H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2. S. T. Joshi
Schinken, Brot, amerikanischer & Schweizer Käse, Kuchen, Limonade, Brötchen, gestürzten Pudding (selbst gemacht …) usw. usw. usw. – wie in Pegānas Namen soll ich jetzt noch meine neuen Kragen anziehen!
Doch selbst unter diesen verschärften Bedingungen fuhr Lovecraft fort, seinen kulinarischen Horizont zu erweitern, sowohl bei gemeinsamen Restaurantbesuchen mit Sonia als auch bei einsamen Erkundungen. Anfang Juli lud Sonia ihn in ein chinesisches Restaurant ein, wo sie jedoch nur das enttäuschende Chow Mein, ein dem amerikanischen Geschmack angepasstes Nudelgericht mit Fleisch und Gemüse, aßen.32 Ende August probierte Lovecraft zum ersten Mal Minestrone, die ihm so gut schmeckte, dass er in der Folgezeit oftmals ins Milan in Manhattan ging und dort eine große Terrine Minestrone für 15 Cent bestellte, die ihm als komplette Mahlzeit genügte.33 Um diese Zeit verkündete Lovecraft seiner Tante Lillian, dass seine Ernährungsgewohnheiten sich »weitgehend italienisiert« hätten, beeilte sich jedoch, zu versichern, dass dies vom Standpunkt der Gesundheit unbedenklich sei: »… ich bestelle stets Spaghetti & Minestrone, außer wenn sie nicht auf der Karte stehen. Diese Gerichte enthalten eine fast ideale Balance von aktiven nahrhaften Bestandteilen: das Getreide, aus dem die Spaghetti bestehen, die Fülle von Vitaminen, die in der Tomatensauce enthalten sind, die Gemüsemischung in der Minestrone & der reichliche geriebene Käse, der beiden Gerichten gemeinsam ist.«34
Ein Detail wirft jedoch ein bedrückendes Licht auf Lovecrafts Ernährungsgewohnheiten: Im Oktober sah er sich gezwungen, einen Ölheizer für den Winter zu kaufen, da sein Apartment von Seiten seiner Vermieterin, Mrs. Burns, nur unzureichend beheizt wurde – was nicht zuletzt an einem landesweiten Streik der Kohlearbeiter lag.35 Der Ölheizer, den Lovecraft anschaffte, besaß einen Kochaufsatz, sodass er sich von nun an den Luxus erlauben konnte, »warme Mahlzeiten zuzubereiten. Keine kalten Bohnen & Spaghetti mehr …«36 Heißt das, dass Lovecraft sich in den ersten neun Monaten des Jahres hauptsächlich von kalten Konserven ernährt hatte? Auch wenn Lovecraft zu einem früheren Zeitpunkt einmal davon spricht, dass er sich Bohnen auf einem »Sterno« – einem aus einer Dose mit Brennpaste bestehenden Notkocher – zubereitet hat,37 scheint dies die triste Realität gewesen zu sein.
Auch Lovecrafts Apartment in der Clinton Street 169 war letztlich eine recht trostlose Bleibe. Es lag in einer heruntergekommenen Gegend mit zwielichtigen Bewohnern und wurde von einer Mäuseplage heimgesucht. Um letzterer Herr zu werden, kaufte Lovecraft, auf Anraten von Kirk, Einweg-Mausefallen für fünf Cent pro Stück – »da ich diese wegwerfen kann, ohne das corpus delicti aus ihnen entfernen zu müssen, was bei einem kostspieligeren Mechanismus notwendig wäre«.38 (Später entdeckte Lovecraft sogar noch billigere Fallen, die fünf Cent für zwei Stück kosteten.) Man hat sich aufgrund dieser Episode über Lovecrafts Zimperlichkeit lustig gemacht, aber ich bin überzeugt, dass kaum jemand gern mit den Kadavern toter Mäuse oder anderem Ungeziefer hantiert. In seinem Tagebuch bezeichnet Lovecraft die Mäuse als »Invasoren« oder abgekürzt »Inv.«. Im September musste die Deckenlampe in dem Alkoven, den er als Badezimmer benutzte, repariert werden, aber seine Vermieterin weigerte sich, einen Handwerker zu beauftragen. Lovecraft zeigte sich darüber äußerst irritiert und schrieb an seine Tante Lillian: »Es ist mir unmöglich, einigermaßen bequem ein Bad zu nehmen, das Geschirr zu spülen oder meine Schuhe zu polieren, wenn ich auf die paar schwachen Strahlen Tageslicht angewiesen bin, die von draußen hereinfallen.«39 Diese Situation zog sich bis zum Januar 1926 hin, als – während eines Besuchs von Sonia – ein Elektriker aus einem nahe gelegenen Haushaltswarengeschäft die Reparatur schließlich vornahm. Möglicherweise können wir in dieser Episode einen weiteren Hinweis auf Lovecrafts Unfähigkeit sehen, mit den praktischen Anforderungen des täglichen Lebens zurechtzukommen. Doch die Vermieterin, Mrs. Burns, hatte ihm offenbar gesagt, dass ein Elektriker der Edison Company allein für die Inspektion der Deckenbeleuchtung eine astronomische Summe berechnen würde, sodass Lovecraft aus diesem Grund abwartete, bis Sonia die Angelegenheit regeln konnte.
