Gangster Squad. Paul Lieberman
die Morgenausgabe der Los Angeles Times. Sie kehrten in die im maurischen Stil erbaute Villa zurück, wo sich Bugsy in eine Ecke des Wohnzimmersofas setzte, das weiß bezogen war – mit einem Blumenmuster!
Aus irgendeinem Grund waren die Gardinen des Fensters zurückgezogen, was einem Außenstehenden ein ideales Sichtfeld bot. Die Kugeln stammten aus einem Kaliber-30-Militärkarabiner. Als die Kolumnistin Florabel Muir die Nachricht hörte, eilte sie zum Tatort: „Der Duft des achts blühenden Jasmins durchdrang den Raum. Er strömte vom Fenster herein, durch das die tödlichen Schüsse abgefeuert wurden. Die Los Angeles Times lag ausgebreitet auf seinen Knien. Auf ihr war in Druckbuchstaben vermerkt: ‚Gute Nacht. Schlafe in Frieden. Mit Grüßen von Jack.‘ Blutverschmierte Teile seines in alle Richtungen geflogenen Gehirns klebten auch auf der acht Spalten überspannenden Schlagzeile eines Artikels, der von einer tödlichen Schießerei in einer ärmeren Gegend von L.A. berichtete.“ Niemand konnte es besser beschreiben als Florabel, doch der rivalisierende Herald-Express ergatterte das beste Foto. Es zeigte den mit einem Laken bedeckten Körper auf einer Metallbahre im Leichenschauhaus. Der große Zeh schaute heraus. An ihm war ein Schild mit dem Namen „Bugsy Siegel“ angebracht.
Jack O’Mara und Willie Burns rasten zum Beverly Hills Polizeihauptquartier, um mit den Ermittlungen zu beginnen, doch die große Zahl von Polizeiwachen im Los Angeles County konnte jeden frustrieren, sogar die Verbrecher, da hier ein ständiges Zuständigkeitsgerangel herrschte. Ende der vierziger Jahre verteilten sich insgesamt 46 verschiedene Dienststellen auf die Distrikte des sich auf 10.360 Quadratkilometer erstreckenden Verwaltungsbezirks. Die Gauner hatten ein Problem – wen sollten sie bestechen? Es war möglich, sich den Schutz eines Polizeibeamten auf der einen Straßenseite zu erkaufen, aber nicht auf der anderen, da dort das Hoheitsgebiet einer anderen Wache lag. Die Gangster Squad gab so gut wie keiner Dienstbehörde Informationen weiter, doch die Polizisten in Beverly Hills wurden als vertrauenswürdig eingestuft, und so boten die beiden Cops dem Chief mit der unter den Arm geklemmten Dienstmütze ihre Dienste an. Doch in O’Maras Erinnerung lehnte Clinton H. Anderson ab: „Wir brauchen hier keine Hilfe!“ „Ich antwortete, dass er uns am Arsch lecken kann. Es war schließlich sein Fall, und er bekam den ganzen Ärger ab.“
Und das geschah auch. O’Mara besuchte eine Anhörung und lauschte dem Geschehen gespannt von einer der hinteren Reihen aus. Er legte sich seine eigene Theorie zurecht und teilte nicht die weitverbreitete Ansicht, dass die in der Rangordnung höher stehenden Mafiosi von Bugsys Verschwendung beim Flamingo die Schnauze voll hatten, da ihnen ja ein Teil des Geldes gehörte. O’Mara glaubte auch nicht, dass Dragna hinter dem Attentat steckte. Von seinem Platz aus beobachtete er Virginia Hills Bruder Chick, der im oberen Teil der Villa wohnte und möglicherweise gehörte hatte, wie Bugsy seine allbekannte üble Laune an seiner Schwester ausließ. Ihr Bruder war ein Kriegsveteran und wusste, wie man mit einem Karabiner umging. Es stellte sich heraus, dass die Suche nach der Wahrheit einem unlösbaren Gedankenspiel glich. Und so wurde dieser Mord, das Wohnzimmer-Attentat, das eine Leerstelle in der Hierarchie des organisierten Verbrechens in Los Angeles hinterließ, nie aufgeklärt.
