Gangster Squad. Paul Lieberman
zu wehren. Der Grund für die Maßnahme lag zum Teil in einem dreisten Raubüberfall auf einen Juwelierladen am South Broadway begründet. Unbekannte hatten ein 50 Zentimeter großes Loch in das Dach gesägt, waren mit einem Seil in das Geschäft eingedrungen, dabei verschiedene Sicherheitsmaßnahmen umgehend, und machten sich mit einer Auslage von Diamantringen im Wert von 6.000 Dollar aus dem Staub. In diesem Jahr stellte das den profitabelsten Raubzug in Los Angeles dar. Die Täter waren eindeutig Profis, doch die Verwaltung von L.A. interpretierte den Raubzug als Zeichen für eine erhöhte Präsenz verschiedenster Krimineller in der Stadt – von Ganoven, die sich auf Wohnungseinbrüche spezialisiert hatten, Taschendieben und Safeknackern. „Tausende Diebe haben Los Angeles zum Ziel auserkoren“, verriet der Polizeisprecher der Los Angeles Times und fügte hinzu, dass die beängstigenden Neuigkeiten direkt von anderen Revieren aus dem ganzen Land stammten. „Wir erhielten kürzlich Informationen von verschiedenen Polizeibehörden aus dem Osten, dass sich beinahe jeder festgenommene Dieb nach seiner Freilassung nach Los Angeles aufmachen will. Weiterhin soll sich fast jeder Straftäter, nach dem gefahndet wird, entweder in Los Angeles aufhalten oder auf dem Weg in die Stadt sein.“
Ein weiterer Zwischenfall schien diesen Hinweis zu unterstreichen und brachte die Skeptiker zum Verstummen. Einer der 25 neuen Polizeibeamten, Frank „Lefty“ James, wurde kurz nach Dienstantritt in eine spektakuläre Schießerei verwickelt und über Nacht zum Helden. James zog sich eine schwere Schulterverletzung zu, während er bei einem Überfall einen Angreifer tötete und einen zweiten verwundete – der später den Beamten beim Verhör erzählte, dass er erst einen Tag vor der Tat in die Stadt gekommen sei … aus Buffalo.
Als Nächstes lieferten sich zwei Deputy-Sherrifs des Los Angeles County ein nächtliches Wagenrennen, das mit einer Schießerei auf einem einsamen Abschnitt der West Temple Street endete. Einer der bewaffneten Ganoven verlor dabei seinen Hut, in dem sich das Einschussloch einer 45er und das Etikett eines Geschäfts fand … aus Chicago.
All diese Ereignisse führten zu dem alptraumhaften Szenario, dass die Ankunft von Al Capone kurz bevor stand. Schnell verbreitete sich die Nachricht, dass sich der gefürchtetste Gangster der Nation unter falschem Namen unbemerkt im Biltmore niedergelassen hatte, dem kunstvoll ausgeschmückten neuen Hotel, in dessen Keller sich ein mit blauen Fliesen ausgelegter Swimmingpool befand.
Detective Ed „Roughhouse“ Brown führte eine Abteilung Cops zu der Edelherberge, um Capone und seine Bodyguards feierlich zum Zug zurück nach Chicago zu begleiten. Capone, damals erst 28, hatte Gerüchten nach schon über zwei Millionen Dollar durch das Geschäft mit Bier und Schnaps verdient. Er nahm den Rausschmiss mit Humor und merkte dabei ironisch an, dass seine Entourage zumindest Zeit für eine Führung in einem Filmstudio gehabt habe. „Ich kam mit meinen Kumpeln hierher, um mir ein bisschen die Gegend anzusehen“, witzelte er. „Warum sollte jemand in dieser Stadt etwas gegen mich haben? … Wir sind doch bloß Touristen, und ich dachte immer, dass Ihr Leute Touristen mögt. Ist schon mal ein anständiger, wohlhabender Besucher aus der Stadt gejagt worden?“ Doch ganz offensichtlich war die Stadt ein heißes Pflaster, sogar für einen Capone – auf der Fahrt zum Bahnhof klaute ein Unbekannter seinen Rotweinvorrat. „Nun habe ich von hier bis nach Hause nichts zu trinken“, kommentierte dies der Gangster lakonisch.
Und so machte L.A. schon früh die Bekanntschaft mit einem Verbrecher, der den Behörden die lange Nase zeigte – und schon bald sollten weitere zwielichtige Gestalten folgen. Doch die Stadt konnte mit zwei heldenhaften Cops auftrumpfen – zuerst verdiente sich „Lefty“ James seine Lorbeeren, gefolgt von „Roughhouse“ Brown. Brown wurde für seine Aktion durch eine überschwänglich glorifizierende Schlagzeile geehrt:
„Scarface Al“ – Came to Play
Now Look – He’s Gone Away!
