich in einem Verhandlungssaal des Gerichts in Los Angeles begegnen.

      Manchmal wollte Fred seine Fähigkeiten zur Schau stellen – er war es leid, sich immer zurückzuhalten. Er wünschte sich aus L.A. auszubrechen, in die kleineren Gemeinden zu gehen, die ihn an die Nester erinnerten, in denen sie ihre Opfer auf der Reise durch die USA ausgenommen hatten. Lillian nähte ihm ein stechend blaues Satin-Kostüm und eine Kopfbedeckung, die an die russischen Kosaken erinnerte. Dazu noch eine Maske, und schon verteilten sie Flyer mit der Ankündigung einer Show des „Maskierten Wunders“. Fred führte bei den Shows die Tricks aus seiner Jugend vor und schoss wieder Billardkugeln von Coke-Flaschen. Doch er hatte auch neue Attraktionen drauf, wobei zwei Paar Billardstöcke ihm als Rampe dienten. Fred spielte die Kugel an, die auf der Rampe erst in die Höhe rollte, danach hinuntersauste und dann drei oder sogar vier Kugeln ins Ziel beförderte. Oft versteckte er Kugeln unter einem Taschentuch und versenkte sie mit einem Stoß, wobei das Taschentuch auf seinem Platz liegen blieb, oder er ließ sie auf geheimnisvolle Art verschwinden. Diese Shows prägte eine berauschende Ehrlichkeit, nicht nur, weil er seine Fertigkeiten kompromisslos vorführen konnte. Zum ersten Mal zeigte er sein wahres Ich: „Ich werde euch hinters Licht führen. Und auch wenn ihr das wisst, gelingt es mir trotzdem.“ Als Nächstes ließ er die rote Kugel direkt vor den Augen der Zuschauer verschwinden. Natürlich verzichtete er auch nicht auf Einlagen wie das Theater mit dem Chauffeur. Er liebte diesen Schwindel regelrecht. Doch Gus setzte nicht mehr die Mütze auf und spielte seine Rolle in dem Dorris, der St. Louis-Version des Wagens eines Reichen – nein, Fred Whalen konnte sich schon bald einen echten Chauffeur leisten und einen nagelneuen Stears-Knight Touring Car. Denn Fred fand einen anderen Weg, um an viel Geld zu gelangen, und dieser hatte nichts mehr mit Billard zu tun.

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      Bei den Cops, die Al Capone einst zum Bahnhof geleitet hatten, schrillten keine Alarmglocken, als eine sehr große Gruppe von Bürgern – sogar für L.A.-Verhältnisse – zehn Tage vor Weihnachten 1929 ein Festessen abhielt, um den italienisch-amerikanischen Wohlfahrtsverband zu feiern. Ohne Zweifel steckte politisches Kalkül dahinter, um den ethnischen Minderheiten zu schmeicheln. Unter den Gästen im Flower Auditorium befanden sich der Bürgermeister, der Bezirksstaatsanwalt und der County-Sheriff. Sie schwärmten von der italienischen Oper und vom Mut der Italo-Amerikaner im Ersten Weltkrieg, unbeeindruckt vom Programm, in dem „J. Ardizzone“ als Vorsitzender und „J.I. Dragna“ als Stellvertreter genannt wurden.

      J. Ardizzone war natürlich Joe Ardizzone, der stahlharte Mann der Black-Hand-Gang während der Kriege um die Obstwagen, als man noch vom Fahrrad aus seine Widersacher umpustete. Nach dem Mord an einem Rivalen im Jahr 1906 war er nach Louisville, Kentucky, geflohen und in die Rolle des Armeeangehörigen Captain J.D. Fredericks geschlüpft. Einige Jahre später kehrte er unbemerkt nach Kalifornien zurück, kaufte sich eine Ranch in den Hügeln über dem San Fernando Valley und verwandelte das Land in ein Weinanbaugebiet. Die Behörden beharrten darauf, erst 1914 die Anwesenheit von Ardizzone bemerkt zu haben. Unverzüglich umstellten sie das Anwesen und ließen den Mann von zwei bewaffneten Cops abführen. Doch der Versuch, ihn für den alten Mordfall festzunageln, stellte sich als fruchtlos heraus. Laut einem Polizeibericht musste „der Fall zu den Akten gelegt werden, da die Beweislage unzureichend war und es keine Zeugen gab, die sich zu einer Aussage bereiterklärten“. Wenige Jahre später wurde ein weiterer italienischer Obsthändler erschossen, doch diesmal auf eine modernere Art, denn der Schütze fuhr einen Buick und musste nicht auf einem Drahtesel flüchten. Ardizzone rief nach dem Attentat im Krankenhaus an, um zu erfahren, wohin man den Leichnam gebracht hatte. Als man ihn fragte, wer denn für den Mord verantwortlich sein könnte, brach er in schallendes Gelächter aus. Zu Beginn der Prohibition im Jahr 1920 hatte er sich perfekt positioniert und ein optimales Netzwerk aufgebaut. Jeder, der den durstigen Massen harten Alkohol besorgen konnte und bereit war, eine Knarre einzusetzen, um seinen Marktanteil zu sichern und auszubauen, stand ein riesiger Profit ins Haus.

      Der volle Namen von J.I. Dragna, Ardizzones Stellvertreter beim Bankett, lautete Jack Ignatius Dragna. Er stammte aus Corleone. Das kleine sizilianische Städtchen erlangte dank des Namens der Familie Corleone im Film Der Pate Weltruhm. Als Dragna wegen Schutzgelderpressung zum ersten Mal in den Kladden der Polizei von Los Angeles auftauchte, zeigte das Foto einen jungen, unverbrauchten Mann, der gerade amerikanischen Boden betreten hatte. Ein gestärkter Hemdkragen schloss sich um den Hals, und der nach hinten geschobene Hut ließ sein rundes Mondgesicht erkennen. Mittlerweile wirkte er wie ein Geschäftsmann


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