Sehnsucht nach Zypern. Julia Lehnen

Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen


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Alexandros. Der ging gar nicht auf ihre Äußerungen ein, sondern legte eine Hand um ihre Taille und schlug mit rauer Stimme etwas vor, das Marie als: »Lass uns zu dir gehen. Sofort!« interpretierte.

      Seine Begleiterin schaute in ihre Richtung und wechselte ins Englische:

      »Machen wir, wir trinken nur einen Kaffee mit Dionissis, der will mir die Skripte für die Public Relations-Prüfung geben.«

      Sie wies auf ein Café am Eingang der Altstadt hin, in dem sie sich offensichtlich verabredet hatte. Sie musterte Marie immer noch aus dem Augenwinkel, als überlegte sie, was sie mit ihr anfangen sollte. Schließlich reichte sie ihr die Hand und eröffnete das Gespräch mit den Worten:

      »Ich bin Ariadne, Alexandros‘ Verlobte, und wer bist du?«

      »Ich bin Marie. Schön dich kennenzulernen. Ich mache momentan ein Praxissemester und wollte mir heute die Stadt ansehen.«

      »In Arbeitsuniform?«

      Offensichtlich hatte Alexandros Ariadnes Eifersucht befürchtet, doch davon war nichts zu spüren.

      Marie war genervt, besonders von ihrer dunkelgrünen Arbeitshose, die sie bei gefühlten fünfunddreißig Grad am liebsten sofort ausgezogen hätte.

      Ariadne starrte sie immer noch an und verengte dabei die Augen. Plötzlich öffnete sie sie ganz weit, als käme ihr eine Idee. Sie winkte Marie, ihr zu folgen. Im Weggehen rief sie Alexandros zu:

      »Bestell schon mal einen Kaffee, wir sind sofort wieder da.«

      Dann wandte sie sich an Marie.

      »Wir kaufen etwas anderes, so kannst du nicht rumlaufen, mit der Hose gehst du ein bei der Hitze.«

      Marie stimme ihr zu.

      Gemeinsam gingen sie die Ledra-Straße entlang, bis sie vor dem Schaufenster eines Ladens ankamen, der mit dem Logo »Totally sexy« warb. Laute Musik drang aus dem Eingang heraus, neonfarbene Shirts hingen davor.

      Während Ariadne schon in das Geschäft hineingehen wollte, blieb Marie wie angewurzelt stehen.

      »Tut mir leid, aber in den Laden will ich nicht, Ariadne, das ist nicht meine Welt. Warum soll ich sexy aussehen? Ich arbeite mitten im Wald. Gibt es vielleicht einen Fairtrade-Shop?«

      Ariadne runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, dann blieb ihr Blick an einem Souvenirgeschäft hängen, vor dem Tischdecken aus Spitze ausgestellt waren.

      »Hier, alles handgemacht. Du unterstützt die zypriotische Wirtschaft und das Handwerk.«

      Sie begleitete Marie hinein, nahm ein wollweißes Spitzenkleid vom Bügel und reichte es ihr zum Anprobieren. Marie zog es an und trat vor die Kabine.

      »Ich finde, das sieht wie ein Nachthemd aus.«

      »Warte mal...« Ariadne holte einen braunen Ledergürtel dazu. Nachdem Marie ihn umgelegt hatte, empfahl Ariadne:

      »Perfekt! Und was sagst du? Wenn du jetzt noch das Haargummi herausnimmst, dann fallen deine blonden Haare ganz locker über die Schultern. Du bist groß und blond, das ist total attraktiv!«

      Marie hatte den Eindruck, sie wolle ihr Selbstsicherheit einflößen, aber wozu?

      »Attraktivität gut und schön, aber Frauen sollten nicht nur nach ihrem Äußeren beurteilt werden.«

      »Das sehe ich genau so, aber Attraktivität und Intelligenz müssen sich doch nicht widersprechen! Du könntest deine wunderschönen grünen Augen noch etwas hervorheben. Schminkst du dich gerne?«

      »Wenn ich abends mal ausgehe und am liebsten mit Naturkosmetik, aber gibt es die auf Zypern?«

      Ariadne zuckte die Achseln.

      »Nein, ich glaube nicht ... Ach doch, die Rosenkosmetik aus Agros, alles ganz natürlich, aber da kommen wir jetzt nicht hin. Es muss auch so gehen.« Sie schaute zufrieden an Marie herunter, als wäre sie ihre Stilberaterin.

