Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht. Marco Gehrig

Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht - Marco Gehrig


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war andererseits aber auch problematisch, weil sich daraus keine klaren Anweisungen für die konkrete Gestaltung der Buchführung entnehmen liessen.20

      Mit der Aktienrechtsrevision 1991 wurden die 1936 wegen der beschränkten Haftung für Verbindlichkeiten eingeführten wenigen Sondervorschriften für Aktiengesellschaften und später auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung (aOR 801) deutlich verschärft, indem insbesondere wesentlich strengere Vorschriften zum Jahresabschluss eingeführt worden sind. Die unscharfen aakG von aOR 959 wurden für AG und GmbH durch die Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung (GoR) abgelöst.

      Die je nach Rechtsform unterschiedlichen Bestimmungen zur Buchführung und Rechnungslegung wurden jedoch je länger, desto mehr als unbefriedigend betrachtet, denn die Rechtsform eines Unternehmens sagt nichts aus über die Art und den Umfang der Geschäftstätigkeit und damit die Anforderungen an die notwendigen Informationen zur zuverlässigen Beurteilung der Ertrags- und Vermögenslage.

      Ein erster Versuch, Buchführung und Rechnungslegung rechtsformenunabhängig zu regeln (VE 1998 zum Bundesgesetz über Rechnungslegung und Revision) scheiterte wegen der dabei vorgesehenen strengeren Anforderungen an die Transparenz am heftigen Widerstand der Wirtschaft. Auf Grund der internationalen Entwicklung erwies sich die Neuordnung der Revision und die Einführung einer Revisionsaufsicht zudem als vordringlich (OR-Revision 2005).

      Als besondere Merkmale des schweizerischen Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts sind hervorzuheben: die lange Zeitspanne zwischen einzelnen Gesetzesrevisionen, die bewusste Zurückhaltung bei der Anpassung an die Neuerungen im Ausland, zuletzt beispielsweise der Aktienrechtsrevision 1991 an die europäische Entwicklung (EU-Richtlinien zum Jahresabschluss 1978 und 1983). Dies führt zu deutlichen Abweichungen der schweizerischen Normen zum jeweiligen Stand des ausländischen Rechts. Bei der zunehmenden wirtschaftlichen Dynamik mit neuen Informationsbedürfnissen ergab sich für den schweizerischen Gesetzgeber ein dringlicher Handlungsbedarf zur Schaffung eines zeitgemässen Aktien- und Rechnungslegungsrechts. Die entsprechenden Arbeiten wurden 2003 aufgenommen.

      Die Reform des Buchführungs- und Rechnungslegungsrechts 1936/1991 wurde im Rahmen der Revision des Aktienrechts vorgeschlagen (Entwurf vom 21. Dezember 2007). Die Aktienrechtsrevision erwies sich bei den parlamentarischen Verhandlungen als langwierig. Deshalb wurde das Rechnungslegungsrecht (32. Titel des Obligationenrechts) 2009 abgetrennt und nach längeren Beratungen im Dezember 2011 von den eidgenössischen Räten angenommen. Der Bundesrat setzte die neuen Vorschriften auf den 1. Januar 2012 in Kraft. Diese waren erstmals für das am 1. Januar 2015 beginnende Geschäftsjahr, jene für die Konzernrechnung ab 1. Januar 2016, anzuwenden.

      Es bestehen Ausführungsbestimmungen zum Rechnungslegungsrecht wie die Geschäftsbücherverordnung (GeBüV, Stand 1. Januar 2013) und die Verordnung über die anerkannten Standards zur Rechnungslegung (VASR, Stand 1. Januar 2015). Zum geltenden, noch nicht dem Rechnungslegungsrecht angepassten Aktienrecht von 1991 ergeben sich jedoch Unstimmigkeiten, wie zur Reservebildung (OR 671), Aufwertung (OR 670), eigene Aktien (OR 659a und 671a), Kapitalverlust und Überschuldung (OR 725).

