Seewölfe Paket 26. Roy Palmer
zum Triumph, als die ersten Leitern mit harten Lauten an die Mauern geworfen wurden.
Pistolen krachten jetzt. Die ersten Kerle begannen, die Leitern zu erklimmen.
De Escobedo war selber im Begriff, den Aufstieg zu wagen, als es geschah. Er feuerte seine Pistole auf eine schattenhafte Bewegung hinter einer der Turmzinnen ab. Ohne Erfolg. Die Bewegung war zu schnell gewesen. Im nächsten Moment schien die Hölle über die Angreifer hereinzubrechen.
Blitzartig tauchten die Verteidiger hinter den Zinnen am Wehrgang auf.
De Escobedo erschrak bis ins Mark, als er die trichterförmigen Laufmündungen sah. Blunderbusse und Tromblons!
Die breitstreuenden Waffen krachten in rascher Folge.
Markerschütternde Schreie gellten. Das triumphierende Gebrüll war wie abgeschnitten, und auch im Gefängnis wurde es schlagartig still.
Abermals krachten mehrere Schüsse in schneller Abfolge. Die schwirrenden Ladungen gehackten Bleies trieben die Meute auseinander. Gleich darauf blitzten Säbelklingen oberhalb der Mauerkrone. Die wenigen Kerle, die es auf ihren Leitern bis oben geschafft hatten, wurden mit fürchterlichen Hieben zurückgeworfen. Die Schmerzensschreie schienen kein Ende nehmen zu wollen.
De Escobedo sprang von der Leiter.
„Rückzug!“ brüllte er, obwohl es ihn höllische Anstrengung kostete, das Wort über die Lippen zu bringen. Schon wieder ein Fehlschlag, dachte er, als er losrannte. Er mußte an Vigo und seine spöttische Betonung des Wortes Gouverneur denken.
Die Schüsse von den Wehrgängen und Zinnen verklangen.
Keuchend erreichten de Escobedo und seine Horde die Deckungen im Bereich der Gasseneinmündungen. Auch aus den Gefängniszellen war jetzt kein Laut mehr zu hören.
Vigo und Gilberto, ein drahtiger Mann mit aschblondem Haar und pockennarbigem Gesicht, rannten in den Torweg, den sich de Escobedo diesmal ausgesucht hatte.
Vigo blutete aus einer leichten Säbelwunde an der linken Wange.
„Einige hat es schlimmer erwischt“, sagte er bissig.
„Und es hat die ersten Toten gegeben“, fügte Gilberto hinzu. „Warum hast du uns verschwiegen, daß die Hundesöhne Blunderbusse und Tromblons haben, Señor Gouverneur?“
Alonzo de Escobedo biß die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, ohne daß die beiden Unterführer es sehen konnten. Auch Gilberto machte sich über ihn lustig, indem er ihn als Gouverneur anredete – in haargenau dem gleichen Tonfall, zu dem auch Vigo sich erdreistete.
Es gelang ihm noch einmal, sich zu beherrschen.
„Wie sollte ich das wohl wissen?“ sagte er fauchend. „Der sehr ehrenwerte Gefängnisdirektor Cámpora geruht nicht, seine Zelleninsassen darüber zu informieren, wie es in seiner Waffenkammer aussieht. Klar?“
Vigo und Gilberto wechselten einen Blick.
„Klar“, sagte der Rotbärtige dann. „Da bin ich mal gespannt, mit welchen Überraschungen wir noch zu rechnen haben.“
„Ein Spaziergang ist die ganze Sache jedenfalls schon nicht mehr“, sagte Gilberto erbost.
De Escobedo platzte der Kragen.
„Wer hat gesagt, daß dies ein Spaziergang wird?“ schrie er.
„Bastida“, entgegnete der Aschblonde trocken.
„Und er hat gesagt, daß du es gesagt hättest, Señor Gouverneur“, fügte Vigo mit einem Grinsen hinzu, das seine Säbelwunde auf furchterregende Weise verzerrte.
„Wie kommt er dazu!“ rief de Escobedo empört. „Er hat von militärischer Taktik nicht die leiseste Ahnung und behauptet so einen Blödsinn. Außerdem werde ich ihn mir vorknöpfen. Ich lasse mir nicht solchen Unsinn in den Mund legen. Damit das klar ist: Ich habe nie von einem Spaziergang gesprochen.“
„Schon gut, schon gut“, sagte Gilberto abwinkend. „Reg dich nicht künstlich auf, Señor Gouverneur.“
Vigo nickte beipflichtend.
