Seewölfe Paket 26. Roy Palmer

Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer


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wandte sich der Rotbärtige wieder de Escobedo zu.

      „Wo sind wir hier, Señor Gouverneur?“ sagte er leise. „Auf einem Kasernenhof? Oder wollen wir alle zusammen ein Ziel erreichen, das wir ins Auge gefaßt haben?“

      „Letzteres“, entgegnete de Escobedo mit kaltem Grinsen. „Das bedeutet aber noch lange nicht, daß Soldaten alle Dienst- und Disziplinarvorschriften vergessen, sobald sie das Kasernentor hinter sich lassen.“

      „Verdammt, wir sind keine Soldaten!“ schrie Vigo.

      „Nein!“ brüllte de Escobedo zurück. „Aber ein bißchen von soldatischen Tugenden täte euch schon gut! Mit einem versoffenen Sauhaufen kann ich kein Gefecht gewinnen. Wenn wir die Residenz erobern wollen, dann schaffen wir es nicht, indem wir uns vorher vollaufen lassen und über unsere Vorgesetzten dämlich grinsen.“

      Vigo schnaufte. Er mahlte mit den Zähnen, daß es knirschte. Eine passende Antwort fiel ihm nicht ein, denn er spürte, daß der „Señor Gouverneur“ recht hatte.

      „Alkohol ist von Übel“, sagte Gilberto, der Besonnenere. „Wir müssen da wirklich einen Riegel vorschieben.“

      De Escobedo nickte grimmig und voller Genugtuung.

      „Und noch etwas“, sagte er und senkte die Stimme, damit nur die beiden Unterführer mithören konnten. „Streitigkeiten oder Unstimmigkeiten sollten Vorgesetzte niemals in Anwesenheit von Untergebenen austragen. Das mindert die Autorität, falls ihr begreift, was das bedeutet.“

      Vigo verzog das wüste Gesicht.

      „Das begreifen wir verdammt gut. Man kann es auch einfacher sagen. Die Kerle hören nicht mehr auf dich, wenn sie erst mal kapiert haben, daß du auch nur ein schwacher Hund bist. Richtig?“

      „Richtig“, antwortete de Escobedo mit hoch erhobenem Kopf. „Wie wäre es, wenn wir uns jetzt mit dem Naheliegenden befassen und überlegen, welche nächsten Schritte wir ergreifen?“

      „Schritte?“ äffte Vigo ihn nach. „Ich würde mir erst mal einen Überblick verschaffen.“

      „Ich bin der gleichen Meinung“, sagte Gilberto, „und schlage vor, daß wir ins Haus gehen und uns ein geeignetes Fenster zum Beobachten suchen.“

      De Escobedo wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen und tat, als müsse er angestrengt nachdenken und das Für und Wider erwägen. In Wahrheit war er dankbar für den Vorschlag, denn er selbst hatte keine Idee. Sein Kopf war wie ausgehöhlt. Das Debakel mit dem Pulverkarren hatte ihn tief getroffen. Er hoffte, daß sich seine alte Geistesbeweglichkeit rasch wieder einstellte. Er brauchte einen geeigneten Einfall, wie es weitergehen sollte.

      Die verdammte Geschichte durfte nicht dahin führen, daß die Kerle das Vertrauen in seine Führung verloren, wieder Alkohol schluckten und letztlich meuterten.

      „Einverstanden“, sagte er. „Sämtliche Gruppen sollen sich inzwischen hier im Hinterhof sammeln.“

      Gilberto gab den Befehl an den Kerl mit dem geschlossenen Auge weiter. Der sprang auf und rannte los, während de Escobedo und seine beiden Unterführer auf den Hintereingang des Hauses zugingen.

      Der Bewußtlose stöhnte und krümmte sich. In wenigen Augenblicken würde er in die Wirklichkeit zurückkehren und für eine Weile von aufsässigen Gedanken geheilt sein. Blieb nur zu hoffen, daß sich das abschreckende Beispiel herumsprach und seine Wirkung auf die anderen nicht verfehlte.

      Das dreigeschossige Haus hatte offenbar einem der Bürger aus den mittleren Einkommensschichten gehört. De Escobedo bemerkte es an den herumliegenden Einrichtungsgegenständen und Möbelstücken, die der Mob aus Mangel an Interesse nicht mitgenommen hatte.

      Die Räume sahen aus wie ein einziger Trümmerhaufen. Nichts war an seinem Platz belassen worden, Bilder von den Wänden gerissen und aufgeschlitzt, Teppiche zerfetzt, Stühle mutwillig zertrümmert und Fenstervorhänge heruntergezerrt.

