Seewölfe Paket 26. Roy Palmer

Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer


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nächsten Moment entdeckte der Kerl den hochgewachsenen Gardisten. Ein Warnschrei entrang sich der Kehle des Struppigen.

      Raimundo Tejero zog den Säbel. Das metallische Geräusch beendete den Schrei des Kerls.

      Er fuhr hoch, schleuderte die Decke von sich und brachte ein Entermesser zum Vorschein.

      „Jorge!“ brüllte Tejero und drang im selben Atemzug auf den Kerl ein.

      Mit zwei blitzschnellen Hieben fegte er dem Galgenstrick das Entermesser aus der Hand, und er tötete den Mann, ohne ihn erst einen Angstschrei ausstoßen zu lassen.

      Die anderen erwachten in dieser Sekunde. Knurrende Laute waren zu hören. Einer versuchte, nach den Stiefeln des Gardisten zu greifen und ihn zu Fall zu bringen. Rechtzeitig, mit einem federnden Satz, wich Tejero aus.

      Sein Gefährte stürmte den Hang herauf, den Säbel bereits gezogen. Beiden Männern war klar, daß sie einen Schuß und auch möglichst jedes sonstige Geräusch verhindern mußten.

      Gnade war nicht angebracht.

      Raimundo und Jorge erinnerten sich nur zu gut an das, was sie zu Beginn des Aufruhrs erfahren und mit eigenen Augen gesehen hatten. Die Marodeure waren gegen Bürger, Gardisten und Soldaten mit List und Tücke vorgegangen, hatten sie in Hinterhalte gelockt oder sie mit Schüssen in den Rücken getötet. Maßstäbe von Ritterlichkeit waren hier nicht anzuwenden, sie kosteten nur das eigene Leben.

      Einen Kerl mit vom Alkohol geröteten Gesicht brachte Tejero mit einem Fußtritt von den Beinen, als der Bursche gerade aufgesprungen war und erstaunlich schnell ein Tromblon hochriß, das er neben sich liegen gehabt hatte. Tejero tötete ihn, bevor er sich herumwerfen und die Waffe im Liegen in Anschlag bringen konnte.

      Jetzt aber waren die übrigen drei hochgeschnellt.

      Zwei wandten sich dem heranstürmenden Jorge Vero zu.

      Der dritte ging mit einem Säbel auf Raimundo Tejero los.

      Den ersten Angriff ließ der Gardist mühelos an seiner Parade abprallen. Hell singend klirrten die Klingen aufeinander. Die Sekunde, in der sein Gegner noch über den Mißerfolg fluchte und knurrte, nutzte Tejero und griff jäh an. Der Marodeur schaffte es nicht mehr rechtzeitig, in die Defensive zu gehen. Tejero setzte ihn außer Gefecht – rechtzeitig genug, um seinem Gefährten noch zu Hilfe zu eilen.

      Nur für einen kurzen Moment war Jorge in Bedrängnis geraten. Im Handumdrehen schafften die beiden Männer es nun, die Schnapphähne niederzustrecken. Es war kein einziger Schuß abgefeuert worden.

      „Verschwinden wir schleunigst!“ sagte Raimundo Tejero dennoch. „Wer weiß, wieviel von dem Pack noch in der Nähe schnarcht.“

      Sie eilten zu den beiden jungen Frauen, und gemeinsam nahmen sie den Weg nach Süden, wobei sie stets den Schutz von Gebüsch und kleinen Waldstücken nutzten. Längst waren sie sich über ihr Ziel einig. In Santiago de Cuba wollten auch Graciela und Cisca ihre glückliche Zukunft finden – an der Seite der beiden Männer, die sie zu schätzen gelernt hatten. Sie zweifelten nicht an ihrem Glück, dessen Grundlage die gelungene Flucht aus den tödlichen Wirren des Aufstandes in Havanna war.

       3.

      Das graue Licht des beginnenden Tages kroch durch kleine Fenster, deren Scheiben fast blind waren. Der Raum mit den niedrigen Deckenbalken verlor dadurch wenig von seiner Düsternis.

      Der Dielenboden hatte dunkle Flecken von dem, was in der Nacht verschüttet worden war – Bier und Wein vor allem. Auf den Tischen lagen umgekippte Trinkbecher zwischen den Köpfen der Schnarchenden. Auch neben die Stühle und Bänke waren Gestalten gesunken und im Vollrausch eingeschlafen. Durchdringender Mief, vermischt mit dem Geruch verschütteter Getränke, erfüllte die Luft.