Der entscheidende Schlag traf Lovecraft jedoch am Sonntag, dem 24. Mai 1925. Während er auf der Couch schlief, nachdem er die ganze Nacht geschrieben hatte, wurde in den Alkoven, den er als Kleiderschrank und Ankleidezimmer nutzte, eingebrochen. Fast alle seine Anzüge und eine Reihe weiterer Gegenstände wurden entwendet. Die Diebe hatten das Nachbarapartment gemietet, von dem aus eine unverriegelte Tür zu Lovecrafts Alkoven führte, und waren durch diese in seine Wohnung eingedrungen, Sie entwendeten drei Anzüge (von 1914, 1921 und 1923), den Mantel, den Sonia 1924 für ihn gekauft hatte, einen Weidenkoffer aus Sonias Besitz – dessen Inhalt jedoch später im Apartment der Diebe gefunden wurde, das sie verlassen hatten, ohne ihre Miete zu begleichen – und ein teures Radio im Wert von 100 Dollar, das Loveman in Lovecrafts Alkoven gelagert hatte. Nach dem Diebstahl blieb Lovecraft nur noch ein leichter blauer Anzug aus dem Jahr 1918, der über einem Stuhl in seinem Wohnzimmer hing, das die Diebe nicht betreten hatten. Lovecraft entdeckte den Einbruch erst um ein Uhr dreißig nachts am 26. Mai, da er vorher keinen Anlass gehabt hatte, den Alkoven zu betreten. Er war am Boden zerstört:
Ich kann mich noch nicht mit dem Schock abfinden – mit der unerbittlichen Wahrheit, dass ich keinen Anzug mehr besitze, außer dem dünnen blauen Sommeranzug. Was ich machen soll, wenn die Sachen nicht wieder auftauchen, das weiß der Himmel!
… am liebsten würde ich fluchen wie ein Rohrspatz. Gerade als ich mich dazu entschlossen hatte, mir einen etwas respektableren Anstrich zu verleihen, indem ich meine Kleidung in Ordnung halte, trifft mich dieser verfluchte, höllische Donnerschlag und bringt mich um meine vier Anzüge und den einzigen wirklich ordentlichen Mantel, den ich besitze, also um das Minimum dessen, was nötig ist, um anständig auszusehen! Zum Hades mit allem!40
Natürlich tauchte das Diebesgut nicht wieder auf, obwohl Lovecraft Besuch von einem Polizeibeamten bekam, der versprach, sein Bestes zu tun. Doch letztlich gelang es Lovecraft, auf die ganze Situation mit erstaunlichem Humor zu reagieren. Nur zwei Tage später macht er sich in einem langen Brief an seine Tante Lillian über seine missliche Lage lustig:
Weh über die Gewänder meiner Kindheit in ihrem immerwährenden Glanz, die in der Blüte ihrer ersten paar Jahrzehnte dahingerafft wurden – nicht vom Sensenmann, sondern von räuberischen Händen! Sie kannten den schlanken jungen Knaben früherer Tage & wuchsen, um den beleibten Bürger der Lebensmitte zu kleiden & schrumpften wieder zusammen, um die weise gewordenen Glieder des Alters zu bergen! Und jetzt sind sie dahin – dahin & der graue, gramgebeugte Träger lebt weiter, um seine Blöße zu beklagen, und rafft um seine mageren Weichen so gut es geht die Strähnen seines langen weißen Bartes, die ihm von nun an als Kleidung dienen müssen!41
Dieser scherzhaften Klage hat Lovecraft eine äußerst witzige Zeichnung beigefügt, die ihn zeigt, wie er, nur mit einem Gürtel bekleidet, den er um seine knielangen Haare und den ebenso langen Bart geschlungen hat, vor einem Bekleidungsgeschäft steht, in dessen Schaufenster Anzüge zum Preis von 35 und 45 Dollar ausgestellt sind, in den Händen ein Plakat mit der Aufschrift »I want my clothes!«. Die Erwähnung der »Gewänder meiner Jugend« spielt auf Lovecrafts Gewohnheit an, seine Anzüge Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang zu tragen – er berichtet, dass sich unter den Kleidungsstücken, die die Diebe verschmäht hatten, ein Sommermantel von 1909, ein Wintermantel von 1915, ein leichter Mantel von 1917 und verschiedene Hüte, Handschuhe und Schuhe befanden, für die kein Kaufdatum angegeben ist.
Was folgte, war eine fünfmonatige Suche nach den billigsten und zugleich geschmackvollsten Anzügen, die Lovecraft sich zu tragen überwinden konnte. In dieser Zeit erwarb er nicht nur eine intime Kenntnis preiswerter Herrenausstatter, sondern lernte auch die Grundbegriffe der Feilschkunst. Lovecraft fühlte sich unwohl, wenn er nicht mindestens vier Anzüge besaß: zwei helle und zwei dunkle, davon jeweils einen für den Sommer und einen für den Winter. Nach entsprechenden Beratungen mit Long, Leeds und anderen zweifelte er zwar daran, dass es überhaupt möglich war, einen akzeptablen Anzug für weniger als 35 Dollar zu bekommen, aber er war entschlossen, es wenigstens zu versuchen. Anfang Juli, als Sonia in der Stadt war, gelang es ihm, in einer Filiale des Herrenausstatters Monroe Clothes einen grauen Anzug mit hinreichend konservativem Schnitt für 25 Dollar zu finden. »Insgesamt hat der Anzug«, so Lovecraft, »eine erfreuliche Ähnlichkeit mit meiner allerersten langen Kombination, die wir im April 1904 bei Browning