Zu dem Zeitpunkt wohnten die Whalens schon in einem kleinen Apartment über einem Textilgeschäft, das sie mit den restlichen Ersparnissen von Freddie eröffneten. Sie hatten die Wüste auf dem alten Santa Fe Trail durchquert, dabei die unvermeidlichen platten Reifen flicken und nachts in Zelten kampieren müssen – vor der Geräuschkulisse heulender Kojoten. Sie begegneten nur wenigen Marmon Touring Cars auf der anschließenden staubigen Straße, die schon bald Route 66 hieß, denn 1922 wimmelte die Strecke von Ford Modell Ts und ähnlichen Klapperkisten, voll mit Menschen aus dem Mittleren Westen, die die Einwohnerzahl von Los Angeles zum Anschwellen brachten und damit die von San Francisco übertrumpften, zu der Zeit noch die größte Stadt in Kalifornien. Über 100.000 Menschen zogen pro Jahr in die Gegend, hauptsächlich aus dem Herzen der USA. Doch der Goldrausch des vorhergegangenen Jahrhunderts hatte seinen Glanz bereits verloren und war durch eine anderen Wunschfantasie ersetzt worden – es im Filmgeschäft bis ganz nach oben zu schaffen. Den meisten genügte jedoch der Traum von einem Neubeginn „in der Stadt, in der die Sonne immer scheint“, wie Cornelius Vanderbilt Jr., der berühmte Zeitungsverleger, Los Angeles so bildhaft beschrieb – nicht zu vergessen die kostenlosen Mahlzeiten, die Immobilien- und Baufirmen jedem anboten, der das von ihnen gerade erschlossene Land inspizierte. Im Jahr der Ankunft der Whalens wurde auf nicht weniger als 631 Parzellen gebaut. Ein Immobilienmakler errichtete ein riesiges Schild mit der Aufschrift HOLLYWOODLAND in den Hügeln, genau über seinen Grundstücken. Jahre später wurden die letzten vier Buchstaben entfernt, wodurch das kultige Wahrzeichen der Stadt entstand. Ein Kollege schmückte seine Grundstücke mit Hausfassaden, die er von hinten mit Holzbalken stützte, während ein anderer Immobilienhändler einen Hahn für den hinteren Garten verschenkte, damit sich die Kunden so heimisch wie auf ihrer Farm in Iowa einst fühlen konnten. Doch die wohl bizarrste Idee stammte von einem aus dem Mittleren Westen zugezogenen Mann, der den Friedhof in „Erinnerungspark“ umtaufte. Vorbei waren die Zeiten der morbiden Monumente, die in den Himmel ragten, denn nun lagen lediglich Bodenplatten auf den sich friedlich in die Weite streckenden Rasenflächen, damit die Hinterbliebenen hier Trost und Hoffnung finden konnten. Der aus Missouri stammende Herbert L. Eaton gelobte, dass sein Forest Lawn „sich von anderen Ruhestätten unterscheidet wie der Sonnenschein von der Finsternis, wie das ewige Leben vom Tod“. In Los Angeles wurde also aus einem herkömmlichen Friedhof „Gottes Garten!“.
Das Geschäft der Whalens lag eine Meile westlich des Stadtzentrums, gerade weit genug vom kommerziellen Mittelpunkt der Stadt und deren wichtigster Verkehrsader entfernt, die schon als geschäftigste Straße der ganzen USA berüchtigt war. Doch die Stadt expandierte unaufhörlich weiter. Das einem Schloss ähnelnde Ambassador Hotel war gerade am Wilshire Boulevard errichtet worden und bot neben 500 Zimmern einen Nachtclub, den Cocoanut Grove, wo die Tänzer von „der Magie der (künstlichen) Palmen“ verzaubert wurden. Das pompöse Gebäude hatte das Glück, Richtung stadtauswärts nicht zugepflastert zu werden, wo sich Milchfarmen und Felder mit Limabohnen bis zum Ozean erstreckten. Die Whalens wohnten in Fußnähe zum Westlake Park, einem beliebten Motiv auf kolorierten Postkarten – damals der letzte Schrei. Die mit Pastellfarben intensivierten Aufnahmen zeigten Männer und Frauen, die in Sonntagskleidung unter Zypressen und Palmen zu einem Bootshaus am Flüsschen schlenderten, an dem eine mit einer amerikanischen Flagge geschmückte Gartenlaube stand. Von dort aus konnte man den Pärchen in ihren Kanus beim Paddeln zuschauen. Solche idealisierten Karten standen bei den Whalens direkt neben der Registrierkasse, inmitten all der Ware, die sie geklaut hatten!
Kurz nach Weihnachten 1924 verhaftete die Polizei Fred und Lillian aufgrund der Anschuldigung, drei Pullover aus einem Geschäft am anderen Ende der Stadt entwendet zu haben. Fred hatte im Fluchtwagen gewartet, und Lillian machte ihrem Jesse-James-Erbe alle Ehren, indem sie die Pullover dreist aus dem Laden trug, während der Verkäufer andere Kunden bediente. Die Los Angeles Police entschloss sich dazu, in der Central Station weitere Kleidungsstücke aus dem Laden auszustellen – Strumpfhosen, Anzüge und seidene Unterwäsche für Frauen. Händler aus der ganzen Stadt kamen, untersuchten die Artikel und riefen verblüfft: „Das ist ja meins!“ oder: „Das sind ja unsere!“ Zum Prozessauftakt gegen die Whalens hatte die Strafverfolgung ein halbes Dutzend Zeugen gegen die umtriebigen und geschäftigen Diebe aufgeboten.
Als Fred in den Zeugenstand gerufen wurde, setzte er sein breites Verkäuferlächeln auf und schwor bei allem, was ihm lieb war, dass ihnen sämtliche BHs und Höschen bei einer „Geburtstags-Überraschungsparty“ geschenkt worden seien. Die Geschworenen ließen sich jedoch nicht täuschen und benötigten nur 20