Sehnsucht nach Zypern. Julia Lehnen

Sehnsucht nach Zypern - Julia Lehnen


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weiß gar nicht, dass es mich Überwindung gekostet hat, meine Heimat hinter mir zu lassen, dass ich mich zuhause im Wald sicher fühle und hier im Ausland nicht. Dass das für mich ein großer Schritt ist. Ihm gegenüber stark sein ist anstrengend, wenn hier niemand ist, der mir Kraft gibt.

      Aber vielleicht gibt es noch mehr Aufgaben und Alexandros teilt mir gar nicht alles mit.

      Wie ist bloß der Chef? Warum ist er nicht da? Wann kommt er endlich? Ich fahre nicht ab, bevor ich Stavros Georgiou kennengelernt habe. Denn ich will mich unbedingt einbringen und mehr von Zypern erfahren.

      Sie stand noch einmal auf und machte ein paar Schritte zum Kamin. Der Geruch nach altem Holz beruhigte sie. Dann trat sie zum Fenster.

      Töne drangen zu ihr ... von einer Flöte. Sie klangen sanft und kamen aus dem Tal, weit unten hinter den Pfirsichbäumen. Das war vielleicht ein Hirte, der abends auf seiner Flöte spielte.

      Das ganze Tal lag im Dunkeln. Kein Lagerfeuer war zu sehen. Beim Zubettgehen wiegte sie die Melodie in den Schlaf.

      7.

      Kapitel

      Als Marie am nächsten Tag nach acht Stunden Arbeit die Hacke in der Scheune verstaute, war sie todmüde. Ihr schmerzte jeder Muskel, das ganztägige Bücken, Aufrichten und Hacken war sie nicht gewöhnt. Sie freute sich darauf, sich auf ihrem Bett auszustrecken.

      Alexandros schien die Arbeit nichts auszumachen, ganz entspannt stellte er den wilden Katzen eine Schale Milch am Rand der Terrasse hin.

      Während Marie hinter dem Haus ihre Schuhe auszog, starrte ein Augenpaar sie an. Eine große sandfarbene Echse, die farblich fast mit dem Untergrund verschmolz, ließ sie nicht aus den Augen. Marie schlich auf Zehenspitzen in ihr Zimmer, um ihre Kamera zu holen.

      Als sie wieder auf die Terrasse kam, war die Echse verschwunden. Sie hatte vor einer kleinen Zeder gelegen. Vielleicht würde sie wieder auftauchen.

      Marie begann stattdessen die Zeder zu fotografieren. Sie suchte den richtigen Standpunkt, das beste Licht. Sie stellte alles ein, für den Fall, dass das Tier den Stamm hochkriechen würde. Sie war völlig vertieft, als Alexandros plötzlich hinter ihr murmelte:

      »Stellagama stellio cypriaca, dreh dich um!«

      Tatsächlich, hinter ihr auf dem Kies verharrte die Agame reglos und sie hatte Zeit, das Objektiv so einzustellen, dass sie den dreieckigen Kopf und die kleinen weißen Sternenflecken auf dem Rücken der Echse einfangen konnte.

      Sie bedankte sich bei Alexandros, und nachdem sie die Kamera zurückgebracht hatte, erinnerte sie sich an seine Aufforderung, dass sie mit Kochen an der Reihe wäre.

      Im Gemüsebeet pflückte sie reife Tomaten, dazwischen entdeckte sie Klee, Sauerampfer und Spitzwegerich. Sie dachte an ihre Wildkräuterführungen, pflückte alles, wusch es in der Küche, schnitt die Blätter und mischte sie in einer Salatschüssel. Dann bereitete sie aus Olivenöl, Essig und Senf ein Dressing zu. Für den Nachtisch pflückte sie ein paar Pfirsiche von den Bäumen hinter dem Haus, von einem Weinberg direkt daneben nahm sie reife rote Trauben und wusch alles.

      Sie deckte auf der Terrasse und rief Alexandros zum Essen. Der schaute nicht näher auf den Salat, erst als er auf Kleeblätter biss, wurde er misstrauisch.

      »Was ... ist ... das ...?«, fragte er.

      »Klee hat mehr Vitamine als jedes Gemüse, das du im Supermarkt kaufst, genau wie die anderen Wildkräuter auch.«

      Als Alexandros schwieg, fuhr sie fort:

      »Du hast doch gefragt, was ich in den letzten Jahren gemacht habe. Also, neben dem Studium habe ich Wildkräuterführungen angeboten.« Sie war immer noch fasziniert davon, dass man diese Wildpflanzen verzehren konnte.

      Alexandros stand auf.

      »Du servierst mir Unkraut? Auf Zypern geben die Bauern ihren Eseln und Ziegen Klee zu fressen. Aber ich bin keine Ziege.«

      »Das ist gut für die Abwehrkräfte«, entgegnete Marie, indem sie an ihm hinunterschaute.