„Ich habe Bennys Posten direkt übernommen. Anweisung von der Ostküste!“, bemerkte Mickey später dazu. „Und um ehrlich zu sein – es war kein Nachteil für mich, dass sie ihn ins Jenseits befördert hatten.“
Manchmal quetschten sich fünf Männer der Gangster Squad in den verrosteten Ford, Baujahr 1940, um Patrouille zu fahren. Einige rauchten dabei Zigarren, und nach einer solchen Schicht mieften die Klamotten so schlimm, dass ihre Frauen sie über Nacht auf die Wäscheleine hängten. Connie O’Mara trug den Mantel ihres Mannes auf Armlänge von sich weg und nur mit zwei spitzen Fingern gehalten und hielt sich dabei die Nase zu. Die Wagen an sich waren mehr als erbärmlich, hatten meist schon den dritten oder vierten Motor und meist über 200.000 Meilen auf dem Tacho. Fußmatten – Fehlanzeige! Stattdessen mussten die Löcher im Fußraum mit allem Erdenklichen gestopft werden, damit das Wasser nicht eindringen konnte. Falls sich eine Pfütze im Wagen bildete, war man gut beraten, sofort den Fuß darauf zu stellen, denn sonst spritzte einem das Fahrwasser direkt ins Gesicht. Wenn drei Männer auf der Rückbank saßen und der Wagen über einen Buckel fuhr, knallte der mittlere meist mit dem Kopf gegen das Fahrzeugdach. Das änderte sich aber, als sie einen dritten Wagen erhielten, denn von nun an teilte sich die Gangster Squad in kleinere Teams auf. Bevor man den Cops Funkgeräte zur Verfügung stellte, mussten sie sich an einer Straßenecke treffen, an der sie sich den Abend zuvor verabredet hatten. Dort erklärte ihnen Burns dann die Aufträge, wer wen beschatten sollte und wer an diesem Abend die Zielperson war. Trotz der Funkgeräte gab er ihnen verschlüsselte Informationen: „Okay, trefft mich zwei Blocks östlich und einen Block südlich, vom gestrigen Treffpunkt aus gesehen.“
Die Tommy-Guns waren großartige Bleispritzen, da sie jeden einschüchterten. Allerdings hatte man auch seine Probleme mit den Dingern. Die Männer konnten sie wegen der Diebstahlsgefahr weder im Wageninnenraum noch im Kofferraum aufbewahren. Wenn sie ein Geschäft betraten oder bei den Ermittlungen in ein Mietshaus gingen, schleppten sie die MGs erst einmal mit und legten sie dann an einer Stelle ab, die man gut im Auge behalten konnte. Auch die runden Magazine mit 50 Patronen stellten ein Ärgernis dar, da sie nicht problemlos in die Anzugtaschen passten. Die meisten Männer entschieden sich für das rechteckige Magazin mit 20 Schuss, das leicht in eine Tasche passte. Damals gab es weder ein SWAT-Team noch ein spezielles Training und auch keine leichten kugelsicheren Westen. Zumindest konnten sich die Tommy-Koffer sehen lassen, jeder von ihnen 90 cm lang und circa 30 Zentimeter breit – es war leicht, sich vorzustellen, dass sich in ihnen eine Violine befand.
Innerhalb des LAPD kursierten Gerüchte über den Auftrag der neuen Einheit, die konspirativ agierte. Die meisten vermuteten, dass es sich um internationale Spione oder hausinterne Headhunter handelte – und das nicht ohne guten Grund! Das Büro des Chiefs hatte ihnen den Auftrag gegeben, still und unauffällig einigen Cops zu folgen, die schmutziger Geschäfte verdächtigt wurden. Darunter befand sich ein Beamter, der vorgab, im Auftrag des Generalstaatsanwalts eine Jukebox-Firma auszuräuchern, aber tatsächlich Bestechungsgelder kassieren wollte. Doch mit der Geheimhaltung war es aus, nachdem ein Streifenpolizist die Meldung machte, dass ein Friseur und illegaler Buchmacher ihm ein unverschämtes Angebot gemacht habe. „Warum schnappt ihr euch den Kerl nicht?“, schlug Chief Horrall Willie Burns vor. „Dieses dumme Arschloch – zieht den Bastard aus dem Verkehr!“ Und so zog die Gangster Squad wie eine Karawane zum Friseursalon und verwüstete ihn. Sie rissen die schweren Stühle aus der Verankerung, zerschlugen die Spiegel und rissen die Regale mit den Aftershaves nieder. Das Ganze dauerte nur wenige Minuten, ohne dass man dabei ein Wort wechselte. Während dieser Zeit hielt Jumbo den Friseur im Schwitzkasten, damit er keine Sekunde des Fiaskos verpasste. Dann schäumten sie seinen Kopf ein und rasierten dem armen Kerl den Schädel mit den eigenen Klingen – diese Aktion war nicht geplant, sondern eine kreative Variante der Auslegung von Dienstvorschriften.
Doch nicht alles lief so glatt ab. O’Mara erhielt den Auftrag, sich einen berüchtigten Beamten des Los Angeles County Sheriff Department vorzuknöpfen. Al Guasti war der Chef der Sitte und schützte den wohl unverschämtesten Buchmacherring in unmittelbarer Nähe von Los Angeles. Die „Firma“ Guarantee Finance unterhielt eine Reihe von kleineren Unternehmen im Dienstleistungsbereich als Tarnung, um die 75 Telefonanschlüsse im Hinterzimmer zu rechtfertigen: In einem Laden konnte man Zeitschriften kaufen, ein Büro gewährte angeblich Darlehen, ein weiteres bot einen Weckdienst an – einige Telefone waren sogar unter den Namen von „Stone’s Service Station“ registriert. Guarantee Finance engagierte sich vorgeblich sogar im Rahmen der Kollekte für wohltätige Zwecke und tarnte dadurch die 118 Angestellten, die Wettgelder direkt von Kunden annahmen! Wenn ein naiver Interessent sich einen Kredit besorgen wollte, wurde er mit der Begründung abgewiesen, im Moment stünde kein Geld zur Verfügung. Guarantee Finance operierte von einem zweistöckigen Gebäude mit verdunkelten Fenstern aus, an der East Florence Street gelegen, also in einer vom LAPD nicht kontrollierten Gegend. Doch die Polizeibehörde besaß einen guten Grund, die „Firma“ einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, denn den Cops war zu Ohren gekommen, dass ein Sergeant ihres Reviers seine Hände schützend über die Gauner hielt und ihnen sogar beim Geldsammeln