      Obwohl Marie immer noch überrascht von der Einkaufstour war, fühlte sie sich viel besser als in Alexandros’ T-Shirt und ihrer Arbeitshose.

      Der Stoff ihres neuen Kleides fiel angenehm leicht, und ihre Finger ertasteten die zarten Stickereien. Sie liebte die feinen Muster und war beeindruckt, dass zypriotische Frauen die filigranen Linien und Verzierungen selbst gestickt hatten. Mit dem Gürtel sah ihr neues Kleid gut aus.

      Unauffällig musterte sie Ariadnes Gesicht. Sie hatte zarte, helle Haut, sorgfältig gezupfte Augenbrauen und war perfekt geschminkt.

      Nachdem sie bezahlt hatte, wandte sie sich an ihre Begleiterin:

      »Und, was machst du? Studierst du auch?«

      Ariadne lächelte sie an.

      »Ja, Kommunikationswissenschaften, ich suche gerade ein Thema für meine Masterarbeit. Bis jetzt habe ich ›Wie Internet und soziale Medien unsere Kommunikation verändern‹.«

      »Das klingt wirklich spannend.«

      Sie gingen zum Café zurück, wo neben Alexandros ein junger Mann wartete, der einen halben Kopf kleiner war als Marie. Er trug eine Brille mit ovalen Gläsern, war weniger muskulös und durchtrainiert als Alexandros und hatte den Kopf kahl rasiert. Bewundernd, fast andächtig schaute er zu ihr auf, wie zu einer Madonnenstatue.

      Erst als ihm Ariadne eine Frage stellte, holte er einen Stapel Prüfungsunterlagen aus seiner Tasche und überreichte sie ihr. Daraufhin präsentierte Ariadne ihm Marie, als wäre sie die Belohnung für seine Bemühungen:

      »Das ist Marie, sie ist ganz allein auf Zypern und sieht sich heute die Stadt an.«

      Marie setzte sich auf das weiße Kunstledersofa und schaute unbehaglich auf den Kristallleuchter, der das Café dominierte.

      Offensichtlich hatte Ariadne sie gestylt, um sie mit Dionissis zu verkuppeln. Immerhin machte er einen netten Eindruck.

      Sie bestellten Frappés, und Ariadne fragte nach Maries Plänen. Sie sagte, sie würde gerne die wichtigsten Sehenswürdigkeiten anschauen.

      »Okay, dann zeigen wir dir die Altstadt.«

      »Marie schaut sie sich lieber in ihrem eigenen Tempo an«, meinte Alexandros. Und dann zu Ariadne gewandt auf Griechisch etwas wie: »Wir wollen auch Zeit miteinander verbringen.«

      »Wir gehen doch sowieso in die Richtung«, beschwichtigte ihn Ariadne mit einem Lächeln.

      ***

      Während sie an belebten Straßencafés vorbei durch die Altstadt schlenderten, blieb Alexandros plötzlich vor einem hellgelben Haus stehen.

      Er hob den Kopf und fixierte das Schild, das an einem Fenster der oberen Etage angebracht war: »To rent«.

      »Hier kannst du einziehen«, schlug er vor, »mitten in der Altstadt. Das ist doch perfekt. Notier dir am besten die Telefonnummer, da du nur noch ein paar Tage im Forsthaus bleiben kannst.«

      Ein zaghaftes Lächeln bewegte Dionissis’ Mundwinkel nach oben.

      »Gute Idee! Wir könnten abends ausgehen: Theater, Kino, Restaurant – und mit dem Auto fährst du morgens zum Forsthaus.«

      Ariadne stimmte zu:

      »Ich finde es sowieso komisch, dass sie dir nicht sofort eine Wohnung anbieten.«

      »Dann müsste ich jeden Morgen mit dem Auto zur Arbeit und nachmittags wieder zurück. Zwei Stunden Fahrzeit wären unökologisch. Es ist doch viel einfacher, genau da zu wohnen, wo man arbeitet.«

      Wie wohl sie sich in dem alten Forsthaus fühlte, sagte sie nicht. Mitten im Wald war sie genau richtig, der Geruch beruhigte sie. Wenn Bäume in der Nähe waren, hatte sie etwas, woran sie sich festhalten konnte. In der Stadt war sie immer ein wenig desorientiert, am falschen Platz. Die vielen Menschen und der Lärm verwirrten sie.

      Alexandros schüttelte den Kopf, als wäre sie ein hoffnungsloser Fall, und ging mit Ariadne weiter.

      Dionissis


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