Sehnsucht nach Zypern. Julia Lehnen

Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen


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Das Plätschern des Baches entspannte sie. Wenn man eine Weile dasaß und das Licht sich auf den Blättern der Goldeiche spiegelte, dann funkelten sie tatsächlich golden und der Bach silbern.

      Das würde ihr Lieblingsplatz sein.

      Hier könnte sie lesen oder sich nach der Arbeit ausruhen. Wenn sie bleiben konnte ...

      Sie legte ihre Hand auf die warmen Steine, sie wollte genau hier bleiben und hatte nicht die geringste Absicht, irgendwo anders eine Wohnung zu suchen. Denn der Geruch nach Flusssteinen und Algen rief die Erinnerung an den Arnsberger Wald in ihrer Heimat hervor.

      Sie liebte es, mit ihrem Jagdhund Timmy dort spazieren zu gehen, meist mit den Wanderschuhen direkt durch das Flussbett der flachen Bäche, wo sie die Pflanzen am Ufer wie einen Urwald wahrnahm, wie eine Überraschung und ein Abenteuer, als wäre sie der erste Mensch und würde alles neu entdecken.

      Den Geruch nach Wasser, Steinen und Moos hatte sie auch in der Nase, wenn sie um die Stauseen ihrer Heimat Fahrrad fuhr oder sich mit ihren Freunden im Ruderclub traf und den Hennesee im Boot überquerte.

      Als sie wieder zum Haus zurückkam, fragte Alexandros, der gerade Tomaten aus dem Gemüsegarten pflückte:

      »Willst du nicht duschen?«

      »Das mache ich, wenn ich einen Duschvorhang besorgt habe.«

      Alexandros schüttelte wortlos den Kopf, verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit einem Tablett wieder zurück.

      »Zum Mittagessen haben wir Horiatiki Salata, dazu gibt es Ofenkartoffeln mit Talattouri.«

      Marie fragte sich, was »Horiatiki« hieß, das Wort war ihr im Griechischbuch nicht begegnet.

      Als sie Tomaten, Gurken, Schafskäse und Oliven auf dem Teller hatte, schloss sie, dass es sich um einen Bauernsalat handeln musste. Er schmeckte wunderbar frisch, genauso wie Talattouri, was ein zypriotischer Begriff für »Tzatziki« zu sein schien.

      Er beobachtete sie eine Weile stirnrunzelnd und fragte dann:

      »Also: Was hast du bisher im Studium gemacht?«

      Marie überlegte gut, bevor sie sprach. Sie wollte ihm klar machen, dass er es mit jemandem zu tun hatte, der auf Augenhöhe mit ihm war.

      »Ich habe schon mehrere Praktika absolviert, das letzte im Hochsauerlandkreis. Wir haben Wanderkarten erstellt und die Wege möbliert, das heißt Schilder, Bänke, und Abfallbehälter aufgestellt.«

      Marie holte Luft, bevor sie fortfuhr:

      »Dann haben wir einen Aussichtsturm errichtet und einen Sinnespfad angelegt. Unsere Erfahrungen kann ich gern an euch weitergeben.« Selbstbewusst schaute sie ihn an.

      »Ich bezweifle, dass sich die Situation in Deutschland mit der auf Zypern vergleichen lässt. Wir sind bisher gut allein zurechtgekommen. Und übrigens: Bänke gibt es auch auf unseren Wanderwegen, vielleicht schaust du sie dir mal an, bevor du uns gutgemeinte Ratschläge gibst.« Er stand auf, holte ein Büchlein in Din A5-Format aus dem Haus und schob es ihr zu: »Fünfzig Wanderwege auf Zypern«.

      Das war ein deutsches Buch, das sie wohl bei ihrer Recherche übersehen hatte. Mist!

      »Alles Weitere kannst du mit unserem Chef besprechen.«

      Mit diesen Worten stand er vom Tisch auf und verschwand im Haus.

      ***

      Als sie ihr Geschirr in die Küche brachte und in die Spüle stellte, saß Alexandros am Küchentisch und trank einen Kaffee. Sie fragte:

      »Arbeiten wir eigentlich morgen auch?«

      Zuerst nickte er gedankenverloren, doch dann fiel ihm etwas ein.

      »Morgen ist Samstag, da bin ich nicht da, ich fahre für das Wochenende nach Nikosia. Zu Essen findest du genug im Kühlschrank.«

      Marie schaltete erst nach einer Weile:

      »Nikosia soll eine interessante Stadt sein.«

      Alexandros reagierte nicht.

