Seewölfe Paket 26. Roy Palmer
Gouverneur grinste jetzt.
„Dann weiß ich, zu welcher Seite wir beide gehören, Gonzalo.“
„Das will ich meinen.“ Bastida kehrte mit schweren Schritten zur Theke zurück. Kühle Morgenluft breitete sich im Schankraum aus. Bastida lehnte sich mit dem Rücken an und schob die Ellenbogen auf die Theke. „Diese Leute wollen gelenkt werden, Alonzo. Denen würde es überhaupt nicht gefallen, auf eigene Rechnung zu arbeiten. Die brauchen immer jemanden, der ihnen sagt was sie tun sollen, wo sie es tun sollen und wie sie es tun sollen.“
De Escobedo wischte mit der rechten Hand durch die Luft.
„Du brauchst mir nicht zu erzählen, wie man mit Befehlsempfängern umzugehen hat.“
Bastida lächelte kaum merklich.
Er wußte, daß de Escobedo für gewisse Erkenntnisse nicht über genügend geistige Beweglichkeit verfügte. In gewisser Hinsicht war er ein sturer Kerl. Aber das mußte man ihm nicht unbedingt vorwerfen, wenn man mit ihm zusammenarbeiten wollte.
„Du redest von deiner Zeit als Hafen- und Stadtkommandant?“ sagte der Kaschemmenwirt.
„Allerdings.“ De Escobedo warf stolz den Kopf in den Nacken.
„Dann laß dir gesagt sein, daß du es hier nicht mit Soldaten oder Gardisten zu tun hast, mein Freund. Dieses Lumpenpack will anders angepackt werden.“
„Was du nicht sagst“, entgegnete de Escobedo spöttisch. „Es wäre mir wahrscheinlich schwergefallen, das herauszufinden.“
Gonzalo Bastida antwortete nichts darauf. Er wandte sich ab und bedeutete de Escobedo mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Sie ließen sich auf den Stühlen im ersten Hinterzimmer nieder, von wo sie durch die offene Tür den Schankraum beobachten konnten.
Die Hausgehilfin des beleibten Kaschemmenwirts hatte ein opulentes Frühstück zusammengestellt. Vom gebratenen Schinken bis zu frischen Früchten fehlte es an nichts. Bastida hatte darauf geachtet, welche Sachen aus der umfangreichen Diebesbeute der vergangenen Nächte für ihn abgezweigt wurden.
Bei de Escobedo hatte er indessen den Eindruck, daß dieser in erster Linie Machtgelüste hegte.
Bastida kannte die Geschichte dieses Mannes von Anfang an, und es bereitete ihm nicht die geringste Anstrengung, ihn bis auf die Knochen zu durchschauen. Nachdem er erst Hafenkommandant, dann Stadtkommandant und schließlich kommissarischer Gouverneur von Kuba gewesen war, hatte sich de Escobedo nun endgültig auf die Seite des Verbrechens geschlagen.
Nur über die ersehnte Macht, das wußte de Escobedo, konnte er auch zu Reichtum gelangen. Bastida erinnerte sich sehr gut, wie er das Gouverneursamt auszunutzen versucht hatte, um sich einen gehörigen Teil an Nebeneinnahmen zu verschaffen.
Die wirklich großen Brocken waren de Escobedo jedoch verwehrt geblieben. Von Bestechungsgeldern und eigenmächtig erhobenen Zöllen wurde man nicht steinreich. Don Antonio de Quintanilla hatte auf diesem Gebiet wesentlich mehr erreicht, wobei Bastida den früheren Gouverneur jedoch auch für zehnmal gerissener hielt als de Escobedo.
Bastida hatte allerdings keine Ahnung von jenem ungeheuren Schatz, den de Quintanilla in den Höhlen von Batabanó versteckt hatte. Diesem Schatz trauerte de Escobedo noch immer nach. Um ein Haar wäre er in den Besitz dieses riesigen Schatzes gelangt.
Das Unrechtmäßige seines wie Don Antonios Tun hatte er bis heute nicht eingesehen. Eine Läuterung hatten bei de Escobedo weder das Scheitern der Schatzbergung noch die schlimmen Tage im Gefängnis von Havanna bewirkt.
Die Zeit, in der er noch Recht und Ordnung vertreten hatte – oder wenigstens glaubte, dies zu tun –, gehörte endgültig der Vergangenheit an. Jene wenigen guten Eigenschaften, die de Escobedo überhaupt jemals gehabt hatte, waren begraben unter einer Lawine von Haß und Rachgier.
Generalkapitän de Campos schied als Zielfigur für diese Gelüste aus. Ihn hatte die gerechte Strafe bereits getroffen, obwohl es de Escobedo lieber gewesen wäre, sich wegen seiner Inhaftierung persönlich an dem verfluchten Kerl zu rächen.
