Tiefenlager. Annette Hug

Tiefenlager - Annette Hug


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Oberteil. Dass die Farbe bald ausbleichte, verstärkte die Wirkung: Jeder, der Betty sah, wusste sofort, dass sie hierher gehörte, sich auskannte und immer dann lächelte, wenn es nötig war. Es galt, jede kleine Zehe zu verstehen, jede Verfärbung der Haut genau zu studieren, die Zutaten sämtlicher Medikamente auswendig zu wissen und die Kürzel auf dem Monitor des Tomographen, der heiß lief im Keller und gekühlt werden musste, damit er nicht verrückt spielte.

      Im Wechsel von Station zu Station vergingen die Jahre. Als Betty die dreißig überschritten hatte, suchte sie eine neue Freundin, wie schon so oft, aber diesmal fand sie einen Meister. Auch er war Krankenpfleger. Jeden Morgen trainierte er und hatte bald Schüler. Betty war seine einzige Schülerin. In den Bewegungen, die sie von ihm lernte, kam ihr Körper in einen neuen Zusammenhang. Alles verband sich immer besser und manchmal, in besonders guten Momenten, schienen ihre Arme und Beine mit den kleinen Jungen auf der Straße ihrer Kindheit verwandt und dem Basketball; der Wind spielte in die Routinen hinein, wenn er übers Dach des Spitals wehte und ans Ufer der Bucht von Manila, wo sie auf einem leeren Parkplatz trainierten. Die Beine schnellten hoch und schwer fuhr eine Faust aus. Betty stellte fest, dass sie gefährlich werden konnte.

      Aber der Meister spornte sie nicht nur an, er beruhigte sie auch. Wenn sie krank war und Fieber hatte, kam er in ihr Personalzimmer und trocknete mit einem weißen Frotteetuch ihre Haut ab, den Rücken, den Nacken, die Arme und die Rinne zwischen den Brüsten. Er schien sie nicht anzublicken dabei. Trotzdem fühlte sie sich nicht wie eine Patientin im Spital. Etwas Mütterliches brachte er ihr entgegen, eine ständige Sorge um die richtige Temperatur ihres Körpers, egal ob ein Fieber wütete oder nicht. Auch im Training war darauf zu achten, dass der Schweiß nicht offen floss, dass kein Windhauch in die Tropfen fuhr, Wasser durfte nicht auf der Haut trocknen, die Abkühlung nach einem Kampf musste langsam vonstatten gehen. Des Teufels war kaltes Wasser auf einem heißen Körper, eine plötzliche Dusche konnte Krämpfe und Schockzustände hervorrufen. Das widersprach den Lehrbüchern nicht, die Betty studiert hatte, aber es kam darin auch nicht vor. Die mütterlich-meisterliche Lehre der Wechsel, des sanften Übergangs und der Schirmung im richtigen Moment breitete sich außerhalb der Arbeitszeit in ihrem Leben aus, sie wirkte immer dann, wenn Betty frühmorgens einen stillen Winkel aufsuchte, um zu turnen. Auch in Europa, als sie dem Orden beigetreten war, trug sie ein weißes Frotteetuch über die rechte Schulter geschlenzt, wenn Sommer war und manche Bewegung zu einem Schweißausbruch führte. Petra sagte einmal, dass sich Betty Wang überall auf der Welt zu Hause fühlen werde, wo sie genug Zeit finde, sich nach einer Anstrengung langsam abzukühlen.

      Vom Meister wurde erzählt, er sei lange in Nordamerika gewesen, als einziger philippinischer Schüler von Bruce Lee. Andere sagten: als Masseur von Bruce Lee. Wahrer Erbe des Filmstars war er für alle. In der Gegend ums Spital würde die Kampfkunst zu neuer Blüte gelangen, wenn der Meister endlich eine richtige Schule gründen und die Uniform des Krankenpflegers an den Nagel hängen könnte. In dieser Hoffnung lebte auch Betty, bis sie wieder begann, in die Stadt auszuschweifen, alte Freundinnen und Titas zu besuchen, nach kurzen Gesprächen verstimmt zu verschwinden und sich treiben zu lassen, in Jeepneys zu steigen, von denen sie nicht wusste, wohin sie fuhren. Sie entdeckte Kampfsportschulen in mehreren Stadtteilen, erfuhr von einem zweiten einzigen philippinischen Schüler von Bruce Lee und wollte sich nicht ausdenken, wie viele es noch gab auf dem Archipel, den siebentausend Inseln voller Leute, die darauf hofften, dass hier endlich etwas ganz Großes aufblühte.

      Betty verlor sich an ihren freien Tagen in der Stadt, weil ihr Vater gestorben war. Eines Tages hatte die Mutter angerufen. Die Nachricht wirkte erbarmungslos. Blieb Betty allein in ihrem Zimmer, stürzten hundert fratzenhafte Gesichter des Toten auf sie ein. Stumm schrien sie und trieben Betty aus dem Haus. An der Beerdigung nahm sie teil, als sei sie eine Fremde. Die Geschwister schienen sie nicht herzen zu wollen. Einen klaren Gedanken konnte sie nicht mehr fassen. Da war nur der Wille auszufahren. Wo sie auch hinkam, war alles falsch. Was die Titas sagten, die Freundinnen empfahlen, die Mutter anmahnte, klang schrill und daneben, ein wiederholter Affront, und dem Meister wagte sie nicht mehr ins Gesicht zu blicken, seit sie an seiner Geschichte zweifelte. Ihn zu fragen, wie es denn wirklich gewesen sei mit Bruce Lee, hätte ihr das Herz gebrochen.

      Als sie mehrmals die Morgenübungen verschlafen und bei der Arbeit zwei Medikamente verwechselt hatte, steigerte sich ihre Unruhe zu Panik. Ihr Leben drohte in Scherben zu gehen, sie wäre am liebsten in eine Wand gerannt und wollte bellen, wenn ein Patient vor ihr lag und leise winselte. Alles Mitgefühl war dahin. So schnell wie möglich musste sie aus dem Spital, der Stadt, dem Archipel verschwinden. Als ihr ein Inserat am Anschlagbrett ins Auge sprang, glaubte sie sich von höherer Stelle erhört: »Hongkong« stand da, »Privatklinik«, »Hokkien-Chinesisch erwünscht«, das war genau auf sie zugeschnitten. Sie würde mit Jacky Chan ihren Kinderdialekt sprechen und modernste Maschinen bedienen. Die Stelle war sofort anzutreten.

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