„Sag uns lieber, wie es jetzt weitergehen soll. Welche militärische Taktik wendet der Fachmann jetzt an?“
De Escobedo schätzte sich glücklich, so ganz nebenbei schon eine Idee geboren zu haben. Daher klang es für die beiden Unterführer so, als brauche er die Einfälle nur aus dem Ärmel zu schütteln.
„Mit einem Angriff auf herkömmliche Weise funktioniert es nicht“, sagte er. „Deshalb müssen wir es anders versuchen. Wir werden das Gefängnistor sprengen.“
Die beiden Unterführer starrten ihn verblüfft an.
„Wie sollen wir denn das anstellen?“ Tief Gilberto. „Bevor wir am Tor sind, haben die uns mit ihren verfluchten gehackten Ladungen längst erledigt.“
„Unmöglich“, sagte Vigo überzeugt.
Diesmal war es de Escobedo, der spöttisch grinste und auch einen entsprechend herablassenden Ton anschlug.
„Keiner von uns wird die Pulverladungen einfach in die Hand nehmen und damit zum Tor marschieren. Ein paar Kleinigkeiten muß man sich schon einfallen lassen.“ Mit kurzen Sätzen schilderte er den beiden Kerlen, wie er sich den Plan dachte, und er genoß es, daß sie immer andächtiger zuhörten.
Ihre Verblüffung schlug in glattes Staunen um.
6.
José Cámpora hatte unterdessen längst bemerkt, daß die Angreifer etwas Neues ausheckten. Und wenig später, als er sah, wie sie einen ihrer Handkarren in der Gasse präparierten, wußte er Bescheid.
Er gab Befehl, die Drehbassen heranzuschaffen. Zehn Mann wurden dafür abkommandiert, während die übrigen auf den Wehrgängen die Stellung hielten.
Jeweils fünf Mann reichten eben aus, um eins der Hinterladergeschütze zu transportieren. Mittels eines Ladebaums wurden zunächst die stativartigen schweren Drehbeine aus Eisen auf die Portaltürme gehievt. Anschließend wurden Rohre und Munition heraufbefördert.
Im Gegensatz zu jenen Drehbassen, die an Bord der Schiffe meist in schwenkbaren Halterungen an den Verschanzungen fixiert wurden, hatten die im Gefängnis verfügbaren Hinterlader ihre besonderen Vorteile dadurch, daß sie an nahezu jeden beliebigen Ort getragen werden konnten. Ihre Gabel für Höhen- und Seitenschwenkung ruhte mit dem Zapfen auf dem Stativ, das gewichtsmäßig so bemessen war, daß es beim Schuß nicht umkippen konnte.
Innerhalb von wenigen Minuten waren beide Geschütze einsatzbereit.
José Cámpora harrte auf seinem ursprünglichen Platz auf dem Turm aus und beobachtete voller Spannung, was sich da in der Gasse gegenüber anbahnte.
Der Karren setzte sich in Bewegung, und schon nach den ersten Schritten der beiden Kerle, die ihn schoben, wurde die Absicht deutlich.
Vorn auf dem Karren befanden sich fünf Pulverfässer mit glimmenden Lunten. Unmittelbar dahinter waren Sandsäcke aufgeschichtet. Damit sollten die Kerle geschützt werden, die den „Kampfwagen“ schoben.
Cámpora setzte ein grimmiges Lächeln auf. Die Drehbassen hatten sich in der Waffenkammer befunden, damit sie notfalls bei einem Gefangenenaufruhr eingesetzt werden konnten. Daß sie sich jetzt für einen völlig anderen Zweck bewähren sollten, hätte er niemals für möglich gehalten.
Er begnügte sich mit der Drehbasse, die auf seinem Turm stand, und ließ es sich nicht nehmen, sie eigenhändig auszurichten.
Er ließ die Kerle mit dem Pulverkarren fünf Schritte zurücklegen. Damit hatten sie noch nicht einmal die Straßenmitte vor dem Gefängnistor erreicht, und sie hatten ebenfalls noch keine Gelegenheit gehabt, überhaupt zu erkennen, was ihnen blühte.
Der Aufbau der Drehbassen war unauffällig genug vonstatten gegangen.