      2.2 Besonderheiten und Neuerungen des Rechnungslegungsrechts 2011

      Das neue Rechnungslegungsrecht weist folgende Besonderheiten auf:

      Prinzipienorientiertes Grundkonzept

      Der schweizerische Gesetzgeber regelt Buchführung und Rechnungslegung von jeher auf der Basis von Grundsätzen, ergänzt durch punktuelle Vorschriften zu einzelnen Sachverhalten. Die bisherigen Grundsätze zur ordnungsmässigen Rechnungslegung (kurz GoR) wurden um die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung (kurz GoB) erweitert. Die Mindestvorschriften zur Jahresrechnung sind jedoch systematischer und detaillierter. Diese sind nicht nur von AG und GmbH, sondern von allen buchführungspflichtigen Unternehmen anzuwenden.

      Rechtsformenneutralität

      Differenzierung nach Unternehmensgrösse

      Eine konsequente Anwendung der Rechtsformenneutralität würde jedoch der erheblichen Unterschiede der buchführungspflichtigen Unternehmen in Bezug auf Grösse und wirtschaftliche Bedeutung nicht gerecht. Im Rechnungslegungsrecht 2011 werden deshalb je nach Unternehmungsgrösse und Rechtsform die Anforderungen an die Buchführungs- und Rechnungslegungspflicht differenziert, indem einerseits Erleichterungen, andererseits Verschärfungen erfolgen.

      2. Unternehmen mit Einnahmen- und Ausgabenbuchhaltung ohne zeitliche, aber mit sachlichen Abgrenzungen. Diese Entlastung betrifft juristische Personen mit weniger als CHF 100‘000 Nettoerlös aus Lieferungen und Leistungen oder Finanzerträgen (sog. Mikrounternehmen).

      3. Grössere Unternehmen sind Unternehmen, welche gesetzlich zur ordentlichen Revision verpflichtet sind (OR 727 II, ZGB 69b): Publikumsgesellschaften und Gesellschaften, welche in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren die Schwellenwerte (für die ordentliche Revision CHF 20 Mio. (Bilanzsumme), CHF 40 Mio. (Umsatz) und 250 Vollzeitstellen) überschreiten.

      4. Gesellschaften, welche zur Erstellung einer Konzernrechnung verpflichtet sind. Diese haben zusätzlich zu den Bestimmungen zur Buchführung und Rechnungslegung Sonderbestimmungen nach OR 961 zu beachten.

      Für alle übrigen Unternehmen gelten die Bestimmungen zur Buchführung (OR 957a) und zur Rechnungslegung (OR 958-958d).

      Legaldefinitionen

      Bei der Revision des Aktienrechts 1991 wurden verschiedene wichtige Begriffe der Rechnungslegung erstmals auf Gesetzesstufe erwähnt, wie die Arten von Erträgen und Aufwendungen, Umlauf- und Anlagevermögen, Fremdkapital, Wertberichtigungen, Rückstellungen. Eine Umschreibung des Inhalts dieser Begriffe im Gesetz (Legaldefinition) ist jedoch unterblieben. Mit den verschiedenen Legaldefinitionen bringt das Rechnungslegungsrecht die wünschenswerten näheren Umschreibungen, z. B. für Aktiven, Passiven, Verbindlichkeiten, Fristigkeit.

      Ausführliche Bewertungsregeln

      Die Bestimmungen wurden erweitert und präzisiert: Pflicht zur Einzelbewertung, Unterscheidung von Erst- und Folgebewertung sowie das Vorsichts- und das Niederstwertprinzip.

      Klare Mindestgliederung für Bilanz und Erfolgsrechnung

      Die bisherige aktienrechtliche Aufzählung der mindestens aufzuführenden Positionen (aOR 663 und 663a) ist durch ein verbindliches Gliederungsschema ersetzt worden.


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