Sehnsucht nach Zypern. Julia Lehnen

Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen


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zögerte und murmelte schließlich:

      »Ich wollte gerne in den Süden und dann habe ich mich eben für die Insel der Aphrodite entschieden.«

      »Ich fasse es nicht.« Alexandros schüttelte den Kopf. »Auf der Insel der Aphrodite Momente der Leidenschaft erleben. Die Tourismus-Propaganda ist okay, wenn es darum geht, Gäste an die Strände zu locken, aber solche Leute können wir zum Arbeiten nicht gebrauchen. Wahrscheinlich träumst du beim Zedernpflanzen von Adonis.«

      »Jedenfalls nicht von dir«, hätte sie fast gesagt, äußerte aber dann: »Keine Sorge, von Adonis habe ich erstmal genug. Ich möchte einfach etwas Neues kennen lernen ...«

      »Das glaube ich dir nicht.« Alexandros hielt ein hellbraunes Schneckenhaus hoch, das er von einem Tomatenblatt abgenommen hatte. »Zuerst lebst du in deinem Schneckenhaus in Deutschland, und kaum bist du auf Zypern, ziehst du dich in dieses Forsthaus zurück, dein neues Schneckenhaus.«

      Marie nahm ihm die Schnecke ab.

      »Das ist totaler Quatsch. Ich habe in Deutschland nicht in einem Schneckenhaus gelebt, sondern im Studentenwohnheim und ja: ich lebe lieber im Wald als mitten in der Stadt.«

      Sie setzte das kleine Kriechtier behutsam ins Gebüsch. Dabei blickte sie auf das Haus. Sie würde ihm nicht sagen, dass es sie an ihren Großvater erinnerte.

      Doch je länger sie auf die grünen Fensterladen schaute, desto mehr fragte sie sich: Hatte er vielleicht doch Recht? Zog sie sich hier wie in ein Schneckenhaus zurück? Erkundete sie nichts Neues?

      Es stimmte schon, sie mochte Gebiete, in denen sie sich auskannte: Buchenwälder, Savannen, Regenwälder, Zedernwälder. Sie wusste, wie diese Ökosysteme funktionierten, es gab zwar immer wieder lebendige Überraschungen, aber keine, die sie aus der Bahn warfen.

      Als sie sich umdrehte, schleppte er die nächste Gießkanne den Abhang hoch und überquerte die Wiese. Da war er wieder, der unregelmäßige Gang. Irgendetwas stimmte im Bewegungsablauf nicht, als wäre das rechte Knie steif. Als er näher kam, verzog sich sein Gesicht.

      Er setzte die Gießkanne ab.

      »Deshalb brauche ich einen Mann als Kollegen. Weil ich körperlich nicht mehr intakt bin, ich bin behindert. Es tut mir weh, den ganzen Tag zu stehen und zu hacken, aber ich tue es trotzdem.« Langsam ging er auf sie zu. »Ich brauche niemanden, der Konzepte ausarbeitet oder Routen plant, das kann ich selbst. Ich glaube ja, dass du tolle Projekte geplant hast, aber ich suche jemanden, der das ersetzt, was mir fehlt, der viel mehr Kraft hat, der pflanzt wie ein Besessener, sonst wird diese Insel zur Wüste.«

      Er war nah an sie herangekommen, berührte ihren linken Unterarm und schaute sie mit seinen dunklen Augen eindringlich an. Es hatte ihn Überwindung gekostet, ihr das zu sagen.

      »Würdest du freiwillig gehen, Marie? Du strengst dich an, aber die Arbeit ist nicht das, was du machen wolltest. Und ein Mann schafft viel mehr. Wenn du deinen Platz räumst, können wir schnell jemand anderen bekommen.«

      Bei ihren bisherigen Praktika hatte sie immer »Ja« gesagt, wenn ihre Kollegen sie um etwas gebeten hatten. Sie überlegte. Wahrscheinlich hatte Alexandros sogar Recht. Ein kräftiger Mann würde mehr schaffen, und sie könnte anderswo Projekte planen und umsetzen. Sie wollte gerne seinen Wunsch erfüllen, vor allem, weil er sie zum ersten Mal hinter seine Fassade hatte schauen lassen.

      Doch dann kamen die Worte einfach aus ihr heraus.

      »Ich kann nicht, Alexandros, ich bleibe.«

      »Aber warum?«, er löste die Hand von ihrem Arm.

      »Weil es so ist. Ich will hierbleiben. Ich kann es nicht erklären.«

      »Du bist hier falsch, ich brauche jemand anderen.« Er sprach wieder genauso distanziert wie sonst.

      »Ich habe einen Vertrag.« Sie rückte ihm einen der weißen Terrassenstühle heran. Er setzte sich, sie nahm den Gartenschlauch und wässerte die Pflanzen, die er noch nicht gegossen hatte.

