Sehnsucht nach Zypern. Julia Lehnen

Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen


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Darf ich fragen, was das soll, Alexandros?«

      Der lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

      »Ich finde es wichtig, dass unsere Kollegin«, er schaute sie nicht an, »merkt, was sie erwartet und sich eine andere Stelle sucht, bevor sie nach ein paar Wochen zusammenbricht. Außerdem sollte sie sich eine Wohnung suchen, in der sie besser regenerieren kann. Wenn ich ganz ehrlich bin: für die schwere Arbeit brauchen wir einen männlichen Praktikanten.«

      Während Marie die Praktikumsunterlagen aus ihrem Zimmer holte, war ihr eines ganz klar: Wenn das Gespräch mit dem Chef nicht zu einem guten Ende kam, würde sie das Praktikum beenden.

      Stavros nahm ihre Unterlagen und verglich sie mit einem aufgeschlagenen Aktenordner auf seinem Schreibtisch.

      »Die Informationen sind korrekt: Marie Sommer, vier Monate Praktikum, Mitarbeit bei der Konzeption des Zedernwanderwegs.«

      Ihre Erleichterung bekam einen Dämpfer, als Stavros seufzte und die Unterlagen bei Seite schob.

      »Leider liegt die Konzeption der Wege momentan auf Eis. Ich hätte mich so gern mit dir über deine Ideen für mehrtägige Routen ausgetauscht, aber zurzeit ...«

      »Liegt der Fokus auf körperlicher Arbeit« fuhr Alexandros fort, »und weil die für sie zu schwer ist, stellen wir den Antrag, dass wir einen männlichen Kollegen bekommen.«

      Stavros wirkte unbehaglich.

      »Aufgrund des europäischen Gleichstellungsgesetzes hat man keinen Einfluss auf die Auswahl der Praktikanten. Wir sprechen später darüber.«

      Normalerweise hätte sie an dieser Stelle protestiert und gesagt, dass sie der körperlichen Arbeit genauso gewachsen war wie jeder Mann, aber die Arbeit in den letzten Tagen hatte zu viel Kraft gekostet.

      Marie kamen die Tränen. Sie drehte sich so, dass Alexandros ihr nichts ins Gesicht sehen konnte. Stavros stand auf und sprach zu ihr mit einer Entschiedenheit, die sie ihm nicht zugetraut hätte:

      »Du nimmst keine Anweisungen mehr von Alexandros an, hörst du? Du bleibst hier, pflanzt in deinem Tempo und wenn du nur zehn Bäume am Tag setzt, ist das in Ordnung! Die Gewerkschaft hat hart dafür gekämpft, dass wir täglich nur bis fünfzehn Uhr arbeiten müssen.«

      Sie nickte dankbar. Seine Worte taten ihr extrem gut. Er setzte sich wieder und fuhr fort:

      »Wir haben ganz andere Schwierigkeiten. Normalerweise zeichnen wir den Plan für den Wanderweg, entscheiden, welche Bäume in welchem Abstand gepflanzt werden, und überprüfen, ob wir Maschinen brauchen. Wir sorgen dafür, dass täglich die Setzlinge aus der Baumschule geliefert werden, die die Forstarbeiter unter unserer Aufsicht einpflanzen.« Stavros wurde immer leiser und brach schließlich ganz ab.

      »Und wo ist das Problem?«, fragte Marie vorsichtig.

      Er nahm einen neuen Anlauf.

      »Wir haben den Plan für den Wanderweg entworfen, Baumarten ausgesucht, den Abstand festgelegt, einen Praktikanten beantragt ...«, er nickte ihr zu, »... und dann fingen die Schwierigkeiten an: Es gibt keine Setzlinge mehr und noch schlimmer ist, dass wir keine Maschinen und keine Arbeiter bekommen.«

      Er saß da, als wäre alle Luft aus ihm gewichen.

      »Das Schlimmste ist, dass wir nicht erfahren, warum. Es gibt nur Vermutungen. Es ist nicht sicher, ob ein Wanderweg eingerichtet wird oder eine Straße. Ich muss unbedingt herausbekommen, was los ist.«

      Nachdem Marie fünfzig Zedern gepflanzt hatte, verstand sie die Welt nicht mehr.

      »Aber wenn es keinen Wanderweg gibt, pflanzen wir die Zedern umsonst, sie stehen für eine Straße zu eng und müssten verpflanzt oder platt gewalzt werden. Warum machen wir das überhaupt und warten nicht ab, was entschieden wird?«

      Stavros nickte.

