Seewölfe Paket 26. Roy Palmer

Seewölfe Paket 26 - Roy Palmer


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daß sie den Bau tatsächlich im Handumdrehen stürmen könnten.

      Erste Schüsse krachten aus den Reihen der Angreifer, und de Escobedos ausschwärmende Meute stimmte ein wildes Gejohle an. Es sollte dem Gegner auf den Türmen und Wehrgängen den Mut nehmen.

      Cámpora und seine Männer gaben sich indessen keinen Illusionen hin. Sie wußten, um was es ging.

      Der Gefängnisdirektor und die Aufseher feuerten gezielt.

      Das Gejohle und Gebrüll von der Straße pflanzte sich fort. Im Gefängnis wurden röhrende Stimmen laut. Die Gefangenen hatten begriffen, was sich abspielte, und witterten Morgenluft.

      Cámpora wies seine Männer mit knappen Handbewegungen an, sich zu verteilen. Jeweils zwei Mann hielten die beiden Türme besetzt, die übrigen hatten ohnehin bereits zu beiden Seiten auf den Wehrgängen Stellung bezogen. Sie verstanden die Gesten des Gefängnisdirektors und gingen auf jeweils drei Schritte Abstand voneinander.

      Den ersten Ansturm schlugen José Cámpora und seine Gefängniswächter beinahe mühelos zurück. Wenige gezielte Musketenschüsse genügten. Drei, vier Verwundete gab es in den Reihen der Angreifer. Sie schrien wie am Spieß und waren offenbar schlagartig ernüchtert. In Windeseile zogen sich de Escobedo und seine gesamte Meute – einschließlich der Handkarren – in die Gasseneinmündungen zurück.

      Deutlich war zu erkennen gewesen, daß etliche von den Kerlen unter Alkoholeinfluß standen. Entweder waren das noch die Auswirkungen der vergangenen Nacht, oder sie hatten sich bereits am Morgen wieder Rum, Wein oder Bier in die Kehlen geschüttet.

      José Cámpora wurde in diesen Minuten klar, was die Situation für ihn bedeutete. Er mußte kämpfen. Unter keinen Umständen durfte er kapitulieren. Wenn es dem schurkischen de Escobedo und seinen wüsten Kumpanen gelang, die Gefangenen zu befreien, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Residenz fiel. Was das bedeutete, bedurfte keiner eindringlichen Erläuterungen.

      Der Lärm, der aus den Zellen drang, hielt unvermindert an. Die Gefangenen waren praktisch ohne Aufsicht. Schon als ihm das Anrücken der wilden Horde gemeldet worden war, hatte Cámpora alle verfügbaren Wächter auf die Türme und Wehrgänge beordert. Mit seiner Einschätzung der vermutlich entstehenden Lage hatte er sich nicht getäuscht.

      Ihm lief ein Schauer über den Rücken, wenn er an die Frauen und Kinder in der Residenz dachte. Um so mehr wurde ihm jedoch die Verantwortung bewußt, die von dieser Stunde an auf seinen Schultern lastete. Wenn die Residenz nicht mehr gehalten werden konnte und der Rest von Miliz und Stadtgarde aufgerieben wurde, dann war die Katastrophe nicht mehr abzuwenden. Dann würde Havanna in einem Meer von Gewalt untergehen.

      Cámpora wußte, wie unfähig und unbeholfen Capitán Marcelo gewesen war, wenn er getrunken hatte. Da sich das bei ihm um einen Dauerzustand gehandelt hatte, durfte man wohl keine weitblickenden Entscheidungen erwarten. Nun, da Marcelo nach einem einzigen vernünftigen Einsatz ausgefallen war und auch seine Offiziere anscheinend nicht mehr Herr der Lage waren, konnte man alle Hoffnung aufgeben.

      Schon längst, so sagte sich der Gefängnisdirektor, hätten Kuriere entsandt werden müssen, um die entfernter liegenden Stützpunkte der spanischen Landtruppen oder auch der Marine zu verständigen. Jene, die sich in Havanna gegen den revoltierenden Pöbel verteidigten, brauchten Hilfe von außen.

      Wie aber sollte es diese Hilfe geben, wenn niemand außerhalb der Stadt von den katastrophalen Zuständen wußte?

      Cámpora spielte mit dem Gedanken, selbst einen Melder loszuschicken. Aber er verwarf die Idee sofort wieder. Er konnte keinen einzigen Mann entbehren. Absoluten Vorrang hatte die Verteidigung des Gefängnisses.

      José Cámpora wog die Lage der Dinge gegeneinander ab.

      Die Mehrzahl der schätzungsweise dreißig Angreifer war betrunken oder zumindest angetrunken. Das war eindeutig als Vorteil für die Verteidiger zu werten. Andererseits verdeutlichte es aber, was passieren würde, wenn diese entfesselten Kerle über die Residenz herfielen. Der Mob, der sich ihnen in einem solchen Fall anschloß, würde zweifellos noch schlimmer wüten.