      Er sah jedoch nicht so aus, als müsse er etwas für seine Immunabwehr tun.

      Sie dachte daran, wie wichtig sie es fand, dass die Menschen über die Kräuter in ihrer Umgebung informiert waren und schlug vor:

      »Ich könnte im Troodos-Nationalpark auch Führungen anbieten: zum Beispiel Essbares im Wald.«

      Alexandros war schon auf dem Weg in die Küche, drehte sich aber noch einmal um und erwiderte:

      »Wir sind hier, um Pflanzen zu schützen, nicht um uns in Kühe zu verwandeln. Oder ist das wieder so ein Trend aus Mitteleuropa? Weil ihr keine brauchbaren Tomaten habt, müsst ihr Unkraut essen. Wir haben hier wirklich genug frisches Gemüse. Ich glaube, es gibt keinen Bedarf für deine Führungen.«

      Dann ging er mit seinem unregelmäßigen Gang ins Haus und rumorte in der Küche. Kurze Zeit später roch es nach gebratenem Fleisch.

      Sie zuckte die Schultern, aß den Salat alleine auf und telefonierte dann mit ihren Eltern. Ihre Mutter erzählte:

      »Wir sitzen gerade auf der Terrasse mit Blick auf das Wasser.«

      »Das vermisse ich«, seufzte Marie. »Die Terrasse, den Garten, den Fluss und am allermeisten euch.«

      ***

      Am nächsten Morgen nahm Marie den Wecker erst nach dem siebten Klingeln wahr. Als sie sich aufrichtete, schmerzte jeder Muskel. Sie setzte sich hin und schwang die Füße aus dem Bett.

      Als ihre Fußsohlen den Holzboden berührten, entdeckte sie genau an der Stelle eine Delle im Parkett, es war abgewetzt von den vielen Füßen, die vor ihr an dieser Stelle gestanden hatten. Wer war aus diesem Bett aufgestanden? Der Förster? Vielleicht auch seine Frau oder seine Kinder.

      Sie stellte ihre Füße in die Mulde, bewegte dann die Zehen an den Rand der Vertiefung. Eigentlich könnte es sie stören, dass der Boden so abgenutzt war, doch das Gegenteil war der Fall. Sie fühlte sich als Teil einer langen Kette von Förstern, die sich hier für den Wald eingesetzt und Spuren hinterlassen hatten.

      Sie erhob sich, bewegte sich mühsam zum Waschbecken und blickte in den Spiegel. Unter den Augen zeichneten sich dunkle Ränder ab. Sie band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz, wobei ihr der ganze Rücken weh tat. Deshalb würde sie es nicht schaffen, heute fünfzig Setzlinge zu pflanzen.

      Während sie sich mit Sonnenmilch eincremte, dachte sie an die anderen Auslandspraktika, die zur Wahl standen. Vielleicht war es möglich, in das Bisonprojekt in den polnischen Wäldern zu wechseln.

      Nachdenklich ging sie zum Fenster. In der Ferne, weit hinter dem Bach, den Pfirsichbäumen und Hügelketten ahnte sie das Meer. Sie würde so gern etwas von dieser Insel sehen, bevor sie zurückflog. Aber wenn ihr Chef die gleiche Haltung an den Tag legte wie Alexandros, würde sie das Praktikum abbrechen.

      Als sie ins Büro kam, fiel ihr ein Stein vom Herzen, ihr Vorgesetzter war endlich da. Er erhob sich von seinem Stuhl, lächelte und stellte sich als »Stavros Georgiou« vor. Er trug ein hellgrünes Hemd, eine Jacke mit zwei gelben Streifen und dem Emblem der Forstabteilung auf dem Ärmel und dazu eine dunkelgrüne lange Hose. An der Stirn lichteten sich die Haare.

      »Es tut mir so leid, dass ich Sie nicht persönlich abholen konnte. Ich war bei Kollegen im Zederntal und habe eine Ladung Pflanzen für uns organisiert. Die Situation ist zurzeit schwierig.«

      Sie war erleichtert, dass er viel liebenswürdiger schien als Alexandros.

      »Ich bin so froh, dass Sie da sind«, erwiderte Marie. »Tut mir leid, aber ich glaube, ich schaffe es nicht jeden Tag fünfzig Setzlinge zu pflanzen und bis in die Dunkelheit zu arbeiten. Dafür reichen meine Kräfte nicht. Ich bin ursprünglich zum Planen des Wanderwegs nach Zypern gekommen.«

      Sein Lächeln verschwand. Misstrauisch wandte er sich zu Alexandros. Ruhig aber mit untergründiger Spannung fragte er:

      »Hast


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