Seewölfe Paket 26. Roy Palmer

Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer


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auf einen Schlag aus dem Fenster nach innen schleuderte. Aus dem versiegenden Schrei des Kerls war zu schließen, daß auch er das Zeitliche gesegnet hatte.

      Abermals antwortete die de-Escobedo-Meute mit heftigerem Feuer. Cámporas Männer waren gezwungen, vorübergehend in Deckung zu gehen, da sie nicht über eine ausreichende Zahl an nachgeladenen Waffen verfügten.

      Es war der entscheidende Vorteil, den die Angreifer sich verschafften.

      Innerhalb der nächsten Viertelstunde gelang es de Escobedo, die Scharfschützennester endgültig einzurichten und mit offenbar geeigneten Kerlen zu besetzen.

      Das Geplänkel begann.

      Der Gefängnisdirektor hatte seinen Männern eingeschärft, sich ständig vor Augen zu halten, was es bedeutete, Scharfschützen gegenüberzuliegen. Die geringste Unvorsichtigkeit konnte den Tod bringen.

      Allerdings waren auch die besten Scharfschützen nicht unfehlbar. Erst einmal mußten sie sich mit ihren Musketen einschießen, die Pulvermenge einigermaßen genau bemessen und die stets gleiche Bleisorte der Kugeln verwenden. Schließlich mußten sie die Streuung ihrer Waffen berechnen können, denn mit dem glatten Lauf einer Muskete war auf größere Entfernung beim besten Willen kein genauer Schuß mehr möglich.

      Dennoch, und in dem Punkt machte José Cámpora sich und seinen Männern nichts vor, konnte ein geübter Schütze auch mit einer Muskete erstaunliche Resultate erzielen.

      Den Beweis für die letztere Vermutung erlebte der Gefängnisdirektor, als er die Männer für die nächsten Stunden eingeteilt hatte und den Portalturm verlassen wollte.

      Peitschend löste sich ein einzelner Schuß aus einem der sandsackbewehrten Scharfschützennester.

      Die Kugel klatschte gegen den obersten Quadersteinrand jener Zinne, hinter der sich Cámpora nur um Fingerbreite zu weit aufgerichtet hatte.

      Blitzschnell duckte er sich. Und er begriff. Nur die Tatsache, daß der Schütze etwas zu tief gehalten hatte, war seine Rettung gewesen. Andernfalls hätte ihm das Geschoß die Schädeldecke zertrümmert.

      Keiner der Männer vom Wachpersonal reagierte darauf mit Schadenfreude, zumal Cámpora ihnen seine eigene Unvorsichtigkeit vor Augen hielt und noch einmal ausdrücklich darauf hinwies, wie leicht man nachlässig werden konnte – selbst dann, wenn man glaubte, sich ständig unter Kontrolle zu haben.

      „Ihr habt es gesehen“, sagte er, als er mit den anderen, die auf Freiwache gingen, im Hof stand. „Prägt es euch ein. Jedem von euch kann es genauso gehen wie mir.“

      Die Männer, die auf dem Wachgang kauerten, nickten schweigend. Eindringlicher als durch das soeben erlebte Beispiel konnte die Gefahr nicht demonstriert werden.

      Cámpora ließ den Toten fortschaffen und in einer Wagenremise aufbahren. Noch war die Frage offen, ob der Mann eine Bestattung nach den Regeln der Kirche erhalten würde. Eben jene Frage war auch für die vielen Toten noch nicht beantwortet, die es in Havanna gegeben hatte.

      Die Männer auf dem Wehrgang hielten sich prächtig, und es gelang ihnen sogar, ihre Gegner an der Nase herumzuführen. Dazu wendeten sie einen uralten Trick an, indem sie Helme auf Holzstäben emporhielten und gleichzeitig beobachteten, aus welchem Fenster oder welcher Dachöffnung geschossen wurde.

      Sobald die betreffende Mündungsblume aufgeblüht war, konnte man gezielt antworten.

      Doch es nutzte wenig. Die Sandsäcke erwiesen sich als wirksamer Schutz, so daß de Escobedos Meute keine weiteren Verluste hinnehmen mußte.

      Auf der Seite der Gefängniswächter war es die Vorsicht, die ihnen dazu verhalf, den Tag gleichfalls ohne Verluste zu überstehen.

       9.

      Nach Einbruch der Dunkelheit änderte José Cámpora seine Verteidigungsmaßnahmen.

      Nur zwei Freiwillige blieben auf dem Wehrgang, die Aufseher Gonzago und Verdura. Der Gefängnisdirektor ahnte, daß in der Nacht Entscheidendes geschehen würde. Entscheidendes jedenfalls nach dem Willen de Escobedos und seiner Meute. Cámpora und seine Männer waren fest entschlossen, den Kerlen eine Abfuhr zu verpassen.

