H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2. S. T. Joshi

H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2 - S. T. Joshi


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eindeutig verortete Landzunge bei Gloucester, die Lovecraft »Mother Ann« nennt,84 diente ebenfalls als Vorbild. Ein Passage in Dunsanys The Chronicles of Rodriguez, in der das auf einer Klippe gelegene Haus eines Zauberers beschrieben wird, könnte ebenfalls Anregungen geliefert haben.85 Lovecraft hat in »The Strange High House in the Mist« den neuenglischen Schauplatz demnach stärker umgestaltet als in seinen »realistischen« Erzählungen: Die Geschichte enthält kaum spezifische topographische Beschreibungen, und wir befinden uns offensichtlich in einem Phantasieland, in dem – ungewöhnlich für Lovecraft – die Hauptaufmerksamkeit dem Charakter seiner Hauptfigur gilt.

      Denn das eigentliche Thema von »The Strange High House in the Mist« ist die merkwürdige Veränderung, die mit Thomas Olney vorgeht. Wie und warum hat er jene Sehnsucht nach dem Wunderbaren verloren, die bis zu seinem Besuch in Kingsport sein Leben bestimmte? Der »schreckliche alte Mann« deutet eine Antwort auf diese Fragen an: »Irgendwo unter dem grauen Spitzdach oder inmitten unfassbarer Bereiche des unheimlichen weißen Nebels verweilte immer noch der verlorene Geist dessen, der Thomas Olney war.« Olneys Körper ist ins normale Alltagsleben zurückgekehrt, doch sein Geist ist bei dem Bewohner des merkwürdigen hochgelegenen Hauses im Nebel zurückgeblieben. Die Begegnung mit Neptun und Nodens hat Olney erkennen lassen, dass jenes nebelumwogte Reich der Wunder der Ort ist, an den er wirklich gehört. Sein Körper ist nur noch eine leere, seelen- und phantasielose Hülle: »Sein gutes Weib wird immer dicker, während die Kinder immer älter, langweiliger und nützlicher werden, und er unterlässt es nie, zur gegebenen Zeit stolz und korrekt zu lächeln.« Die Erzählung lässt sich so gewissermaßen als Spiegelbild zu Lovecrafts früher Dunsany-Erzählung »Celephaïs« lesen: Während dort Kuranes in der wirklichen Welt sterben muss, damit sein Geist in das erträumte Reich der Phantasie eingehen kann, lebt Olney in der wirklichen Welt weiter, doch sein Geist bleibt im Phantasiereich zurück.

      Ein weiteres kleines Werk aus dem Jahr 1926 ist ein Gedicht, das in der Dezemberausgabe von WEIRD TALES unter dem Titel »Yule Horror« veröffentlicht wurde. Dieses effektvolle vierstrophige Poem, das in demselben Swinburne entliehenen Versmaß verfasst ist wie »Nemesis«, »The House« und »The City«, war eigentlich ein Weihnachtsgedicht, das Lovecraft unter dem Titel »Festival« an Farnsworth Wright geschickt hatte. Wright war so angetan, dass er es – zu Lovecrafts Überraschung und Freude – in WEIRD TALES abdruckte, wobei er die letzte Strophe wegließ, die direkt auf ihn selbst anspielte:

      And mayst thou to such deeds

       Be an abbot and priest,

      Singing cannibal greeds

      At each devil-wrought feast,

      Abgesehen von »Yule Horror« beschränkte sich Lovecrafts poetische Produktion in seinen ersten acht Monaten in Providence auf eine gefühlvolle Elegie auf Oscar, den Kater eines Nachbarn von George Kirk, der von einem Auto überfahren worden war, und »The Return«, ein C. W. Smith gewidmetes Gedicht, das im TRYOUT vom Dezember 1926 erschien.

      Ein bemerkenswertes Stück Prosa, das Lovecraft am 23. November verfasste, war der Essay »Cats and Dogs«, dessen Titel später von August Derleth in »Something about Cats« geändert wurde. Der Brooklyner Blue Pencil Club plante zu diesem Zeitpunkt eine Diskussion über die jeweiligen Vorzüge von Katzen und Hunden. Lovecraft hätte natürlich gern persönlich teilgenommen – insbesondere, da die meisten der geladenen Gäste Hundefreunde waren –, doch da er nicht nach New York kommen konnte oder wollte, verfasste er einen schriftlichen Diskussionsbeitrag, in dem er seine Zuneigung zu Katzen bekannte und zugleich eine – nur halb ironische – philosophische Begründung seiner Vorliebe gab. Das Ergebnis ist einer der köstlichsten essayistischen Texte, die Lovecraft verfasst hat.