      Die beiden Männer betraten den Schankraum von den Hinterzimmern her und blieben neben dem Tresen stehen. Gonzalo Bastida stemmte die Fäuste in die Hüften, schnaufte und schüttelte mißbilligend den massigen Kopf. Dann stapfte er los, durch den Gang zwischen den Tischreihen, und es kümmerte ihn nicht, wenn er dabei gelegentlich auf Arme und Beine von Schlafenden trat. Bei den Mengen von Alkohol, die sie geschluckt hatten, spürte ohnehin keiner etwas.

      Bastida riß die beiden Riegelbalken der Eingangstür hoch und ließ sie achtlos zu Boden poltern. Eine der Gestalten in der Nähe wurde von einem der Balken an der Schulter getroffen, stöhnte kurz auf und versank sofort wieder in tiefen Schlaf. Bastida öffnete die Tür weit, reckte sein Gesicht dem Tageslicht entgegen und pumpte die frische Luft tief in seine Lungen.

      Alonzo de Escobedo, der bei der Theke stehengeblieben war, beobachtete den anderen Mann grinsend. Bastida war ein eiskalter, verfetteter Hundesohn. Ihm gehörte diese Kaschemme, und hier ging alles ein und aus, was auch nur in entferntester Weise das Licht des Tages zu scheuen hatte. Schon als Hafenkommandant hatte de Escobedo eine enge Zusammenarbeit mit dem Kaschemmenwirt gepflegt, wie er es gern nannte. Für den Schutz vor polizeilichen Organen, der ihm von de Escobedo zugesichert und in vollem Umfang gewährleistet worden war, hatte Bastida sich in angemessener Weise erkenntlich gezeigt.

      Das harte Wort Schmiergeld mochte de Escobedo in diesem Zusammenhang nicht gern anwenden.

      Gonzalo Bastida hatte sich jedoch immer auf ihn verlassen können. Es war eine Zusammenarbeit gewesen, die in den sogenannten normalen Zeiten in Havanna stets hervorragend geklappt hatte. Bastida setzte in seinen Hinterzimmern Diebesgüter um. Die „Nebentätigkeit“ als Hehler brachte ihm wesentlich mehr ein als die Kaschemme.

      Andererseits war es jedoch eben diese Schenke, die ihm zu den so wichtigen Kontakten verhalf. Im Laufe der Jahre hatte sich Bastida überdies zum Gebieter über eine bemerkenswerte „Truppe“ hochgearbeitet – Taschendiebe, Einbruchsspezialisten, Falschspieler, Schläger und Mörder.

      Geradezu unvorstellbar weit waren die „Fachgebiete“ dieser schrägen Vögel, die entweder auf eigene Rechnung arbeiteten oder von Bastida gezielt eingesetzt wurden. Auf sein Kommando hörten sie so oder so.

      Wer mit Gonzalo Bastida zusammenarbeitete, der wußte, daß er eine Zuverlässigkeit gepachtet hatte, die sich mit der Unerschütterlichkeit von Bastidas Leibesumfang vergleichen ließ. Buchstäblich nichts brachte diesen Mann aus dem Gleichgewicht. In der Unterwelt von Havanna war er eine Art ungekrönter König.

      Bastida wandte sich bei der Tür um und blinzelte in das Halbdunkel. Mit einer ausladenden Handbewegung wies er in den Raum, in dem das Schnarchkonzert unvermindert anhielt.

      „Sieh dir das an, Alonzo. Ist es nicht eindrucksvoll?“

      De Escobedo zog die Brauen zusammen.

      „Mich widert es eher an.“

      „In genau dem Sinne meine ich es auch“, entgegnete Bastida und nickte. „Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sich eine bestimmte Sorte Mensch an ungeschriebene Gesetze hält.“

      „So?“ sagte de Escobedo ohne sonderliches Interesse. Manchmal ging ihm der Dicke damit auf die Nerven, wie er die Leute beobachtete und sie messerscharf durchschaute. Das Unangenehme war, daß Bastida eigentlich immer recht hatte mit dem, was er sagte. Er sprang mit seinen Leuten bisweilen um wie ein allgewaltiger Herrscher, und sie gehorchten ihm aufs Wort. Ohne Murren.

      „Allerdings“, sagte Bastida bekräftigend. „Du kannst dir jeden einzelnen von diesen blöden Hurensöhnen herauspicken und wirst bei jedem das Gleiche feststellen. Sie könnten in Villen und Palästen übernachten, aber sie tun es nicht. Sie haben fast ganz Havanna auf den Kopf gestellt und könnten sich aufspielen wie die großen Sieger. Trotzdem ziehen sie sich in diese lächerliche, schäbige Kneipe zurück, als ob es der schönste Ort der Welt wäre. Verstehst du das?“

      De Escobedo zog die Schultern hoch.

      „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, sagte er brummend. „Das wird es sein.“

      Bastida wedelte abwehrend mit der Hand.

      „Irrtum, mein Lieber. Das


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