Tanz der Finanzen. Thomas Neiße
mich daraufhin nur ganz ungerührt daran erinnert, dass er ja legale Entlassungspapiere aus dem Gefängnis vorlegen könne, die ihm bestätigen, wegen extrem guter Führung wieder freigesetzt worden zu sein. Nach deutscher Rechtsprechung ist er damit sauber. Eine eventuelle Aufregung in der Öffentlichkeit wegen zweierlei Maß bei der Behandlung von Kriminellen würde er locker aushalten.«
»Hat er sonst noch etwas rausgelassen? Wovon will er leben?«
»Das wird sich zeigen. Ich persönlich würde mich nicht wundern, wenn er zur Wertebank zurückgeht. Soweit wir wissen, wird er dort immer noch sehr geschätzt. Sobald ich etwas höre, melde ich mich. Bis dann, Herr Snyder.«
»Machen Sie’s gut, Herr Kaminski.«
Nach dem Telefonat ging Snyder an sein Bürofenster zurück und nahm seine Betrachtung des Woodland Parks unter ihm wieder auf. Das musste er erst einmal verarbeiten. Er spürte eine ungeheure Wut in sich und den übermächtigen Wunsch, sich zu rächen, nur wie und an wem, das war ihm noch nicht so ganz klar.
TEAMBILDUNG
Als die beiden Männer den Weg zu seinem Berghof hinaufgingen, war die Luft erfüllt von dem Duft der Blumen und Kräuter am Wegesrand. Außer dem Zirpen der Grillen und dem Klopfen eines Spechtes wurden sie von einer angenehmen Stille umhüllt. Noch nicht einmal Josefs Kühe waren zu hören. Der Zauber des Dreisamtals hatte sie voll im Griff. Niels Werner genoss jedes Mal den Aufstieg zu seinem Zuhause und soweit er das beurteilen konnte, ging es gerade Konrad Pair ebenso.
Der sah mittlerweile viel besser aus. Die zwei Tage Ruhe und das eifrige Bekochen durch Agathe hatten positive Zeichen hinterlassen. Offenbar hatte der gute Konrad den Dreh mit den Damen heraus. Seine Haushälterin jedenfalls bot ihre Dienste weit über das normalerweise von ihr zu erwartende Maß an. Statt der vereinbarten drei Stunden täglich war sie gestern geschlagene fünf Stunden geblieben und hatte sich immer wieder nach Konrads Wünschen erkundigt. Vermutlich wartete sie auch heute dort oben, obwohl es gar nicht ihr Tag war. Und es war ja nicht nur Agathe. Auch Gerda, die Frau vom Josef, war bei ihrem Besuch eben nicht wiederzuerkennen gewesen. Von wegen schwerhörig oder, wie sie in der Vergangenheit immer betonte, stocktaub, sie hatte äußerst lebhaft Konversation betrieben und jedes Wort verstanden. Die war genauso ein Schlitzohr wie der Josef selbst. Zur Krönung hatte sie dann noch etwas Lippenstift aufgetragen. Dem Josef war fast sein obligatorisches Schnapsglas aus der Hand gefallen.
Aber Konrads Charme hatte ihr eigentliches Anliegen beim Josef sehr erleichtert. Selbstverständlich würde er den verklebten Umschlag mit den darin befindlichen Dokumenten in seine Obhut nehmen, und natürlich hatte er diesen Umschlag nie gesehen. Die Gerda hatte ihn auch gleich irgendwo auf dem Bauernhof in einem Geheimfach verstaut. Beide hatten verstanden, dass sie diesen Umschlag nur nach Aufforderung durch Niels Werner wieder herausgeben sollten.
Niels Werner klopfte sich innerlich auf die Schulter. Es war seine Idee gewesen, den Josef einzuspannen. Vielleicht würden diese Geheimdienstfuzzis irgendwie hinter seine Identität kommen und sein Haus durchsuchen. Aber auf den Josef kommen die nie, dachte er zufrieden.
So sah das offensichtlich auch Konrad Pair. »Ich wette, meine Kollegen kommen nie darauf, dass der Josef die Papiere hat. Bei dir könnten sie etwas vermuten, aber bei den beiden nie.«
Mittlerweile hatten sie das Plateau erreicht, auf dem Niels Werners Berghof stand.