      Im Wesentlichen läuft Lovecrafts Argumentation darauf hinaus, dass die Katze das Haustier des Künstlers und Denkers ist, während der Hund von stumpfsinnigen Bürgern gehalten wird. »Der Hund spricht simple und oberflächliche Empfindungen an, während die Katze die tiefsten Quellen der Imagination und kosmischen Empfindungsfähigkeit im menschlichen Geist berührt.« Dies führt unvermeidlich zu einem veritablen Klassenunterschied zwischen beiden Spezies, den Lovecraft bündig zusammenfasst: »Der Hund ist ein Bauer und die Katze ein Gentleman.« Es sind letztlich nur oberflächliche Sentimentalität und der Wunsch nach Unterwürfigkeit, die im Lob des »treuen« und anhänglichen Hundes zum Ausdruck kommen, während die unnahbare Unabhängigkeit der Katze verschmäht wird. Es ist ein Irrtum zu meinen, dass die »sinnlose Geselligkeit und Freundlichkeit oder die sabbernde Hingabe und Ergebenheit des Hundes etwas an sich Bewundernswürdiges oder Wertvolles darstellen«. Betrachten wir das jeweilige Verhalten der beiden Spezies: »Wirf einen Stock, und der unterwürfige Hund japst und hechelt und schnauft, um ihn dir zurückzubringen. Tue dasselbe bei einer Katze, und sie wird dich nur mit kühler Höflichkeit und leicht gelangweilter Belustigung ansehen.« Und, sehen wir nicht denjenigen Menschen als überlegen an, der in seinem Denken und Handeln Unabhängigkeit beweist? Warum loben wir dann nicht die Katze, wenn sie ebendiese Eigenschaften an den Tag legt? Man besitzt eine Katze nicht, man bewirtet sie bestenfalls. Sie ist Gast, nicht Diener des Menschen.

      Man könnte noch weit mehr anführen, doch sollte diese Kostprobe genügen, um ein Gefühl für die außerordentliche Eleganz und den trockenen Humor von »Cats and Dogs« zu vermitteln, einem Text, der Philosophie, Ästhetik und persönliches Empfinden zu einer Eloge jener Spezies vereint, die Lovecraft mehr als jede andere auf diesem Planeten bewunderte – seine eigene nicht ausgenommen.86

      Allerdings war Lovecrafts schriftstellerischer Furor noch keineswegs erschöpft. Entgegen seinen üblichen Gewohnheiten schrieb er »The Silver Key« und »The Strange High House in the Mist«, während er gleichzeitig an einem wesentlich umfangreicheren Text arbeitete. Anfang Dezember berichtete er August Derleth: »Ich bin mittlerweile auf Seite 72 meiner Traumland-Phantasie …«87 Das Ergebnis, das Lovecraft Ende Januar 1927 fertigstellte, war das längste erzählerische Werk, das er bis dahin verfasst hatte: The Dream-Quest of Unknown Kadath.

       Anmerkungen

      1 HPL an Arthur Harris, 22. Juli 1924 (Manuskript, JHL).

      2 HPL an LDC, 2. April 1925, Letters from New York, S. 116.

      3 HPL an CAS, 15. Oktober 1927 (SL II.176).

      4 HPL an LDC, 14.-19. November 1925 (Manuskript, JHL).

      5 HPL an LDC, 27. Juli 1925 (Manuskript, JHL).

      6 Im Februar 1925 kaufte Lovecraft Providence: A Modern City (1909 herausgegeben von William Kirk) und ein neues Exemplar von Henry Manns Our Police: A History of the Providence Police Force from the First Watchmen to the Latest Appointee (1889), einem Buch, das er bereits früher besessen hatte, das ihm jedoch abhandengekommen war. Zwischen Ende Juli und Mitte September verbrachte er viel Zeit im genealogischen Lesesaal der New York Public Library, um dort Gertrude Selwyn Kimballs Providence in Colonial Times (1912) zu lesen, eine umfassende Geschichte der Stadt im 17. und 18. Jahrhundert, die von einer 1910 verstorbenen Bekannten von Annie Gamwell verfasst worden war.

      7 HPL an LDC, 8. August 1925, Letters from New York, S. 168.

      8 Scott, »His Own Most Fantastic Creation«, in: Cannon, Lovecraft Remembered, S. 18. In seiner Ausgabe der Marginalia (wo Scotts Essay erstmals erschien), die sich heute im Besitz von Kenneth W. Faig Jr. befindet, hat Benjamin Crocker Clough, Rezensent des PROVIDENCE JOURNAL, notiert: »So hat er [Loveman] es mir erzählt, und ich habe es WTS erzählt. Ob er von ›Ampulle‹ sprach, dessen bin ich mir nicht mehr sicher.«

      9 Hart, »Walkers in the City«, S. 10.

      10 HPL an MWM, 15. Juni 1925, Letters from New York, S. 144.

      11 HPL an LDC, 22.–23. Dezember 1925 Letters from New York, S. 254.

      12 Scott, »His Own Most Fantastic Creation«, in: Cannon, Lovecraft Remembered, S. 18f.

      13 Koki, An Introduction, S. 159.

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