Seewölfe Paket 26. Roy Palmer

Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer


Скачать книгу
Bau gestürmt wurde. Wahrscheinlich würden sie sich aber auch verziehen, sobald die ersten Kugeln durch die Luft flogen.

      De Escobedo versuchte, sich einen gedanklichen Überblick zu verschaffen und seine Chancen auszurechnen. Wenn er die stoppelbärtigen und verwüsteten Visagen hinter sich sah, hatte er nicht gerade das beste Gefühl, zumal er wußte, daß sie Flaschen mit Schnaps und Wein auf die Handkarren verladen hatten.

      Es hätte keinen Sinn gehabt, das zu verhindern. Sie hatten überall und jederzeit Gelegenheit, sich Alkohol zu verschaffen. Das Problem war nur aus der Welt zu schaffen, indem man blitzschnell aufeinanderfolgende Einsätze befahl. Dann hatten sie keine Zeit, zu den Flaschen zu greifen.

      Davor stand aber diese Festung, die ein Gefängnis war.

      Natürlich hatten alle hochgelegenen Außenfenster massive Gitter. Keiner der Gefangenen hatte jemals ein solches Gitter beseitigen und ausbrechen können – bis auf die holländische Mannschaft von der „Zeehond“ vor fast einem Jahr. Aber darauf waren die Gitter verstärkt worden. Ebenso brauchte man sich auch gar nicht erst mit dem Gedanken zu befassen, durch ein Fenster in den Bau vorzudringen.

      Ein weiteres wesentliches Hindernis war Gefängnisdirektor José Cámpora selbst. Alonzo de Escobedo kannte ihn als einen harten Knochen, der im Umgang mit Gesindel aller Art seine Erfahrungen hatte. Zweifellos würde er nicht vor diesem Haufen kapitulieren, der da vor dem Haupttor seiner Gefängnisfestung Aufstellung genommen hatte.

      Früher, als de Escobedo ebenfalls noch auf der Seite von Recht und Ordnung gestanden hatte, war Cámpora in seinen Augen ein pflichtgetreuer Mann mit einem gesunden Rechtsempfinden gewesen. Alles andere als ein Folterknecht, dieser Cámpora. Aber dennoch war er nie zimperlich gewesen. Aufsässige Gefangene hatten von ihm gelernt, was Zucht und Ordnung bedeuteten.

      Wie erwartet, hielt Cámpora die Stellung.

      Keine Frage, daß es unmöglich gewesen wäre, auch die Gefängnisinsassen in die Residenz zu evakuieren. Zum einen war dort die erforderliche Sicherheit nicht gewährleistet, und zum anderen war die Residenz ohnehin bereits überfüllt.

      So war der Gefängnisdirektor Cámpora mehr oder weniger gezwungen, in seinem Bau auszuharren. Bei sich hatte er an die fünfzehn Aufseher, die man auch nicht gerade Waschlappen nennen konnte.

      Die Zahl der Gefangenen betrug ungefähr fünfzig. De Escobedo kannte sie zur Genüge. Das war die Hefe aus dem Gossenviertel am Hafen – Langfinger, Trunkenbolde, Herumstreuner, Buschklepper bis hin zu zwei Raubmördern. Mit einigen von ihnen hatte de Escobedo seine eigenen unliebsamen Erfahrungen gemacht.

      Seit Ende Mai hatte er in dem verfluchten Bau gesessen, und er war schon so weit gewesen, mit seinem Leben abzuschließen. Seine Mitgefangenen hatten ihn gepeinigt und ihm das Leben zur Hölle werden lassen. Deshalb wußte er nur zu gut, welche Sorte von schrägen Vögeln er jetzt für seine Pläne rekrutieren wollte. Aber er war auf sie angewiesen. Er brauchte ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Gier nach Beute. Alles andere zählte im Augenblick nicht.

      Alonzo de Escobedo verständigte sich durch ein Nicken mit seinen Leuten und ging auf das Gefängnistor zu.

      Der Bedeutsamkeit seines Tuns war er sich bewußt. Hunderte von Augenpaaren beobachteten ihn aus den Gassen heraus. Und er war der unerschrockene, hoch aufgerichtet gehende Mann, der sich in größte Gefahr begab, um sein Ziel zu erreichen.

      Er, Alonzo de Escobedo, trat mutterseelenallein auf das Gefängnistor mit den beiden flankierenden Türmen zu. Dabei wußte er, daß dort oben auf den Wehrgängen und hinter den Turmzinnen Gefängniswärter mit schußbereiten Waffen in Stellung gegangen waren. Wenn sie wollten, brauchten sie nur abzudrücken, um ihn zu töten.

      Es würde sich in Windeseile herumsprechen, was für ein Kerl er war.