»Ich denke das auch – hoffentlich täuschen wir uns nicht.«
»Keine Sorge, Niels, Geheimdienstleute sind viel zu hochnäsig, um hinter der Fassade von Josef und Gerda etwas Derartiges zu vermuten. Der Josef hat dich ja auch super über den Tisch gezogen und mit dieser Hundenummer deine Weinvorräte dezimiert.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Na, er hat es mir gesteckt, als du im Bad warst. Die Gerda hat dabei schallend gelacht.«
»Hauptsache, ihr habt euch amüsiert. Ich kann mich jedenfalls nur über deinen Charme wundern, die Gerda habe ich noch nie so aufgeräumt gesehen. Ihr Geheimdienstagenten scheint speziell auf Frauen eine besondere Ausstrahlung zu haben.«
»Klar, das kannst du in jedem James-Bond-Film sehen.«
»Setz dich, ich hole uns ein Bier.«
Als Niels Werner wieder zurückkam und die Rothaus-Biere auf den Tisch stellte, konnte er sich eine süffisante Bemerkung denn doch nicht verkneifen.
»So doll scheint es mit deinem Charme doch nicht her zu sein. Ich hätte gewettet, Agathe kommt heute wieder.«
»Das ist nur, weil du in die falsche Richtung siehst. Schau mal, die Radfahrerin da oben am Berg. Ich wette, das ist sie.«
Beide Männer lachten lauthals und sahen Agathe entgegen, als sie auf ihrem Mountainbike den schmalen Hohlweg herunterkam. Als sie den Hof erreichte, durchzuckte es Niels Werner. Mich laust der Affe, dachte er, jetzt hat die auch noch Lippenstift aufgelegt. Agathe strahlte sie beide an, Konrad Pair etwas länger, und verschwand im Haus, aus dem kurze Zeit später das Klappern von Pfannen und Töpfen zu vernehmen war. Niels Werner rief durch das offene Fenster in die Küche: »Was gibt es denn heute Schönes, Agathe?«
»Szegediner Gulasch.«
Natürlich, Konrad Pair hatte ihr gestern sein Lieblingsessen genannt und prompt kam das heute auf den Tisch. Er machte eine hilflose Geste zu seinem Gast und bewegte den Kopf energisch zu der etwas weiter vom Haus weg gelegenen zweiten Gartenterrasse. Dort waren sie außer Hörweite.
»Was meinst du, Niels, wo deponieren wir die anderen Dokumente? Der Josef hat jetzt einen Satz und gestern habe ich an meinen Münchner Notar einen zweiten abgeschickt mit der Maßgabe, im Falle meines plötzlichen Todes diese Papiere sofort zu veröffentlichen. Ich habe aber noch einen dritten Umschlag gestern angefertigt.«
Niels Werner zögerte keine Sekunde. »Den solltest du bei Peter hinterlegen. Entweder er oder die Pauli können im Falle des Falles die Veröffentlichung veranlassen.«
»Gute Idee, aber meinst du, Peter wird dem zustimmen? Eigentlich muss er doch sauer auf mich sein. Schließlich habe ich ihm jahrelang meine Geheimdienst-Zugehörigkeit verheimlicht. Wo steckt er überhaupt, er wollte doch schon gestern hier sein?«
»Du siehst ihn nur nicht, weil du in die falsche Richtung siehst. Schau, da unten bei Josef, siehst du die schwarze Limousine?« Beide lachten wieder schallend. »Ich wette, das ist er.«
Beide Männer standen auf und gingen wieder zu der Terrasse am Haus, wo sie dem sich nähernden Auto entgegenblickten.
»Agathe, es sieht so aus, als ob wir noch einen Gast bekommen. Am besten kochen Sie etwas mehr.«
Als Peter Nehmer strahlend aus dem Auto stieg, hatte Konrad Pair sich aus dessen Blickfeld entfernt und ins Haus zurückgezogen.
»Hallo, Niels, ich freue mich wahnsinnig, dich zu sehen.«
»Das gilt auch für mich.«
Beide Männer umarmten sich.
»Wie war die Fahrt, hast du den Weg gut gefunden?«
»Kein Problem.« Peter Nehmer reckte sich leicht und ließ den Blick anerkennend schweifen. »Jetzt verstehe ich gut, warum du an diesem Platz so hängst. Da hast du dir ja ein wunderschönes Fleckchen ausgesucht.«
»Ja, Peter, ich fühle mich sehr wohl hier.«
»Wohnen da, wo andere Urlaub machen. Sehr schön. Aber ist dir das auf Dauer nicht doch ein wenig zu langweilig?«
Niels Werner konnte nicht umhin, die Ironie dieser Situation zu registrieren. Genau die gleiche Argumentation hatte damals Gerd benutzt, als er ihn als trojanisches Pferd in Peters Bank gewinnen wollte.
»Das Thema können wir ja nachher noch vertiefen. Zunächst muss ich dir sagen, dass ich noch einen Besucher habe. Das Vöglein gewissermaßen.«
»Wie, was, Vöglein, wovon redest du?«
»Na,