      Nein, es gab kein Deuteln an der Einschätzung der Situation.

      Das Gefängnis mußte gehalten werden.

      Es war vorerst der einzige Weg, um die Kerle zu binden und von der Residenz abzulenken.

      Der erste Ansturm war absolut unüberlegt gewesen. Das mußte sich de Escobedo jetzt eingestehen, nachdem er die Wartezeit in einem Hauseingang an jener Gassenmündung verbracht hatte, die dem Gefängnisportal gegenüberlag.

      Er hatte die Hälfte der Kerle losgeschickt, damit sie Leitern und Taue mit Enterhaken beschafften. Die andere Hälfte, die in Eingängen oder Torwegen in Deckung lag, hatte die Verwundeten verbunden und die Waffen nachgeladen.

      De Escobedo hatte in kurzen Abständen zum Gefängnis gespäht. Da waren geschäftige Bewegungen hinter den Turmzinnen und auf den Wehrgängen zu erkennen gewesen. Wahrscheinlich hatten sie zusätzliche Waffen herangeschleppt und ihre Munitionsvorräte ergänzt.

      De Escobedo bedauerte, daß er als Gefangener nicht in der Lage gewesen war, auszukundschaften, über welche und wie viele Waffen Cámpora verfügte.

      Gedämpfte Schritte näherten sich. Gleich darauf huschte eine Gestalt zu de Escobedo in den Hauseingang. Einer seiner kurzfristig ernannten Unterführer, ein Kerl mit wüstem rotem Haarschopf, Vollbart und geröteten blaßblauen Augen. Er nannte sich Vigo. Mehr wußte de Escobedo nicht über ihn.

      „Ausrüstung ist vollständig, Señor Gouverneur“, sagte Vigo grinsend und mit einer spöttischen Betonung des letzten Wortes. „Zehn Leitern und ebenso viele Taue mit Enterhaken.“

      De Escobedo rümpfte die Nase, da ihm eine Wolke von Alkoholdunst entgegenwehte. Eine scharfe Zurechtweisung lag ihm auf der Zunge, vor allem wegen der Unverschämtheit des Kerls.

      Aber er ließ es. Es war sinnlos. Zur Zeit zählte nur der Kampfeswille seiner Leute. Und er durfte sie nicht selbst dadurch demoralisieren, daß er ihnen auseinandersetzte, welchen Ton sie anschlagen durften und welchen nicht.

      „Sehr gut“, sagte er daher nur und nickte anerkennend. „Wir gehen in drei Gruppen vor. Ich führe die mittlere, die von dieser Gasse aus angreift. Du übernimmst den rechten Flügel und Gilberto den linken. Vier Leitern für meine Gruppe und je drei für eure beiden.“

      „Jawohl, Señor Gouverneur“, sagte Vigo schnarrend, und wieder klang diese widerwärtige Betonung durch.

      Alonzo de Escobedo mußte tief durchatmen, um sich zu beherrschen. Seine erzwungene Flucht vor den Musketenkugeln Cámporas hatte seine noch nicht vollends aufgebaute Autorität natürlich erheblich angekratzt. Das spürte man.

      Und Kerle wie Vigo hatten eben keinen Respekt, den mußte man ihnen erst noch beibringen. De Escobedo schwor sich, das nachzuholen, sobald erst einmal Ruhe eingekehrt war.

      „Dann los“, sagte er energisch. „Und schärft den Männern ein, daß mit hartem Widerstand zu rechnen ist. Cámpora und seine Kerle haben alles Mögliche herangeschleppt.“

      Vigo grinste, versuchte ein militärisches Salutieren und rannte dann los.

      Fünf Minuten später brüllte de Escobedo den Befehl zum Angriff. Mit einer Muskete bewaffnet, lief er neben zwei Kerlen, die eine Leiter trugen. Aus den Gassen zur Linken und zur Rechten tauchten die Gruppen der beiden Unterführer auf.

      Alle dreißig Kerle stimmten ein wildes Gebrüll an. Augenblicklich fingen hinter den Umfassungsmauern die Gefangenen in ihren Zellen an zu grölen. Nachdem sie vorübergehend leiser geworden waren, begriffen sie jetzt, daß ein erneuter Angriff bevorstand.

      Die ersten Schüsse krachten aus den Reihen der Angreifer. De Escobedo hatte den Kerlen eingeschärft, daß sie mit ausreichendem zeitlichem Abstand zu feuern hatten, damit die Leiterträger möglichst unbehelligt die Mauer erreichten. Auch er selbst jagte eine Musketenkugel zu den Portaltürmen hinauf.

      Tatsächlich gelang es ihnen, die Verteidiger des Gefängnisses in Deckung zu


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