      Einem zukünftigen Gouverneur stand es gut zu Gesicht, daß man Geschichten über seine Heldentaten erzählte. Später würde es seine Autorität kräftigen.

      Breitbeinig und herausfordernd blieb er stehen. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und legte den Kopf in den Nacken.

      „Cámpora!“ brüllte er. „Gefängnisdirektor Cámpora! Hören Sie mich?“

      Hinter den Zinnen des rechten Turms bewegte sich etwas. Gleich darauf erschien die breitschultrige Statur Cámporas. Sein kantiges Gesicht war auf die Entfernung und in dem trüben Tageslicht nur undeutlich zu erkennen.

      „Ergeben Sie sich!“ fuhr de Escobedo fort und strengte sich dabei an, seine Stimme donnernd klingen zu lassen. Es mußte seine „Truppe“ und die Neugierigen beeindrucken. „Öffnen Sie das Tor und übergeben Sie das gesamte Gefängnis meiner Gewalt! Ich bin der rechtmäßige kommissarische Gouverneur von Kuba. Wenn Sie sich meiner Anordnung widersetzen, werde ich den Bau stürmen lassen!“

      Alonzo de Escobedo blieb stehen und wartete auf die Wirkung seiner Worte. Täuschte er sich, oder bildete sich da ein verächtliches Lächeln in Cámporas harten Gesichtszügen?

      De Escobedo spürte, wie die Wut in ihm zu kochen begann.

       5.

      „Dieser Kerl ist die Unverschämtheit in Person“, sagte Cámpora gepreßt.

      Die beiden Aufseher, die geduckt hinter ihm standen, nickten zustimmend. Auch ihnen war klar, was es bedeutete, wenn dieser Verrückte da unten anfing, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Denn daß man das Gefängnis nicht kampflos übergeben würde, stand für jeden einzelnen unter José Cámporas Kommando fest.

      „Hören Sie, de Escobedo!“ brüllte der Gefängnisdirektor. „Ich denke nicht daran, auf Ihre Unverfrorenheit einzugehen. Sie werden derjenige sein, der sich ergibt. Ich weise darauf hin, daß Sie nach dem Gesetz immer noch Inhaftierter sind. Sie sind ein Verbrecher, de Escobedo! Ich habe das Recht, Sie auf der Stelle zu erschießen, wenn Sie die Flucht ergreifen sollten!“

      Der Mann, der mit aller Macht Gouverneur werden wollte, erbleichte. Vor allem mußte er daran denken, daß die vielen Ohren hinter ihm hörten, was dieser Schwachkopf da oben über ihn faselte. Er ein Inhaftierter! Was für einen Eindruck mußte das auf seine Gefolgeleute machen! Jetzt hieß es erst recht, ihnen zu zeigen, wie man diesen Bau vereinnahmte.

      „Sie scheinen nicht ganz richtig im Kopf zu sein, Cámpora!“ De Escobedos Stimme war schrill. „In Havanna bestimmt nur noch einer! Ich! Sie haben noch eine Minute Bedenkzeit. Wenn Sie dann nicht parieren, wird gestürmt!“

      José Cámpora konnte nur den Kopf schütteln. Doch er wußte, wie verdammt ernst die Lage werden würde.

      „Gebt mir eine Muskete!“ flüsterte er, wandte sich halb um und ließ sich eine Langwaffe in die Hand drücken.

      Mit einem Ruck brachte er die Waffe in Anschlag.

      „Ergeben Sie sich, de Escobedo!“ brüllte er. „Oder ich schieße!“

      Der künftige Gouverneur von eigenen Gnaden zuckte zusammen. Plötzlich wußte er, daß dieser elende Bastard von Gefängnisdirektor es ernst meinte.

      De Escobedo warf sich herum und rannte wie von Furien gehetzt.

      Die Muskete krachte, und er konnte hören, wie die Bleikugel hinter seinen Hacken auf die Steine knallte und sich zu einem mausgrauen Pfannkuchen abplattete.

      Panik befiel ihn. Er lief schneller und schlug Haken wie ein Hase. Er sah die Kerle hinter den Handkarren in Deckung. Einige von ihnen korkten verstohlen Flaschen zu. Sie hatten sich also schon Mut angetrunken.

      De Escobedo schaffte es, sich ebenfalls in Deckung zu werfen, bevor Cámpora eine zweite Muskete abfeuern konnte. Die Leute in den Gasseneinmündungen hatten das entwürdigende Schauspiel natürlich beobachtet. Aber sie waren auch um ihre eigene Haut besorgt, hatten sich beim Krachen des Schusses eilends zurückgezogen und harrten jetzt vermutlich in sicherer Entfernung aus.

      „Angriff!“ brüllte de Escobedo und schnappte sich eine Muskete vom Karren. „Ausschwärmen und angreifen!


Скачать книгу