Sehnsucht nach Zypern. Julia Lehnen

Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen


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veranschaulichten. Marie hatte das Gefühl, erst jetzt zu verstehen, wo sie eigentlich war. Sie begab sich nach draußen zum botanischen Lehrpfad hinter dem Zentrum.

      Auf wenigen hundert Metern wuchsen rechts und links eine Vielzahl von typischen Pflanzen, und zahlreiche Gesteinsproben waren zu sehen.

      Marie blieb vor einer zwei Meter großen Zeder stehen, holte ihre Kamera heraus und begann zu fotografieren. Zuerst die Zeder und dann eine hohe Schwarzkiefer im Hintergrund. Sie atmete die klare würzige Bergluft ein und betrachtete den hellblauen Himmel. Das tat so gut!

      Auf einmal merkte sie, dass sich etwas in ihrer Umgebung veränderte. Sie wandte den Kopf nach hinten.

      Der Kollege aus dem Besucherzentrum stand hinter ihr.

      »Einfach überwältigend, diese Zedern, oder?«

      »So viele auf einmal habe ich noch nie gesehen.«

      »Ich habe jetzt Feierabend, lass uns doch in einem Café am Dorfplatz etwas trinken! Ich bin übrigens Gregorios.«

      »Sehr gerne«, stimmte Marie ihm zu. Sie konnte ein wenig freundliche Gesellschaft gebrauchen.

      ***

      Vom Café aus bewunderte sie die Häuser aus massiven grauen Steinen, die die Hauptstraße säumten.

      »Genau in diesen Häusern haben britische Beamte gearbeitet. Als die Briten die Regierung Zyperns übernahmen, haben sie die Verwaltung der Insel in den heißen Sommermonaten ins Troodos Gebirge verlegt. Der Gouverneur hatte hier sogar einen eigenen Tennisplatz.« Gregorios schmunzelte und erklärte dann: »Mein Vater kommt aus England, daher weiß ich das. – Fühlst du dich wohl im Forsthaus?«

      »Ja, schon. Das Forsthaus ist toll, auch der Garten und die Terrasse.« Marie biss sich auf die Lippen und schluckte. Dann lächelte sie tapfer. »Ich bin noch dabei, mich einzugewöhnen.«

      Wie konnte es sein, dass er so nette Sachen sagte und Alexandros sie ständig provozierte? Vielleicht könnte sie tauschen.

      »Ist im Besucherzentrum noch ein Platz frei?«

      Gregorios schüttelte den Kopf.

      »Wir arbeiten hier nur zu zweit. Ich beantworte die Fragen der Touristen und meine Kollegin verkauft Postkarten und Bücher.«

      Während sie zurück zum Motorrad gingen, drangen Geräusche einer Motorsäge an ihr Ohr. Zwei riesige Zedern fielen krachend vor dem Besucherzentrum zu Boden.

      Gregorios hielt kurz in seiner Bewegung inne und rannte dann los, Marie lief hinterher, bis sie zum Rand der Baugrube kamen. Gregorios hatte noch den Anstecker mit seinem Namen und dem Aufdruck des Forest Departments an seiner Weste. Er packte den Arbeiter mit der Säge am Kragen und brüllte:

      »Was ist hier los?«

      »Die waren im Weg, für den Pool«, erklärte der Arbeiter in gebrochenem Englisch. »Wenn das Hotel fertig ist, fällt das nicht mehr auf.«

      »Hotel? Welches Hotel?« Gregorius fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen und atmete tief aus. »Tut mir leid, Marie, ich muss telefonieren.«

      Wut stieg in ihr hoch, ihre Wangen glühten. Am liebsten hätte sie sich die Kettensäge gepackt und wäre auf die Bauarbeiter losgegangen.

      Sie trat zu den Baumriesen, die gefällt am Boden lagen, und legte die Hand auf die zerklüftete Rinde. Durch den Baumumfang und die Jahresringe konnte sie abschätzen, dass die Bäume mindestens sechzig Jahre alt sein mussten. Sie wandte den Blick ab, konnte die prächtigen Nadelbäume nicht am Boden liegen sehen.

      Wehe, wenn sie noch einen Bauarbeiter sähe, der einem Baum zu Leibe rückte. Doch die Arbeiter waren verschwunden. In diesem Nationalpark sollte kein weiterer Baum gefällt werden. Dafür würde sie sorgen.

      9.

      Kapitel

      Am nächsten Tag berichtete Marie Stavros von dem Hotelbau im Nationalpark und fragte nach Neuigkeiten. Der tauchte gerade den Wurzelballen einer mickrigen Zeder in einen Wasserkübel und hielt inne.