El Lobo del Mar, der berüchtigte Seewolf, gehörte ebenso zu denen, die ihm den großen Reichtum verwehrt hatten, wie Capitán de Mello. Letzterer war vor lauter Ehrenhaftigkeit vermutlich imstande, der spanischen Krone seinen Sold zurückzuzahlen. Warum auch nicht? Offiziere dieses Schlages, so fand de Escobedo, sollten eigentlich ihre Uneigennützigkeit auch in dieser Beziehung unter Beweis stellen.
Im Vordergrund stand aber nicht die Rache.
Nummer eins aller Überlegungen war für Alonzo de Escobedo die Macht über Havanna. Die Gelegenheit war günstiger als je zuvor. Natürlich war der Plan des Gouverneur-Sekretärs Corda von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen – so dankenswert sein Verhalten auch gewesen war. Cámpora, dieser halsstarrige Hundesohn, hatte alles vereitelt – hätte es so oder so vereitelt.
Nichtsdestoweniger verdankte er, de Escobedo, seine Freiheit dem Sekretär. Er beschloß, das in seine Überlegungen einzubeziehen.
Nachdem er vor dem Gefängnistor mit knapper Not entwischt war, hatte er sich auf Umwegen zu Bastidas Kaschemme durchgeschlagen. Inzwischen hatte er die verwinkelte Behausung des Wirts zu seinem Hauptquartier erklärt. Seine ersten taktischen Überlegungen hatte er hier angestellt, und erfolgreich waren nach seinen Plänen die Aktionen gegen die Ordnungskräfte der Stadt durchgeführt worden.
Als erster Erfolg war bereits der Rückzug der Bürger zu werten gewesen. Die ständigen Übergriffe und Plünderungen hatten sie so sehr entnervt, daß sie nicht einmal einen Ansatz von Gegenwehr zustande gebracht hatten. Die wenigen, die aktiven Widerstand geleistet hatten, fielen für de Escobedo und Bastida nicht ins Gewicht. Das Gros der Pfeffersäcke und ihresgleichen hockte jetzt jedenfalls oben in der Residenz und zitterte vor Angst.
Dazu hatte auch die systematische Zermürbungstaktik beigetragen. Eine Patrouille nach der anderen war entweder vollständig aufgerieben oder so weit dezimiert worden, daß die wenigen Überlebenden nur noch ihr Heil in der Flucht gesucht hatten. Zwar war das Pack aus dem Hafengebiet alles andere als eine disziplinierte Truppe. Aber die Gier nach Beute und der Haß auf das reiche Bürgertum glichen dieses Manko aus.
Gemeinsam hatten de Escobedo und Bastida beschlossen, die Stadt Havanna aus den Angeln zu heben.
Den Gedanken hatte de Escobedo entwickelt, nachdem er von Corda erfahren hatte, daß de Campos nicht mehr lebte. Damit herrschte ein führungsloser Zustand in Havanna. Denn die Amtsübernahme Marcelos hatte man beileibe nicht als eine Behebung dieses Zustands betrachten können.
Marcelo als kommissarischer Gouverneur war in de Escobedos Augen nichts weiter als eine Witzfigur gewesen. Bis auf einen lichten Moment hatte der versoffene Hurenbock denn auch nichts zuwege gebracht. Das Ergebnis hatte er jetzt, da er schwerverwundet darniederlag. Die Führungslosigkeit in der Stadt hatte weiter Bestand.
Die beiden Ordnungsgewalten Miliz und Stadtgarde waren – zumindest im Stadtgebiet – zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Mittlerweile hatten sie sich zurückgezogen und bei den Bürgern in der Residenz verschanzt. Feige Hundesöhne in de Escobedos Augen.
Er dachte an seine Zeit als Stadtkommandant zurück. Aus jener Zeit rührte seine Einschätzung der Ordnungskräfte. Für hartes und erbarmungsloses Durchgreifen fehlte Soldaten und Gardisten die rechte innere Einstellung. Befehlsempfänger waren sie eben, nichts weiter.
De Escobedo beendete sein Frühstück als erster. Er lehnte sich zurück und beobachtete sein Gegenüber eine Weile. Der Fette ließ sich nicht stören. Er schaufelte abwechselnd gebratenen Schinken, frischen Ziegenkäse und Weintrauben in sich hinein. Dazu schlürfte er innerhalb weniger Minuten drei rohe Eier, nachdem er sie mit Rotwein und Zucker verrührt hatte.
De Escobedo verspürte den Drang, sich zu schütteln, ließ sich aber nichts anmerken.
„Wir haben Erfolg über Erfolg errungen“, sagte er schließlich. „Aber wir sind noch nicht am Ziel. Die Frage ist jetzt, wen oder was nehmen wir uns als nächstes vor?“
Bastida betupfte seine