      »Das wollte ich auch, aber ... Bisher lief immer alles so gut in der Forstbehörde. Es gab nie Probleme. Solange ich hier arbeite, gab es immer nur scheinbare Schwierigkeiten. Man musste nur anrufen oder persönlich miteinander reden, und dann hat sich alles geklärt. Immer! Wirklich! Aber durch die Wirtschaftskrise ...«

      Jetzt schaltete sich Alexandros ein. Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte.

      »Und ich habe mich nie auf die Forstabteilung verlassen. Sondern immer nur auf mich selbst.« Er zeigte ihnen seine offenen Hände, die Marie wie riesige Pranken vorkamen. »Damit kann ich die ganze Insel bepflanzen und das tue ich auch. Vielleicht entscheiden sich die Verantwortlichen für einen Wanderweg, wenn alle Bäume stehen. Straßen werden normalerweise erst im Oktober oder November gebaut. Bis dahin ist unser Zedernweg fertig.«

      Er erhob sich, ging nach draußen und griff nach seiner Hacke.

      Marie war durcheinander. Sie arbeitete an einem Projekt mit, das jederzeit gestoppt werden konnte. Was sie verstand, war, dass die Forstbehörde einen Zedernwanderweg bewilligt hatte und dass jetzt nichts mehr weiter ging.

      In Deutschland würde sie nicht eher ruhen, bis sie herausfände, wer aus welchen Gründen dagegen war. Und hier? ... würde sie genau das auch sehr gerne wissen.

      Stavros bemerkte ihre Enttäuschung und schlug vor:

      »Ich nehme dich mit nach Omodos und stelle dich meiner Frau Ludmilla und den Kindern vor. Das wird dich auf andere Gedanken bringen.«

      ***

      Während der Autofahrt erklärte er:

      »Das Forsthaus ist ein bisschen abgelegen. Es sind zwar alle Arbeitsgeräte da, und es liegt direkt am Wanderweg, aber du kannst gerne hier ins Dorf ziehen oder in die nächste Stadt.«

      Die Familie wohnte in einem umgebauten Bauernhaus am Ortsrand. Die Fassade aus hellgrauen Flusssteinen war liebevoll restauriert, die dunkelbraunen Holzbalken zwischen erster und zweiter Etage befanden sich noch im Originalzustand.

      Innen zeigte ihr Stavros’ Frau Ludmilla stolz eine blankpolierte hölzerne Küchenzeile und ein nagelneues Bad mit blitzenden Armaturen und strahlend weißer Dusche.

      Marie freute sich, Ludmilla kennenzulernen. Die junge Frau aus der Ukraine schaute sie fröhlich an. Sie hatte rote schulterlange Haare und eine winzige Lücke zwischen den Vorderzähnen. Ihre Kinder, Loukas, fünf, und Katharina, drei, schaukelten und rutschten im Garten. Marie ging nach draußen und spielte gleich mit den Kindern Fangen.

      Anschließend half sie Ludmilla beim Salatschneiden auf der Terrasse und erfuhr, dass die junge Frau seit acht Jahren auf der Insel war und sich hier wie Zuhause fühlte. Zurzeit kümmerte sie sich um ihre Kinder und den Haushalt, manchmal half sie abends in einem Restaurant im Dorf aus. Sie las, wann immer sie die Zeit dazu fand, und vermietete ein Zimmer unter dem Dach an eine englische Malerin, die im Sommer zum Malen nach Zypern kam.

      »Das kann ich gut nachvollziehen«, meinte Marie und schaute übers Tal zu den Weinhängen, die im Licht der Nachmittagssonne grün, gelb und rot leuchteten.

      Beim Abschied entdeckte Marie vor Stavros‘ Haus ein orangefarbenes Motorrad.

      »Eine Kawasaki-Maschine«, stellte sie fest.

      »Fährst du auch Motorrad?«, fragte Stavros.

      Als Marie nickte, bot er an, ihr die Maschine auszuleihen. Marie strich über das glatte, warme Metall.

      »Wenn du sie an einem der nächsten Wochenenden entbehren kannst, gerne.«

      »Klar! Sag mir einfach, wenn du sie brauchst. Helm und Lederkombi kannst du von Ludmilla leihen, sie fährt seit der Geburt der Kinder nicht mehr.«

      Auf dem Rückweg zum Forsthaus fragte Marie Stavros, warum er nicht auch dort lebte. Stavros lächelte.

      »Früher mussten die Förster in diesen Häusern leben, da die Straßen zu den nächsten Ortschaften schlecht waren. Heute kann ich hier im Dorf bei meiner Familie wohnen und komme morgens zum Forsthaus. Von dort aus arbeite ich bis nachmittags und fahre dann wieder zu meiner Familie nach Omodos zurück.« Erleichtert atmete er aus. »Alexandros


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