      »Ich würde sie mir gern ansehen.«

      Ihr Gegenüber schwieg.

      »Würdest du mich mitnehmen? Ich werde mir dort eine Pension suchen.«

      »Ich starte Punkt neun Uhr«, erwiderte Alexandros schlicht.

      Abends rief sie ihre Freundin Corinna an. Dummerweise gab es nur das uralte Telefon im Büro, denn das Mobilnetz funktionierte im Haus nicht. Sie konnte das Gerät nicht mit in ihr Zimmer nehmen, da die Schnur zu kurz war.

      Alexandros saß am Schreibtisch und arbeitete, sodass er das gesamte Gespräch mithörte. Gut, dass er kein Deutsch verstand.

      Corinna erzählte von ihrem Arbeitstag und fragte schließlich:

      »Und wie ist es, erzähl doch mal!«

      »Ganz schön.« Sie schaute verstohlen zu Alexandros, der etwas aus einem Buch in seinen Computer tippte und immer wieder den Blick zum Telefon hob.

      »Beschreib doch mal die Landschaft, die Menschen. Die Griechen sollen doch so leidenschaftlich sein.«

      »Die Landschaft ist genau so, wie ich sie liebe. Ich wache morgens bei blauem Himmel auf und sehe die rotbraunen Berge, davor das Grün der Pfirsichbäume, deren Blätter sich langsam gelb färben.«

      »Und wie sind die Städte?«

      »Das kommt noch. Ich fühle mich ehrlich gesagt ein bisschen alleine.«

      »Ich vermisse dich auch, Marie. Abends ins Brazil gehen macht gar keinen Spaß ohne dich. Warum hast du dich nicht für dieses Projekt in Belgien entschieden? Zypern ist so weit weg!« Sie seufzte. »Komm einfach zurück, wenn es dir nicht gut geht. Sei bloß nicht stur. Zuhause ging es dir doch gut. Du musst niemandem etwas beweisen!«

      Alexandros war aufgestanden, füllte mit seinem Körper den gesamten Türrahmen aus und fixierte das Telefon.

      »Doch«, sagte Marie laut und deutlich. Sie hatte das Gefühl, dass sie dann am lebendigsten wurde, wenn sie anderen etwas beweisen konnte, besonders Männern. »Ich melde mich noch einmal, wenn ich alleine bin und in Ruhe mit dir sprechen kann.«

      4.

      Kapitel

      Beim Frühstück saß sie in einem ärmellosen grünen Leinenkleid auf der Terrasse und freute sich auf ihren ersten Ausflug in die Inselhauptstadt.

      Als Alexandros in lässigen Shorts und ebenso legerem Kurzarmhemd aus dem Haus kam, nahm sie die Narbe wahr, die sich längs über sein rechtes Knie zog.

      Währenddessen wanderten seine Augen einmal von oben nach unten an ihrem Outfit entlang. Weil sie sich hingesetzt hatte, war das Kleid leicht nach oben gerutscht, sodass es ihre Knie freiließ.

      Sie zog das Kleid nach unten und dachte auf einmal an Daniel, den Womanizer aus der Disco, in die sie früher manchmal mit ihren Freundinnen gegangen war. Alexandros hatte den gleichen Blick, was Frauen anging, als hätte er schon viele so angesehen.

      Normalerweise reagierte sie allergisch auf solche Blicke, doch sie sagte nichts, weil Alexandros ihre Mitfahrgelegenheit war. Er schien unschlüssig, was er von ihrem Erscheinungsbild halten sollte, schließlich meinte er:

      »Das geht so nicht, kannst du dich umziehen?«

      »Warum?«

      »Erkläre ich dir später. Zieh dich an wie zur Arbeit.«

      Marie überlegte, ob sie auf Alexandros‘ Anliegen eingehen sollte. Warum sollte sie sich verkleiden? Sie war so froh gewesen, ihre Sommerkleider zu tragen. Der einzige Grund könnte sein, dass sie in dieser Einöde auf ihn angewiesen war. Widerwillig zog sie sich um.

      Als sie mit ihrer dunkelgrünen Arbeitshose und einem schwarzen Top nach draußen kam, fragte Alexandros ungeduldig:

      »Hast du kein Oberteil, das unscheinbarer ist?«


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