      »Ein Mitarbeiter der Forstbehörde teilte mir mit, dass ökologischer Tourismus angesichts der Wirtschaftskrise nicht mehr im Vordergrund steht.«

      »Das rechtfertigt doch nicht, dass Leute mitten im Nationalpark Zedern fällen. Mach etwas dagegen, Stavros!« Marie schaute auf die wenigen Setzlinge, die noch vor dem Schuppen standen.

      »Ich würde abwarten, Marie. Du weißt nicht, wie es hier ist. Bisher lief alles gut, wir hatten keine Konflikte. Beim Hotelbau vor dem Besucherzentrum gab es bestimmt ein Missverständnis mit der Baugenehmigung. Ich rufe Gregorios heute an.«

      »Wir pflanzen einfach weiter!« Alexandros nahm gleich einen Setzling und begann, das nächste Loch zu graben.

      Vielleicht sollte sie seine Einstellung übernehmen: Zupacken, ohne lange nachzudenken! Das gefiel ihr deutlich besser, als abzuwarten.

      ***

      Nach Feierabend legte sie sich auf eine Decke unter eine amerikanische Eiche im Garten. Sie brauchte das, den Kontakt zum Boden, sich von der Erde getragen fühlen, in die grünen Blätter vor dem blauen Himmel schauen und die frische Luft einatmen.

      Kurze Zeit später rief sie ihre Freundin Corinna an.

      »Mit dem Praktikum läuft es nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe«, und sie erzählte alles, was sie in den letzten Tagen erfahren hatte.

      Corinna hörte eine ganze Weile zu, bis sie sich einschaltete:

      »Weißt du, du hast dir in der Ausbildung und im Studium so viel abverlangt, du wolltest es allen beweisen, hast du ja auch getan. Vielleicht ist es genau so, wie dein Vorgesetzter sagt, alles wird sich irgendwie klären, so wie immer. Und wenn nicht, soll sich doch dein Chef darum kümmern, der wird dafür bezahlt!«

      Mit ihrer linken Hand strich Marie über Grashalme, während sie Corinna zuhörte.

      »Hey, genieß einfach mal, die Insel soll so schön sein. Schau sie dir doch an. Ich würde deinen Aufenthalt als eine Art Urlaub sehen.«

      Marie spürte, wie sie innerlich lockerer wurde, entspannte und Corinnas letzten Satz tief in sich aufnahm.

      »Tu dir etwas Gutes, Marie!«

      Nach dem Gespräch stand sie auf und legte ihre Hand auf den Eichenstamm. Sie spürte die Kraft darin, die ihr Halt gab.

      Corinna hatte Recht. Manchmal sah sie Gespenster. Sie dachte, die ganze Welt hätte sich gegen sie verschworen, dabei war alles in Ordnung. Genau wie hier: dieser Baum stand noch, und seine Energie floss durch sie hindurch. Sie konnte sich beruhigen.

      In den nächsten Tagen ging ihr die Arbeit leichter von der Hand: Loch hacken, Zeder einpflanzen, Erde darüber, wässern. Sie hatte zwar mit einer abwechslungsreicheren Tätigkeit gerechnet, aber immerhin war der Himmel jeden Morgen blau, die Sonne schien, und es war angenehm warm. Das herrliche Wetter war ein Grund, warum sie sich für Zypern entschieden hatte.

      ***

      Da sie die Zedern schon vormittags eingepflanzt hatten, nahm Stavros sie und Alexandros mit zur Scheunendachkirche von Kakopetria.

      Während der langen Fahrt über kurvige Gebirgsstraßen fragte Marie ungläubig, wie sie es schaffen sollten, einen Wanderweg von Omodos bis zu diesem abgelegenen Dorf anzulegen.

      Stavros beruhigte sie.

      »Wir brauchen nicht den gesamten Wanderweg neu zu planen und bis hier hin Zedern zu pflanzen. Es gibt bereits unzählige Wege. Wir legen zurzeit nur das Verbindungsstück von Omodos nach Platres an.«

      Sie erreichten die Scheunendachkirche des heiligen Nikolaus, parkten und gingen zur Wiese vor der Kirche. Als sie auf das Dach schaute, stellte Marie fest, dass das Kuppeldach von einem zweiten höheren Dach bedeckt wurde.

      Stavros zeigte darauf.

      »Die Scheunendächer dienen zum Schutz vor dem Wetter.


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