      Auf jeden Fall, so hatte Cámpora sich ausgerechnet, war seine Mannschaft im Gefängnisbau selbst besser und sicherer aufgehoben als auf den Türmen und auf dem Wehrgang. Im Erdgeschoß befanden sich die Wirtschafts- und Verwaltungsräume, zum Hof hin gelegen. Von den dortigen Fenstern aus konnte man den gesamten zwischen Umfassungsmauer und Gebäude liegenden Hof unter Beschuß nehmen und sich gewissermaßen einigeln.

      Versorgungsschwierigkeiten würde es indessen nicht geben. Im Keller des Hauptgebäudes befand sich ein Trinkwasserbrunnen, Lebensmittel waren in den Wirtschaftsräumen ausreichend vorhanden – kein Wunder bei immerhin fünfzig Gefangenen, die täglich versorgt werden mußten. Die Vorschrift besagte, daß ständig ein Vorrat am Lager sein mußte, der das gesamte Gefängnis für mindestens eine Woche versorgte. Damit sollte möglichen Verknappungen vorgebeugt werden – wie etwa im Falle einer Belagerung, was bei einer Hafenstadt nie ganz auszuschließen war.

      Die beiden Freiwilligen hatten nichts weiter zu tun, als vorzutäuschen, daß der Wehrgang hinter der Mauer noch mit der ursprünglichen Mannschaftsstärke besetzt war.

      Gonzago und Verdura erfüllten diese Aufgabe mit Geschick und Mut. Ihr Vorteil war, daß die Scharfschützen sie bei Dunkelheit praktisch nicht mehr sehen konnten. Ihre Kameraden kontrollierten laufend die Zellen im Gefängnisbau und sorgten dafür, daß die absolute Verdunkelung strikt eingehalten wurde. Die beiden Freiwilligen liefen also keine Gefahr, daß sich ihre Silhouetten plötzlich vor einem helleren Hintergrund klar umrissen abzeichneten.

      Zudem hatten sie ihre Helme abgelegt, sich dunkle Umhänge übergeworfen und die Gesichter geschwärzt. Gonzago und Verdura verschmolzen mit der Nacht wie Schatten. Selbst ihre Bewegungen waren kaum wahrzunehmen, zumal sie den Schutz der Mauer ausnutzten und sich nur dann aufrichteten, wenn sie eine Kugel aus dem Lauf jagten.

      Die Scharfschützen in ihren Sandsacknestern hatten unterdessen nicht den Vorteil eines möglichen Stellungswechsels. Gonzago und Verdura hatten sich ihre Positionen genau eingeprägt und konnten auf diese Weise beinahe gezielt feuern. Dabei nahmen sie nach jedem Schuß eine andere Position ein, so daß de Escobedos Kerle den Eindruck hatten, es noch immer mit dem vollzähligen Aufgebot der Verteidiger zu tun zu haben.

      Die Kugeln der Kerle aus den Häusern klatschten entweder wirkungslos gegen die Quadersteine der Mauern, oder sie sirrten über die Mauerkrone weg. Die Gefangenen hatten sich wohlweislich in einen toten Winkel ihrer Zellen verzogen und riskierten weder einen Blick noch ein vorlautes Wort. Eine verirrte Kugel einzufangen, war das letzte, auf das sie erpicht waren.

      Gonzagos und Verduras Augen hatten sich innerhalb der letzten Stunden hervorragend an die Dunkelheit gewöhnt. Sie hatten außerdem einen weiteren Vorteil auf ihrer Seite, weil in den Hauseingängen und Gassen keine Bewegungen möglich waren, ohne daß man nicht zumindest ein schattenhaftes Huschen erkannte.

      Eben dieser Umstand war es, der sich für die beiden tatkräftigen Verteidiger auszahlte.

      So waren sie kurz vor Mitternacht in der Lage, ihr Glanzstück zu vollbringen.

      Gonzago war unmittelbar neben dem linken Portalturm und wollte abermals seine Muskete abfeuern, als er die Waffe plötzlich zurücknahm.

      Da veränderte sich etwas in der Gasseneinmündung, die dem Gefängnistor genau gegenüberlag.

      Gonzago spähte über die Mauerkrone. Weiter rechts, auf der anderen Seite des Tores, krachte Verduras Muskete. Die Kugel fehlte jedoch, denn es erfolgte kein Schrei oder eine sonstige Reaktion.

      Es war ein kantiger Schatten, der sich dort drüben in die Einmündung schob, aus der Tiefe der Gasse heraus.

      Gonzago zögerte keinen Moment. Er huschte in den Turm und hastete die Wendeltreppe hinauf. Sekunden später, als er sich zwischen den Zinnen behutsam aufrichtete, sah er seinen Gefährten auf dem Turm


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