      Mit der gebotenen Vorsicht gingen de Escobedo und die Unterführer hinter zerborstenen Fenstern an der dem Gefängnis zugewandten Seite im Erdgeschoß in Stellung. Bei Cámpora, das hatte sich inzwischen gezeigt, mußte man mit allem rechnen. Der Hundesohn brachte es fertig und ließ auch auf die kleinste Bewegung hinter den Fenstern feuern.

      Doch es blieb ruhig.

      Alonzo de Escobedo erschrak, als er einen ersten vorsichtigen Blick über die Straße riskierte.

      Da drüben lagen sie, die reglosen Gestalten. Am Fuß der Umfassungsmauer hatte es sie erwischt, und sie schienen ausnahmslos von gehacktem Blei oder Eisenstücken getroffen worden zu sein.

      „Acht Tote“, sagte Gilberto, der ebenfalls hinübergespäht hatte.

      Seinen Worten folgte minutenlange Stille.

      „Acht Tote“, wiederholte Vigo dann und wandte sich dem „Vorgesetzten“ mit flammendem Blick zu. „Nicht, daß mir besonders viel an den Kerlen gelegen hätte. Die sind mir völlig egal. Aber die Tatsache zählt. Acht Tote, Señor Gouverneur! Halte dir das mal richtig vor Augen!“

      De Escobedo schluckte. Er wußte, was Vigo sagen wollte. Sie hatten nur noch zweiundzwanzig Leute.

      Es schien, als hätte der Rotbärtige seine Gedanken gelesen.

      „Und vom Rest“, sagte er, „sind mehr als die Hälfte verwundet. Gut, sie sind alle noch kampffähig, aber mit einer Wunde ist man irgendwie nicht der Alte, oder?“

      De Escobedo nickte und gab sich keine Mühe, seine niedergeschmetterte Stimmung zu verbergen. Guter Rat war hier wirklich teuer. Seine Gedanken bewegten sich bereits in eine bestimmte Richtung.

      Aber noch störten ihn die unterschwelligen Vorwürfe der beiden Unterführer. Sie lasteten ihm die Verluste an, obwohl es der Señor Gefängnisdirektor Cámpora war, der mit seiner sturen Unnachgiebigkeit all dies heraufbeschworen hatte.

      Warum, zum Teufel, hatte dieser halsstarrige Kerl nicht gleich zu Anfang eingesehen, daß es sinnlos war, Widerstand zu leisten?

      „Wir werden es schaffen“, sagte de Escobedo und gab sich einen Ruck. „Wir wissen jetzt, womit wir zu rechnen haben. Fehler, die wir zu Anfang begangen haben, werden wir nicht noch einmal wiederholen.“

      „Das hört sich gut an“, entgegnete Vigo. „Aber wie willst du so was in die Tat umsetzen?“

      De Escobedo grinste. Er hatte seine alte Überheblichkeit zurückgewonnen. In der Tat war es nicht einfach nur dahergeredet, was er gesagt hatte. Es entsprang den sich konkretisierenden Gedanken, die sich in seinem Kopf formten.

      Fest stand, daß er die fünfzig Galgenvögel aus dem Gefängnis brauchte. Ohne sie, das konnte er drehen und wenden, wie er wollte, würde er nie die Macht über Havanna gewinnen. Und der Weg zu dieser Macht führte ausschließlich über die Residenz. Der Gouverneurspalast mußte fallen, so oder so.

      Danach waren die beiden Forts an der Reihe, und dann brauchte man sich die Faktorei von Manteuffel nur noch einzuverleiben wie einen reifen Apfel, den man im Vorbeigehen von einem niedrigen Ast pflückt.

      Aber der Weg zu diesem Ziel war dornenreicher, als er sich das vorgestellt hatte.

      Ihn persönlich interessierte es herzlich wenig, wenn noch mehr Kerle von seinem Haufen draufgingen. Er hatte keinerlei Beziehung zu diesem Pack. Bei Bastida, der mit diesen Leuten Tag für Tag zusammenarbeitete, war das etwas anderes.

      Es kostete jedoch zuviel Substanz, wenn man die Verluste durch sinnlose Angriffe hochschraubte. Nein, das hatte keinen Sinn. Es war eine reine Zweckmäßigkeitsrechnung auf der Basis von Soll und Haben anzustellen.

      Mit dem geringstmöglichen Aufwand an Kräften, so sagte sich de Escobedo, mußte er den größtmöglichen Nutzen erzielen. Eben diesen Grundsatz, nach dem die Pfeffersäcke von Havanna gearbeitet hatten, mußte auch er anwenden.

      Cámpora hatte bislang keinerlei Verluste hinnehmen müssen. Er hatte die bessere Ausgangsposition gehabt, mit seinen Turmzinnen und Wehrgängen. Aber das sollte anders


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