      10.

      Kapitel

      Von wegen »Schneckenhaus«! Der nächste Tag war ein Samstag und sie würde sich nicht im Haus verkriechen, sondern etwas von Zypern sehen, indem sie direkt mit einer Aphrodite-Stätte anfing. Auch wenn sie sich überhaupt nicht mit Kunstgeschichte auskannte, war es im Grunde ganz einfach. Sie würde an Aphrodite herangehen so wie an jedes andere Thema aus dem Studium: systematisch.

      Sie war froh, dass sie Stavros entlasten konnte, lieh sich seine Kawasaki und fuhr nach Amathous, einem Ort auf der Aphrodite-Kulturroute in der Nähe von Limassol. Gut, dass sie nach einem kurzen Stück Landstraße die Bundesstraße benutzen konnte und am Ende sogar die Autobahn.

      Zuerst fuhr sie langsam, da sie sich noch an den Linksverkehr gewöhnen musste, aber spätestens auf der Autobahn genoss sie es, die Kraft der Maschine zu spüren, die vielen PS, die allein ihr gehorchten.

      Auf dem Parkplatz am Fuße eines Hügels ließ sie das Motorrad stehen und stieg dann einen steilen Fußweg bergauf. Oben angekommen, stolperte sie über Mauerreste, dann hielt sie inne.

      Hier hatte der Tempel der Aphrodite gestanden.

      Sie ging dicht an den ehemaligen Außenmauern entlang. An einer Ecke trat sie ein paar Schritte zurück, um die gesamte Ausdehnung wahrzunehmen. Der Tempel musste riesig gewesen sein! Doch jetzt ragten nur noch die Reste der Grundmauern aus dem Boden

      Als sie an der Felskante ankam, blieb sie stehen und schaute in die Tiefe. Etwa hundert Meter unter ihr lag eine Stadt mit Säulen, Marktplatz und Häuserfundamenten. Das musste die antike Stadt Amathous sein. Ihre Blicke folgten dem Weg aus der Stadt heraus bis zum Meer. Im Wasser zeichneten sich die Fundamente des antiken Hafens dunkel ab.

      Vorsichtig bewegte sie sich von der Felskante zurück zum Aphrodite-Tempel und stieg über die Reste der Außenmauer.

      Eine riesige weiße Vase im Heiligtumsareal faszinierte Marie, einen solchen fast zwei Meter hohen Behälter hatte sie noch nie gesehen. Wie hatten die Menschen in der Antike diese unglaublich schwere Vase den Hügel hochtransportiert? Und wozu diente dieses gewaltige Gefäß?

      Sie begann, die Vase zu fotografieren, und zoomte einige Details näher heran, dabei kamen Stierköpfe zum Vorschein.

      In der prallen Sonne arbeiteten Archäologen, die in den Tempelresten etwas zu suchen schienen. Über den unebenen Boden lief Marie näher an den abgesperrten Bereich heran, doch beim nächsten Schritt gerieten die Steine unter ihren Füßen ins Rollen, und sie stolperte.

      Sie landete direkt vor den Füßen eines jungen Mannes, der sie überrascht ansah. Er war groß und schlank, hatte feine, schöne Gesichtszüge, leicht gebräunte, ebenmäßige Haut und dunkles, glattes Haar. Ihr Blick fiel auf die Lachfältchen neben seinen hellgrünen Augen.

      »Ähm, äh...«, was sollte sie sagen? »Ich würde gerne ein Praktikum bei Ihnen machen, an wen kann ich mich wenden?«, fiel ihr als erstes ein.

      »Helfer können wir immer gebrauchen, nur sollten sie etwas mehr Feingefühl mitbringen. Der Boden ist instabil. Da drüben befindet sich eine sieben Meter tiefe byzantinische Zisterne, sei froh, dass du nicht hineingefallen bist.« Er dachte kurz nach und schmunzelte dann: »Wobei... eigentlich war das sehr gut, wie du heruntergerutscht bist. Augmented reality, könntest du das nochmal machen?« Er holte eine Kamera und murmelte: »Eine Frau rutscht in eine Grube«. Dann erklärte er: »Wir entwickeln dreidimensionale Präsentationen für alle archäologischen Stätten auf Zypern, damit man sich das Leben in Pafos und den Aphrodite-Kult in Amathous besser vorstellen kann. Ich bin so weit.«

      Einen Moment lang verschlugen seine Worte und seine angenehme Stimme Marie die Sprache, doch dann erwiderte sie:

      »Einmal reicht mir! Mich würde eher interessieren, was ihr hier sucht.«

      Er ließ die Kamera sinken.

      »Kann ich verstehen, das ist wirklich spannend.« Er lächelte, und seine hellgrünen Augen leuchteten auf.

      Der


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